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Nachfolger gesucht: Nur im Kühlschrank brennt immer noch Licht

Ein Mann? Eine Frau? Alleine? Im Duo? Christoph Waltz wollte es jedenfalls nicht werden – vom Suchen und Finden eines idealen „Tatort“-Kommissars

Zum Stereotyp des „Tatort“-Kommissars hat mal ein schlauer Krimikritiker geschrieben: Ob Mann, ob Frau, ob jung, ob alt, nur im Kühlschrank brennt noch Licht, wenn ein „Tatort“-Kommissar nach Hause kommt. Das Bild des einsamen Wolfes – oder der einsamen Wölfin –, es gefällt dem Zuschauer. Sieben bis acht, manchmal sogar neun Millionen schauen zu, Sonntag für Sonntag. Es scheint da fast schon egal, ob Maria Furtwängler, Klaus J. Behrendt oder, wie an diesem Sonntag, der Sonderling Klaus Borowski alias Axel Milberg in Kiel ermitteln. 20 Uhr 15, das ist Krimi-Zeit. Telefonhörer daneben, Fernseher an. Die „Tatort“-Kommissare bringen in 90 Minuten die Welt wieder in Ordnung – eine große Projektionsfläche, es gibt wohl keine andere Rolle im deutschen Fernsehfilm, die leichter und schwieriger zugleich zu besetzen ist.

Der „Tatort“ lässt keinen kalt, schon gar nicht die Suche nach einem neuen Kommissar. Diese Erfahrung hat auch Liane Jessen, Fernsehfilmchefin des Hessischen Rundfunks, machen müssen, als sie in den vergangenen Monaten über die Nachfolge von Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf beim Frankfurter „Tatort“ nachdachte und mit dem Namen Christoph Waltz für einigen Aufruhr sorgte. Für mehr Aufruhr jedenfalls als bei zwei anderen Neubesetzungen der 16 deutschen „Tatort“-Teams: den Hauptkommissaren Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare), die „Bienzle“ Dietz-Werner Steck in Stuttgart abgelöst haben und der verdeckte Ermittler Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) in Hamburg. Einen Kommissar ohne Büro und geregelte Dienstzeiten mit falscher Identität, das hat es in 40 Jahren noch nicht gegeben. So gesehen ist der verdeckte Ermittler einer der letzten kongenialen Einfälle der mittlerweile gekündigten NDR-Fernsehspielchefin Doris J. Heinze. Und auch mit dem Stuttgarter Zuzügling Lannert, der gleich mal seine Familie verloren hat, hat Carl Bergengruen, der Fernsehfilmchef des Südwestrundfunk, ein glückliches Händchen gehabt.

Christoph Waltz als „Tatort“-Kommissar jedoch, verwaist und vorm leerem Kühlschrank – diesen Gedanken musste sich Liane Jessen in Frankfurt abschminken. Erst wurde der Name Christoph Waltz auf Irrwegen ins Spiel gebracht, dann bekundete der durch seinen Einsatz im Tarantino-Film „Inglorious Basterds“ zum Hollywood-Star geadelte Schauspieler sein Desinteresse am „Tatort“-Kommissariat via „Bunte“-Interview. Dafür sagte ein anderer Star zu. Mit Ulrich Tukur schickt der HR zusätzlich einen Solo-„Tatort“-Ermittler ins Rennen , der ab 2010 einmal pro Jahr seinen Einsatz im Hessischen hat: als Felix Murot vom LKA in Wiesbaden. Drehstart ist in diesen Tagen. Der Kandidat kann nicht mehr weglaufen. „Wir haben mit Tukur ausgemacht, jedes Jahr einen neuen Vertrag zu schließen“, sagt Jessen. Anders könne man das mit einem Weltstar wie Tukur auch gar nicht machen. „Der ist heute im Himalaya, morgen sonstwo.“

Bleibt die Frage, wer die anderen beiden Frankfurter „Tatort“-Folgen im Jahr bespielen soll, wer das reguläre neue Team wird? Und: Wer überhaupt noch als TV-Kommissar zu haben ist (siehe Kasten)? Es fällt einem ja kaum noch ein guter Schauspieler ein, der bei der Inflation der Krimi-Formate im Fernsehen nicht irgendwo schon einen Serien-Ermittler gibt. Zum Beispiel Joachim Król. Den hätte Liane Jessen „unheimlich gerne“ zum „Tatort“-Kommissar gemacht. „Król ist leider schon ,Kommissar Lutter’ im ZDF. Eine Serienrolle als Ermittler ist ein Ausschlusskriterium.“

Was sind zurzeit überhaupt die Vorgaben für ein Kommissaren-Casting: Mann oder Frau? Solo-Ermittler oder im Duett? Mainstream oder Einzelgänger? Ein prominenter oder eher unbekannter Darsteller? „Da gibt es keine Patentrezepte“, sagt Bergengruen. „Wir haben uns beim Stuttgarter ,Tatort’ für eine Kombination aus einem bekannten und einem unbekannten Schauspieler entschieden und finden, dass wir damit auf einem guten Weg sind. Mit der Überlegung: „Was gab es noch nicht?“ stecke man schon in der Originalitätsfalle, sagt auch Heike-Melba Fendel von der Schauspieleragentur Barbarella. Und mit der Überlegung „Welcher große Star ist serienreif oder -willig?“ tappe man in die Promi-Falle. „Ich persönlich fände zwei gegenläufige Ideen reizvoll: Wahlweise das unbeschriebene Blatt wie Markus Hering in ,Whisky mit Wodka’, der großartige Niemand. Oder das Fassbinder-Prinzip der Gegen-den-Strich-Besetzung von Leuten, die auf anderen oder gar keinen Zetteln mehr stehen.“

Gegen den Strich ist gut. Dass Axel Milberg als Griesgram Borowski bei den „Tatort“-Fans ankommt, damit war nicht unbedingt zu rechnen. Fendel kann sich Ilja Richter, Jörg Pleva oder Torsten Nindel gut als Kommissare vorstellen. Andere favorisieren einen Geheimtipp: Jürgen Vogel und Misel Maticevic?! Dazu Liane Jessen: „Keine schlechte Kombination.“ Immerhin, es fallen Namen ein. Eine „Tatort“-Rolle ist immer noch und wahrscheinlich mehr denn je die Königsklasse im deutschen Fernsehen. „Das können Sie sich nicht vorstellen“, sagt Jessen, „wer sich bei mir alles beworben hat und sagt: ,An mich haben Sie noch nicht gedacht, aber ich wäre genau der Richtige, ein Quotengarant.''“ Quote interessiere sie aber eher weniger, „ich bin an Geschichten und Menschen interessiert“. Manchmal fallen der Fernsehfilmchefin nachts im Bett mögliche Kandidaten ein.

Sicher ist: Beim HR-„Tatort“ soll es – neben dem Sondereinsatz von Ulrich Tukur – ein Duo richten. Und das scheint, abgesehen vom Hamburger und Wiener „Tatort“, Methode zu haben. Bei einem Duo“, sagt SWR-Filmchef Bergengruen, „können die einzelnen Typen in der Gemeinsamkeit wie im Kontrast besser herausgearbeitet werden“. Der HR hat sich neben dem Solisten Tukur auf ein Männerteam festgelegt. Auch wenn der Faktor Frau, so Jessen, eine Spannung hinein bringe, die man als Fernsehmacher nicht vernachlässigen sollte. „Aber schauen Sie sich mal die Krimi-Landschaft an: ,Rosa Roth’, ,Das Duo’, im ,Tatort'' Ulrike Folkerts, Eva Mattes oder die klassische mitteleuropäische blonde Deutsche Maria Furtwängler. Dazu die vom Leben Gebeutelten, von Erfahrung Gefurchten, aber trotzdem immer Aufrechten wie Hannelore Hoger als ,Bella Block’ oder Senta Berger. Oder ,Kommissarin Lucas’, die auch sehr erfahren ist, die aber noch etwas von der Liebe haben will.“ Alle Spielarten seien auserzählt. „Da fällt mir gar nichts Neues zu ein. Wir haben im deutschen Krimi-Fernsehen einen Frauenüberhang.“

Wenn man einen „Tatort“-Kommissar plane, so Jessen weiter, müsse man auch von gesellschaftlichen Erwägungen ausgehen. „Ich finde, dass es Männer zunehmend schwer haben in unserer Gesellschaft. Das sieht man ja schon bei den Schülern. Die Frauen machen das bessere Abitur. Das Männer-Selbstbild ist problematisch.“ Kein Mensch wolle das Müsli-Weichei, keiner den Anzugtypen und niemand den reinen Macho. „Ich finde das sehr interessant und mühselig, wie Männer sich heutzutage durchs Leben schlagen und würde im ,Tatort'' gerne etwas mit Männern zusammen über sie selber erarbeiten.“

Ein interessanter Ansatz. Tatsächlich sind nur sieben der 27 „Tatort“-Ermittler Frauen, darunter allerdings mit Ulrike Folkerts und Maria Furtwängler zwei bei den Zuschauern äußerst beliebte Kommissare. Offenbar fällt den Autoren bei den Männern nicht allzu viel Neues ein. Bis Ende Oktober soll beim Hessischen Rundfunk bekannt sein, mit welchen Männern sich Liane Jessen an einen Tisch setzt und über das Konzept eines neuen „Tatort“ spricht. „Wir gehen erst von den Menschen aus und entwickeln dann die Stoffe.“ Und ob nun Jürgen Vogel, Hannes Jaenicke, Devid Striesow oder der großartige Niemand – es wird als „Tatort“-Kommissar wohl wieder ein einsamer Wolf sein. Im Kühlschrank brennt immer noch Licht.

„Tatort – Borowski und die Sterne“, ARD, 20 Uhr 15

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