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Medien: „Mit Bärlauch muss jetzt Schluss sein“

Vom Fluch der guten Zutat: Ein Gespräch mit Peter Ploog, Chefredakteur „essen & trinken“, über Krisen, Kochen und Klopse

Herr Ploog, wie lebt es sich mitten in der Krise?

Gut, wie immer. Aber warum von Krise reden? Schwankungen in der Auflage sind für eine Zeitschrift etwas ganz Natürliches, da macht auch „essen & trinken“ keine Ausnahme. Erst wenn es wirklich allen Menschen egal ist, was sie essen, dann könnte es eng werden. Aber das ist zum Glück nicht zu erwarten. Schließlich gibt es in regelmäßigen Abständen Lebensmittelskandale. Und rufen dann auch Allesvertilger in Erinnerung, dass es nicht egal ist, was alles in seine Wurst kommt.

Gerade regt der Skandal mit dem so genannten Gammelfleisch mächtig auf. Wie reagieren Sie?

Solche Skandale schärfen wenigstens vorübergehend das Bewusstsein. Aktuell berührt uns das kaum. Wir können ohnehin nicht wie eine Tageszeitung reagieren, weil unsere Hefte einen Vorlauf von wenigstens zwei Monaten haben. Im Übrigen ist „essen & trinken“ nicht für Ekel zuständig, sondern fürs Genießen.

Immerhin sind Sie von Ihrem ursprünglich für das Dezemberheft geplanten Cover abgegangen. Aus einer schönen Ente wurde ein lecker aussehendes Kalbscarré. Da lässt doch die Geflügelpest grüßen.

Diese Panik wegen der Vogelgrippe finde ich vollkommen unsinnig. Wo, bitte schön, soll sich denn meine herrliche Vierländer-Ente die Grippe holen? Wie und wo soll sich mein Frühstücksei anstecken? Andererseits: Wenn ich sehe, dass der Geflügelabsatz um 18 Prozent eingebrochen ist, dann hat das auch für uns Bedeutung. Wir mussten das Titelbild ändern. Ist aber sehr schön geworden.

Mit Lebensmittelskandalen haben Sie ja Erfahrungen.

Als der BSE-Skandal auf seinen Höhepunkt zusteuerte, erschienen wir mit wunderbaren Buletten auf dem Cover.

„essen & trinken“ war einmal das Leitmedium für die Küche der Deutschen.

Wieso war? Ich behaupte, „essen & trinken“ ist immer noch das deutsche Genussorgan. In vielerlei Beziehung. Wir setzen Trends.

Was sind denn Ihre größten Erfolge?

Wir haben zum Beispiel den Deutschen das Basilikum nahe gebracht. Oder die Avocado. Wir arbeiten aber auch in der entgegengesetzten Richtung. Aktuell hoffe ich, dass wir es schaffen, den Bärlauch wenigstens teilweise wieder aus den deutschen Küchen herauszubringen. Er nimmt einfach überhand.

Waren Sie es nicht, der ihn hineingebracht hat?

Kann schon sein. Aber jetzt muss erst mal Schluss sein mit Bärlauch.

Vor 35 Jahren haben die Westdeutschen 30 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgegeben. Jetzt sind es nur noch 15 Prozent. Was sagt uns das?

Dass die Leute am Essen sparen. Erleichtert wird das dadurch, dass der Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel fast ausschließlich über den Preis geführt wird. Wenn aber alles immer billiger werden muss, kann das der Qualität nicht sehr zuträglich sein. Nicht dass ein hoher Preis gleich hohe Qualität bedeutet: Schlechtes muss nicht billig sein.

Müssen Sie da nicht gegensteuern? Sie haben doch einen Ruf zu verteidigen.

So schade es ist: Auch mit einer so erfolgreichen Zeitschrift wie „essen & trinken“ schaffen Sie es nicht, die Esskultur eines ganzen Landes von Grund auf zu verändern. Wenn Sie vor 30 Jahren zum Beispiel in Hamburg gut essen gehen wollten, dann bekamen Sie ein Stück Fleisch vorgesetzt, dazu ein bisschen Gemüse in Mehlschwitze. Wenn Sie den damaligen Standard mit dem heutigen Angebot vergleichen, dann könnte man das eine Küchenrevolution nennen. Und „essen & trinken“ war an dieser Entwicklung nicht ganz unbeteiligt. Wir haben ein bisschen mehr Mut, Spaß und Fantasie in die deutschen Küchen gebracht.

Der Fortschritt ist eine Schnecke.

Und geht trotzdem manchmal zu weit. Lange wurde Kreativität als höchstes Gut der guten Küche gepriesen. Das stellt sich oft genug als der reine Unfug heraus, vor allem wenn Kreativität zur reinen Attitüde der Epigonen wird. Kreativität um ihrer selbst willen ist hohl. Ein Mann des Fortschritts ist für mich eher ein Meister wie Franz Keller, der in seinem Wirtshaus in Hattenheim eine genial einfache, aber eben geniale Küche anbietet. Ich halte nichts von High-Tech-Köchen, die ihre Küchen in Labors verwandeln und furchtbar stolz sind auf warmes Eis oder flüssige Gurken.

Aha, ein neuer Trend: die einfache, sehr gute Küche.

Nein, nein, das gibt es schon länger. Aber es wird nicht so ein Geschrei drum gemacht. Geben Sie mir einen perfekt gemachten Sauerbraten oder die endgültigen Königsberger Klopse, und ich bin glücklich.

Sieht das Ihr typischer Leser auch so?

Der typische Leser, der meistens eine Leserin ist, nimmt Essen wichtig, aber nicht zu wichtig. Im Idealfall kocht sie einmal im Monat für Gäste und sucht sich dafür das Passende aus der aktuellen Ausgabe von „essen & trinken“ heraus. Sie hat einen Riesenspaß beim Kochen, und ihre Gäste haben ihn beim Essen. Unsere Leser sind sehr aktiv. Wir haben einmal in der Toskana mit unglaublichem Aufwand ein kompliziertes Menü produziert. Vierzehn Tage, nachdem das Heft mit dem Menü erschienen war, rief mich eine Dame an und erzählte, sie habe das vollständige Menü nachgekocht. Aber sie bitte inständig darum, so etwas nie wieder ins Heft zu nehmen. Sie hatte – mit Hilfskräften – drei Tage in ihrer Küche gestanden und war fix und fertig. Ein zweites Mal würde sie so etwas nicht verkraften. Aber: Sie und ihre Gäste waren begeistert.

Kochen im Fernsehen boomt. Wollen Sie nicht auch ins Fernsehen?

Ich würde es sofort machen. Wenn ich einen Sender fände. Die Kombination Zeitschrift-Fernsehen ist sehr sinnvoll. Weil sie beiden Seiten gut tut.

Kann es sein, dass viele Koch-Fans nicht selbst kochen, sondern nur Rezepte lesen und dem Fernsehkoch zugucken wollen?

Anders wäre es ja kaum zu erklären, dass Kochbücher, Kochzeitschriften, Kochsendungen weg gehen wie warme Semmeln. Die Leute wollen lesen und beim Lesen genießen.

Wie viele Leser können Sie im Idealfall erreichen?

Das Potenzial ist begrenzt, leider. Helfen könnte, wenn im allgemeinen Bewusstsein das Essen, das Trinken, das Genießen auch nur annähernd so viel Aufmerksamkeit beanspruchen könnte wie die Inspektion beim Auto. Oder wenn schon in den Schulen die Grundlagen von Essen und Trinken gelehrt würden. Aber davon sind wir trotz schöner Ansätze noch Lichtjahre entfernt.

Ist „essen & trinken“ elitär?

In gewisser Weise ja. Wir wenden uns nicht an den normalen Currywurstesser. Als wir anfingen, waren wir sogar missionarisch – bis zu einem gewissen Grad natürlich. Das mussten wir auch sein.

Hätten wir nicht gedacht: Sie fordern Ihre Leser heraus.

Unsere Leser sind Menschen, die es nicht nur lieben, selbst zu kochen, sie denken auch gerne selbst. Dem muss ein anspruchsvolles Blatt wie „essen & trinken“ Rechnung tragen. Wir muten unseren Lesern auch mal etwas zu.

Wird der Leser auch mal richtig böse?

Er wird böse, wenn wir schreiben, er solle für seinen Christstollen einen Esslöffel Salz nehmen statt eines Teelöffels. Er wird böse, wenn wir statt von drei Fäden Safran von einer ganzen Tasse Safran reden. Oder wenn wir bei einer wunderbaren Gemüsebrühe vergessen, das Suppengrün zu erwähnen.

Will der Leser auch beraten werden?

Jeden Monat erreichen uns hunderte Zuschriften mit Fragen, wie man dieses oder jenes zubereiten kann. Die Leute kaufen sich im Urlaub die seltsamsten Sachen. Und von uns wollen sie dann wissen, was sie damit kochen sollen. Die schönste Anfrage kam allerdings aus Deutschland: „Ich habe einen Schweinebauch. Was soll ich machen?“

Dem Mann konnte geholfen werden?

Davon dürfen Sie ausgehen.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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