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Aufzeichnung der ZDF-Sendung "Menschen 2010" mit Thomas Gottschalk.

© dpa

"Menschen 2010": Thomas Gottschalk in Moll und Dur

Wie der Zeremonienmeister der ZDF-Unterhaltung den Rückblick auf das Jahr 2010 und seinen ersten TV-Auftritt nach dem Unfall bei "Wetten, dass…?" zu meistern suchte.

Die Frage, welchen Blick das ZDF zurück auf das Jahr 2010 wirft, wurde überschattet von der Frage, wie Thomas Gottschalk die Aufgabe bewältigen würde, nur eine Woche nach dem schweren Unfall in seiner Familienshow „Wetten, dass…?“ wieder auf den Bildschirm zurückzukehren.

Er schaffte es. Einigermaßen. Zunächst etwas zögerlich. Statt der üblichen knallbunten Kostümierung wählte er gedeckte Farben und eine breite schwarz-weiße Krawatte. Er stellte es nicht aus, verbarg aber auch nicht, dass ihn das Schicksal seines schwer verletzten Wettkandidaten Samuel Koch sehr berührt hat. Vorgeschaltet wurde dem Jahresrückblick deshalb ein noch vor der Aufzeichnung der Sendung am Freitag separat aufgenommenes Interview mit dem Vater, Christoph Koch. Dieser dankte für Anteilnahme, Hilfe und Unterstützung und sprach von Segen und Fluch der Öffentlichkeit, was Gottschalk mit der Versicherung quittierte, er werde sich dauerhaft um Samuel kümmern. Im Übrigen konnte er schon die Tatsache, dass der Vater zum Interview bereit war, als Absolution begreifen, seinen Job als oberster Entertainer der Nation trotz Trauer und Verantwortung weiter ausüben zu dürfen.

Recht zügig leitete er dann über zum ersten Gast, Karl-Theodor zu Guttenberg, dem Politstar des Jahres. Etwas ungelenk zog Gottschalk Parallelen, sprach von „politischer Verantwortung“, die zu übernehmen sei, selbst wenn „schuldhaftes Versagen“ nicht vorliege. Der Verteidigungsminister replizierte mit einer kleinen Lektion und sprach ansonsten so, dass jeder Satz mit genügend Beifall bedacht werden konnte. Damit war die Politik dann auch schon abgearbeitet.

Die Stimmung löste sich etwas. Die Kurve von Moll zu Dur war bald geschafft. Satire, Haiti, Natur und schon wieder Satire, so wie ein arg banaler Hit-Zusammenschnitt folgten.

Die Einspielfilme waren relativ lang, würde bald auch ein Gespräch mit etwas mehr Tiefgang folgen? Eine Gelegenheit dazu bot der Auftritt von Edison Pena; einer der 33 geretteten chilenischen Bergarbeiter. Gottschalk aber fragte nur, was vor ihm auch Johannes B. Kerner und Günther Jauch „ihre“ Geretteten schon gefragt hatten. Schwer fällt es den Deutschen mit der tiefen Religiosität der Chilenen umzugehen. Die freudige Erleichterung aus den Tagen der Rettung ist ohnehin nicht wiederherzustellen, auch wenn sich die Moderatoren darum jeweils angestrengt bemühen.

Ein etwas armes „best of Internet“ schloss sich an, dem live ein Hündchen in Tutu folgte. Das sah nach einer Show aus vergangenen Tagen aus. Überhaupt erinnern diese Art Jahresrückblicke stark an Nummernrevuen. „Menschen 2010“ wurde etwas länglich, mit Gästen, die gelegentlich auch nur einen recht indirekten Bezug zum vergehenden Jahr aufwiesen: Schumi; ein Amerikaner, der 35 Jahre lang unschuldig im Gefängnis saß; Bobsportler; Segler, die einem Wal begegneten; Hannelore Kraft und Teilnehmer der Love-Parade – und da war sie wieder, die Verantwortung. Und sofort sprach Gottschalk auch von sich. Bei Iris Berben (60) und Mario Adorf (80) fühlte sich der Entertainer dann wieder zu Hause wie auf dem Gästesofa von „Wetten, dass…?“, gab den Charmeur und Tätschler, fühlte sich befreit von jedem journalistischen Anspruch und dem Unfall Samuels, der doch wie ein düsterer Schatten über der Sendung hing. Da war „Menschen 2010“ wie „Wetten, dass …?“ ohne Wetten und mit etwas weniger Leichtigkeit.

Die Toten wurden geehrt wie immer: mit getragener Musik und in Zeitlupe. Wir erfahren, dass die Festspiele in Oberammergau für Gottschalk ein „spirituelles Erlebnis“ waren und es ihn schier nicht ruhen lässt, dass es da gleich zwei Darsteller des Jesus gibt. Zum Gerichtsprozess gegen den Wettermann Jörg Kachelmann befragte Gottschalk Alice Schwarzer, die angab, vor allem dafür streiten zu wollen, dass auch das mutmaßliche Opfer ernst genommen wird. Ansonsten machte sie es arg kompliziert und Gottschalk wollte dann schnell weg von diesem Thema – hin zum „launigen“ Michael Mittermaier, dem die Frauenrechtlerin dann den eigentlich ihr zugedachten Blumenstrauß weiterreichte.

Auffällig ist, dass wie schon auf Sat.1 und RTL auch im ZDF die wahren „Menschen 2010“ (Wulff, Löw, Vettel und Lena) die Jahresrückblicke mieden wie selten zuvor.

Während Kerner mit der Fußball-WM begann, soll sie beim gezwungenermaßen sehr ernst eingestiegenen Thomas Gottschalk den emotionalen Schlusspunkt bilden. Als Hilfe zog er Katrin Müller-Hohenstein, Oliver Kahn, Gerhard Delling und Günter Netzer zum Sofaplausch hinzu – und leider auch Matze Knoop, der wenig lustig Lothar Mathäus zu parodieren vorgab.

Seit einiger Zeit werden die Jahresrückblicke dem Format „große Unterhaltung“ zugeordnet. Sie sollen zum Schmunzeln anregen und doch auch zum Nachdenken – also das sein, was Thomas Gottschalk in Analogie zum Leben immer wieder eine „Achterbahnfahrt“ nannte. Gottschalk hat sie einigermaßen gemeistert. Mit einem vorsichtigen Beginn, viel Koketterie und sinnfreiem Geplauder und gelegentlich tatsächlicher Gelöstheit. Das Format selbst aber wirkt – nicht nur im ZDF - in seiner bombastischen Präsentation wie ein renovierungsbedürftiges Ritual.

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