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Für sein Lebenswerk ist Thomas Gottschalk (r.) 2011 mit dem Grimme-Preis geehrt worden. Auch Komiker Kurt Krömer gewann eine der begehrten Auszeichnungen.

© Imago

"Mr. Grimme" verabschiedet sich: „Nicht einen Millimeter abrücken“

"Mr. Grimme" verabschiedet sich nach 32 Jahren. Ein Gespräch mit Ulrich Spies über Qualität im Fernsehen, Massengeschmack und Zorn.

Wir vergeben jetzt mal den Ulrich-Spies-Spezial-Preis: Wen haben die Jurys in den vergangenen 32 Jahren übersehen?

In meinem zweiten Jahr war ein Dokumentarfilm von Hartmut Schoen nominiert, „Gustav Mesmers Traum vom Fliegen“. Er handelt von einem Menschen, der aus Schrott Fluginstrumente baute und sie auch ausprobierte, der aber nie die Schule besuchte und einen Teil seines Lebens in psychiatrischen Anstalten verbrachte. Ein faszinierender Film, faszinierend fotografiert von Pavel Schnabel. Ein Juror war der Meinung, der Autor hätte Mesmer benutzt und einer Gefahr ausgesetzt. Deshalb nahm die Jury von einer Auszeichnung Abstand. Das hat mich sehr beschäftigt. Letztlich sind die Jurys völlig frei in ihren Entscheidungen, aber Unabhängigkeit kann auch an seine Grenzen stoßen, wenn man sein subjektives Urteil so sehr in den Vordergrund stellt.

Das ist lange her. Kühlt die Leidenschaft nicht irgendwann ab?

Die hat eigentlich ständig zugenommen. Es geht doch um Aufklärung – ganz im Sinne von Adolf Grimme, nach dem der Preis benannt worden ist, und Bert Donnepp, der diesen Preis erfunden hat. Beide sind durch die Höllenjahre zwischen 1933 und 1945 gegangen. Beide waren Pädagogen, die wollten, dass mithilfe der Medien dem Guten im Menschen zum Sieg verholfen wird.

Und hat der Grimme-Preis in diesem idealistischen Sinne etwas bewirkt?

Direkt und unmittelbar sicherlich wenig. Aber er bestärkt die Kreativen, die von Jahr zu Jahr dieses Wagnis eingehen, sich der Qualität – und nichts anderem – zu verpflichten.

Ist der Qualitätsbegriff im Lauf der Zeit ein anderer geworden?

Mitte der 1980er Jahre gab es den Urknall, als das Privatfernsehen eingeführt wurde. Damit wurde eine zweite Maßeinheit eingeführt, die Quote. Diese als alleinigen Maßstab für den Erfolg zu nehmen, läuft dem Aufklärungsansatz zuwider. ARD und ZDF haben sich freiwillig in diesen Wettbewerb begeben und ihre Stärken ein Stück weit aufgegeben, um sich dem Massengeschmack anzunähern.

32 Jahre lang hat Ulrich Spies, 66, den Grimme-Preis geleitet.
32 Jahre lang hat Ulrich Spies, 66, den Grimme-Preis geleitet.

© Ziegert

Gehört zum Bestreben der Aufklärung nicht auch, dass man möglichst viele Menschen erreichen will?

Natürlich hat sich auch die Aufklärung seit Lessing in ihren Mitteln verändert. Aber die Messlatte, die 1964 bei zwei Metern Höhe lag, hat auch 2014 bei zwei Metern zu liegen. Es gibt keinen Grund, sie nach unten zu verlegen, nur weil sich in der Zwischenzeit die Gesellschaft oder der Anspruch ans Medium Fernsehen verändert hat. Im Gegenteil: Je mehr der Massengeschmack bedient wird, desto mehr muss man festhalten an diesen zwei Metern und nicht einen Millimeter davon abrücken.

Wie muss der Preis auf die veränderte Medienlandschaft reagieren?

Je komplexer die Medienwelt wird, umso wichtiger wird ein solcher Preis, aber er muss alles ins Visier nehmen. Wir haben vor 13 Jahren mit dem Grimme Online Award schon ein Beiboot ausgesetzt. Und ich hatte gehofft, zur 50. Preisverleihung eine gewisse Antwort geben zu können, wie die Zukunft aussieht.

Welche Schritte muss die neue Leitung des Grimme-Instituts unternehmen?

Man kann die Entwicklung eines solchen Preises nicht nur von einer neuen Leitung abhängig machen. Diejenigen, die den Preis gestalten und bestimmen, sind die unabhängigen Kommissionen und Jurys. Im Übrigen ist für mich völlig unklar, wie es weitergeht. Das Land Nordrhein-Westfalen hat große Pläne mit dem Grimme- Institut. Bei so vielen Erwartungen muss man fragen, ob die Unabhängigkeit des Preises noch gewahrt werden kann. Ohnehin ist ein Institut, das als GmbH organisiert ist, und ein Preis, der nicht ohne Sponsoring auskommt, eigentlich nicht mit dem Anspruch der Unabhängigkeit vereinbar.

Dann ist der Grimme-Preis gar nicht unabhängig?

Doch. Wenn mir jemand nachweisen könnte, dass Juroren in Kenntnis der Interessen eines Dritten eine Entscheidung herbeigeführt haben, die eigentlich nicht ihre Meinung war, dann gäbe ich mich geschlagen. Meiner persönlichen Beobachtung nach hat es so etwas zu meiner Zeit als Verantwortlicher nicht gegeben.

Jetzt also am Freitag die 50. Preisverleihung – und Ihre letzte. Wie werden Sie die erleben?

Ich freue mich sehr, weil es die erste Preisverleihung sein wird, bei der ich mit meiner Frau über den roten Teppich gehe und irgendwo im Parkett sitze. Bisher habe ich immer ziemlich nervös am Rande gestanden, falls etwas schiefging. Jetzt möchte ich das einfach genießen.

Worauf kann man sich als Zuschauer freuen?

Ich möchte nur ein einziges Stück hervorheben. Da schließt sich der Kreis von „Gustav Mesmers Traum vom Fliegen“, der größten Auslassung, zu einer der größten Auszeichnungen, die es in der Geschichte des Preises gegeben hat, nämlich für „The Voice of Peace“ von Eric Friedler, der mit dem Film an den israelischen Friedensaktivisten Abie Nathan erinnert. Nathan steht für mich auf der gleichen Stufe wie Adolf Grimme, beide sind in Vergessenheit geratene Vorbilder.

Seit einigen Jahren heißt der Preis nur noch „Grimme-Preis“, der Vorname wurde gestrichen.

Das war eine der größten Verletzungen, die man mir in meiner Leidenschaft für den Preis zufügen konnte. Man kann nicht 46 Jahre lang Preise im Namen eines Patrons und Vorbilds vergeben und ab dem 47. Jahr sagen, jetzt kümmere ich mich nur noch um die Marke.

Burdas „Bambi“ läuft in der ARD, Springers „Goldene Kamera“ läuft im ZDF, und die große Sause zum 50. Grimme-Preis läuft bei 3sat. Ist Grimme fürs Fernsehen wirklich der wichtigste Preis?

Ich hätte nie den Wunsch gehabt, dass die 50. Verleihung ab 20 Uhr 15 im Ersten oder beim ZDF ausgestrahlt würde. Die Live-Ausstrahlung ab 19 Uhr bei 3sat finde ich großartig, weil 3sat, Arte und andere Spartensender wirklich Qualität im Sinn haben – wie der Grimme-Preis. Leider hat die ARD meinen Vorschlag abgelehnt, noch eine Gala zu 50 Jahren Adolf-Grimme-Preis zu senden.

Zornig?

Ja, denn die Gebührenzahler haben das verdammt noch mal verdient, dass ihnen ein einziges Mal in einem halben Jahrhundert gezeigt wird, was Qualität sein kann – auch in der Unterhaltung. Und ich sage Ihnen, die Gala hätte mehr Zuschauer als „Wetten, dass..?“ – wenn man sich trauen würde, darin genauso viel zu investieren wie in die gerade über drei Stunden lang in der ARD gezeigte „Echo“-Verleihung.

Wird der Grimme-Preis immer in Marl sein?

Wenn er nicht mehr in Marl ist, ist er nicht mehr derselbe Grimme-Preis.

Das Interview führte Thomas Gehringer.

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