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Vier Afghanistan-Heimkehrer stehen im "Tatort" im Zentrum der Ermittlungen.

© SR/Manuela Meyer

Mehr als nur ein Krimi: "Der Krieg in Afghanistan darf kein Alltag werden"

An der "Heimatfront": Sein "Tatort" ist für den Oscar-prämierten Regisseur Jochen Alexander Freydank auch ein Anti-Kriegsfilm.

Aktueller geht es nicht. Gerade ist der voraussichtlich letzte Bundeswehr-Jahrgang eingerückt, im Bundestag diskutiert man mal wieder über den Afghanistan-Einsatz, und der „Tatort“, der an diesem Sonntag aus Saarbrücken kommt, beschäftigt sich mit Soldaten an der „Heimatfront“: traumatisierten jungen Männern, die den Weg zurück ins zivile Leben nicht finden und daher wie Zeitbomben in der Gesellschaft wirken. Und noch ein Grund zur erhöhten Aufmerksamkeit. Der „Tatort: Heimatfront“ ist die erste Arbeit, mit der sich der Regisseur Jochen Alexander Freydank zurückmeldet, seitdem er im Februar 2009 für seinen Kurzfilm „Spielzeugland“ überraschend den Oscar für den besten Kurzfilm erhielt. Es ist ein würdiger Einstand.

Jochen Alexander Freydank, 43, sitzt im Café am Kollwitzplatz und grinst. Ja, es habe schon Vorteile, plötzlich Oscar-Preisträger zu sein. Zum Beispiel in Form von Mitspracherechten bei Besetzung und Themenentwicklung. So kommt es, dass Julia Jäger, die in „Spielzeugland“ die Mutter spielt, auch in „Heimatfront“ wieder dabei ist, als Therapeutin Dr. Vera Bergmann. Auch die vier Bundeswehrsoldaten, die in den Verdacht geraten, eine Künstlerin bei ihrer Anti-Kriegs-Performance getötet zu haben, hat Freydank mit Bedacht so jung ausgewählt: „Ich kann das blöde Kriegsfilmklischee nicht leiden, wo Soldaten als 40-Jährige mit Muckis rumlaufen – in dem Alter ist man Oberst oder längst wieder zu Hause“. So versammelt „Heimatfront“ eine Riege der aktuell besonders vielversprechenden jungen Schauspieler, von Friedrich Mücke („Friendship“) und Ludwig Trepte über Constantin von Jascheroff („Falscher Bekenner“) bis Robert Gwisdek. Und Freydank ist begeistert. Gleich am ersten Drehtag habe man die Therapiesitzungen der Soldaten improvisiert, in der diese von den Gräueln berichten, die sie erlebt haben. Da wusste er: Das läuft.

Auffällig viel Zeit nimmt sich „Heimatfront“, um die Abläufe innerhalb der Bundeswehr und die psychologischen Probleme der Heimkehrer zu zeigen. Einen „Anti-Kriegsfilm“, so sieht der Regisseur den von ihm mitentwickelten Film. Und erzählt, wie er vor Weihnachten mit seinem Vater vor dem Fernseher saß, die „Tagesschau“ brachte Berichte aus Afghanistan, Zelte, Soldaten, der Weihnachtstruthahn, und der Vater habe plötzlich gesagt, dass das ihn doch sehr an seine Kindertage erinnere, diese Form der Kriegs- und Truppenberichterstattung. Und er, Freydank, habe plötzlich wieder gewusst, warum er diesen Film gedreht hat. „Weil ich nicht will, dass die Situation dort zum Alltag wird, dass wir uns daran gewöhnen, in Afghanistan Krieg zu führen.“ Weshalb in „Heimatfront“ explizit mehrfach das Wort „Krieg“ fällt, das normalerweise in der Afghanistan-Berichterstattung tunlichst vermieden werde, schon aus versicherungstechnischen Gründen. Die Bundeswehr konnte sich trotz Anfrage übrigens nicht dazu entschließen, an dem Film mitzuwirken.

Es ist eine harte Konfrontation, welche die beiden Kommissare Franz Kappl (Maximilian Brückner) und Stefan Deininger (Gregor Weber) vor sich haben. Vier Kriegsheimkehrer stehen kurz vor ihrer Entlassung aus der Armee, eine eingeschworene Truppe, an der alle Ermittlungen abprallen. Viel Testosteron, Männlichkeit, Corpsgeist, eine Parallelgesellschaft, die nach ihren eigenen Regeln funktioniert – und bestens an der Waffe ausgebildet ist. Gleichzeitig sind es Psychowracks, jederzeit fähig zum Ausrasten. Mütter, Verlobte, Freundinnen stehen hilflos daneben. Schon ein Champagnerkorken, der knallend aus der Flasche fährt, kann das ganze Trauma der Kriegserlebnisse wieder wachrufen.

Auf die Idee mit dem Korken ist Freydank stolz: „Die kommt von mir, stand so nicht im Drehbuch“. Und soll zeigen, wie fast unmöglich es für einen Kriegsheimkehrer ist, wieder in die Normalität zurückzukehren. „Im Krieg musst du jederzeit zweihundert Prozent aufmerksam sein, schon ein Pappkarton kann Lebensgefahr bedeuten, weil es eine Sprengfalle sein kann. Und dann kommst du nach Hause, siehst dort einen Pappkarton, und die Reflexe sind die gleichen. Das hält man doch auf Dauer nicht aus.“ Nicht umsonst sollen in den USA inzwischen mehr Selbstmorde von Kriegsheimkehrern gezählt worden sein als Tote im Irak, habe er irgendwo gelesen. Und erzählt von seiner Zeit bei der NVA, als er einen ähnlichen Zusammenhalt unter Kameraden erfuhr, dieses „Wir-müssen-da-gemeinsam-durch“. Und von einem entfernten Verwandten, der in Afghanistan war und lange, lange nicht von seinen Erlebnissen gesprochen hat.

Dass dieser „Tatort“ gerade in Saarbrücken spielt – das passt für Freydank. „Ein großer Teil der Soldaten, die sich nach Afghanistan melden, kommt aus Ostdeutschland. Aber das größte Kontingent kommt aus dem Saarland“, hat er bei der Vorbereitung erfahren. Und nach den Dreharbeiten in Saarbrücken weiß er auch, warum. „Das stillgelegte Stahlwerk der Völklinger Hütte, die klaustrophobische Enge der Stadt, da kann man irgendwie verstehen, dass sich Leute von hier freiwillig zur Bundeswehr melden.“ Und doch hat Saarbrücken in „Heimatfront“ auch eine besondere, filmische Schönheit, die leer stehende Brauerei, in welcher der Mord geschieht, die Sechziger-Jahre-Bürobauten, die westernähnliche Brachfläche vor der Stadt, wo der Showdown stattfindet, und die laut Freydank an Afghanistan erinnern soll. Das alles ist von Kameramann Wolf Siegelmann überragend gefilmt, mit langen Fahrten und rasanten Zooms, kühnen Aufnahmen aus der Vogelperspektive, die ein diffuses Gefühl der Bedrohung vermitteln, als sei da ein Scharfschütze über unseren Köpfen am Werk.

Bei solchen Szenen hilft die Erfahrung, erzählt Freydank, der bei diversen Filmhochschulen abgelehnt wurde und den mühsamen Weg durch die Praxis wählte, mit Werbefilmen, Cutter-Tätigkeiten, Regieassistenzen, Drehbüchern für Fernsehserien. „Wenn ich als Regisseur verlange, dass die Kamera eine Einstellung aus zweihundert Metern Entfernung filmt, dann muss ich auch wissen, dass das jetzt eine Dreiviertelstunde Umbau und Verzögerung bedeutet.“

Dass es ein „Tatort“ ist, mit dem er nach dem Oscar weitermacht, das ist für Freydank eher „eine Ehre“. In Hollywood bleiben, wie der Kollege Florian Henckel von Donnersmarck – das wäre für den bekennenden Ost-Berliner nicht infrage gekommen. Und Florian Gallenberger, der nach seinem Kurzfilmoscar für „Quiero Ser“ mit dem Historienfilm „John Rabe“ baden ging – da hält sich Freydank lieber ans Fernsehen, wo er mit den Produktionsabläufen vertraut ist. Zumal sein Herzensprojekt, eine Umsetzung von Franz Kafkas „Der Bau“, auch nach dem Oscar von fünf großen Förderinstitutionen abgelehnt wurde.

Doch Freydank bleibt gelassen. Da hilft vielleicht die lange Durststrecke, die jahrelange Vorbereitung für „Spielzeugland“, als ihm viele wohlmeinende Bekannte rieten, „mach doch lieber was anderes. Du vergeudest Deine Zeit“. Und immerhin: Gerade war er drei Monate in der Villa Aurora in Los Angeles, hat an Feuchtwangers Schreibtisch an einem Drehbuch geschrieben und ist so oft wie möglich ins Kino gegangen. „Als Mitglied der Academy, das ich nun einmal jetzt bin, wird man dort ständig zu Screenings eingeladen, von Filmen, die hier noch gar nicht ins Kino gekommen sind. In Deutschland bekomme ich noch nicht einmal eine Einladung zum deutschen Kurzfilmpreis.“

Es wirkt nicht, als ob das Jochen Alexander Freydank sehr viel ausmache. Seinen Weg hat er auch jenseits des Film-Establishments gefunden. Man muss ihn sich als glücklichen Menschen denken.

„Tatort: Heimatfront“, 20 Uhr 15, ARD

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