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Medien: Mein Freund, der Alkoholiker

ARD-Film „Sehnsucht“: Lisas Liebe oder Alexanders Sucht – was ist stärker?

Lisa stürzt sich in eine neue Liebe. Das darf man beinahe wörtlich nehmen: Nach der Trennung von ihrem Freund sichert sie sich an der Kletterwand nicht ausreichend ab, übersieht, offenbar absichtlich, einen Haken, rutscht ab und verletzt sich. Vielleicht war es ein Kurzschluss im Zorn, vielleicht auch die pure Lust zu leben – frei und riskant. Jedenfalls hilft die Psychologiestudentin mit ihrem Leichtsinn dem Zufall auf die Sprünge. Im Krankenhaus lernt sie den Chirurgen Alexander kennen. Das Verhältnis Arzt-Patientin kehrt sich allerdings bald um, denn der vermeintlich selbstsichere Alexander ist alkoholkrank.

Autor Tobias Stille hat sich mit „Sehnsucht“ eine unspektakuläre Geschichte ausgedacht: Weder werden Katastrophen heraufbeschworen, noch wird das Publikum durch überraschende Wendungen bei Laune gehalten. Stille und Regisseur Ciro Cappellari konzentrieren sich auf Lisa (Katharina Schüttler) und Alexander (Misel Maticevic), die verzweifelt aneinander festhalten, obwohl Lisa gute Gründe hätte, das Weite zu suchen. Zwei gewaltige Kräfte, die Drogensucht und die Abhängigkeiten der Liebe, wirken da aufeinander – im schönen Wort „Sehnsucht“ ist die Sucht bereits enthalten. Es kommt so, wie es kommen muss: Er flüchtet in Ausreden, findet immer neue Verstecke für seine Flaschen, schmeichelt, droht, tobt. Lisa zieht sich zurück und mag nicht aufgeben, will ihn durch die eigene Liebe retten.

In keiner Sekunde rutscht der Film in Kitsch oder in einen moralinsauren Anti-Drogen-Feldzug. Ruhig beobachtet die Kamera von Michael Hammon das emotionale Auf und Ab der beiden Hauptfiguren. Und auch Grimme-Preisträger Ciro Cappellari stellt die Regie ganz in den Dienst der beiden Darsteller, die aus einer konventionellen Geschichte einen bemerkenswerten Film machen: Katharina Schüttler, die vor Jahren in den Jugenddramen des WDR-Regisseurs Hanno Brühl auf sich aufmerksam gemacht hatte, spielt die Lisa kraftvoll und ohne Opferpathos. Ihre Liebe ist nicht bedingungslos und gewiss nicht ohne Zweifel. Auch wenn ihr Glaube, sie allein könne Alexander retten, naiv erscheint, verliert ihre Figur nicht an Überzeugungskraft.

Man möchte es bedauern, dass Katharina Schüttler nicht so häufig auf dem Bildschirm zu sehen ist, aber schließlich hat sie auch noch ein Bühnenleben. Sie ist an der Berliner Schaubühne engagiert. Ausgerechnet heute, während im Fernsehen die bereits für Sommer 2004 geplante Ausstrahlung von „Sehnsucht“ ansteht, hat sie Premiere in der Titelrolle von Henrik Ibsens „Hedda Gabler“ in der Regie von Thomas Ostermeier. Eine starke Frauenrolle für eine Schauspielerin, die längst bewiesen hat, dass sie erwachsene Figuren zu meistern versteht.

Warum Alexander zur Flasche greift, wird allenfalls angedeutet. Mit Ursachenforschung hält sich der Film nicht lange auf. Es geht halt weniger um die Droge Alkohol als um die Droge Liebe. Allerdings hätte man schon gerne gewusst, warum Lisa in Alexanders Wohnung keine persönlichen Sachen finden kann. Dass Rätselhafte der männlichen Figur erhöht freilich die Spannung, denn Darsteller Misel Maticevic traut man, seit er den Berliner Zuhälter in Dominik Grafs „Hotte im Paradies“ so überzeugend charmant wie brutal gespielt hatte, sowieso jede abrupte Wendung zu.

„Sehnsucht“, Mittwoch, 20 Uhr 15, ARD

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