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Miosga_Slomka

© NDR/ZDF

Nachrichtenmagazine: Törtchen und Reförmchen zum Geburtstag

Am 2. Januar werden „Tagesthemen“ und „heute-journal“ 30 Jahre alt. Statt zu feiern müssen sich die Verantwortlichen mit Problemen befassen. Einige sind hausgemacht, andere genereller Natur: Es wird komplizierter, Politik durchschaubar zu machen

Das Wort „Krise“ mag Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-Aktuell in Hamburg, gar nicht hören. Da wird er „sauer“, schreibt er in seinem Blog. Von „schwächelnden ,Tagesthemen‘“ könne keine Rede sein, springt ihm SWR-Intendant Peter Boudgoust bei und warnt vor „übereilten Korrekturen“. Dabei ist eine Gefahr real: Das News-Magazin der ARD, das den Tag orientierend beenden soll, droht erstmals unter die Marge von zehn Prozent Marktanteil zu rutschen. Also plustert sich die Konkurrenz ein wenig auf. Das ZDF-„heute-journal“ ist stolz, dass der bekannte und geschätzte „Anchor“ Claus Kleber bleibt, der umgehend beteuert, „das beste TV-Magazin“ noch „wahrer, klarer, mutiger und handwerklich besser“ machen zu wollen. Bald zieht er um in ein virtuelles Studio. Dezent sprechen die Mainzer in eigener Sache vom „erfolgreichsten Nachrichtenmagazin im deutschen Fernsehen“, das „deutlich vor den ,Tagesthemen‘“ liege, „die rund 900 000 Zuschauer weniger haben“. Wie immer man die Zahlen auslegt, fest steht: Wenn ARD und ZDF am 2. Januar auf 30 Jahre öffentlich-rechtliche News-Magazine blicken, ist der Konkurrenzkampf zwischen „Tagesthemen“ und „heute-journal“ eher stärker als schwächer geworden.

Das Meinungsforschungsinstitut Forsa stellt zudem – wenig überraschend – fest, dass die ZDF-Moderatoren Claus Kleber und Marietta Slomka bekannter sind und für kompetenter gehalten werden als Tom Buhrow und Caren Miosga. Da will RTL nicht abseits stehen und verkündet, das Jahr 2007 sei für das „RTL-Nachtjournal“ das „erfolgreichste Jahr seit seiner Einführung 1994“ gewesen. Es sei das einzige Nachrichtenmagazin, das bei den Zuschauerzahlen zulege und „seine führende Position bei den Marktanteilen“ ausgebaut habe.

Tatsächlich ist die Lage so: Das „heute- journal“ ist mit etwa 3,4 Millionen Zuschauern (rund zwölf Prozent Marktanteil) das meistgesehene News-Magazin; 2,2 bis 2,4 Millionen Zuschauer sehen die ARD-„Tagesthemen“ (zehn Prozent Marktanteil), 1,25 Millionen das „RTL-Nachtjournal“, was zu diesem späten Sendetermin einen Marktanteil von 14,5 Prozent ausmacht. Auf längere Sicht gesehen nimmt der Zuschauerzuspruch für beide öffentlich-rechtlichen Formate kontinuierlich ab, und sie tun sich schwer mit jüngeren Zuschauern. Im direkten Vergleich aber hat das „heute-journal“ die Nase knapp vorn. Generell wird es von Frauen besser bewertet.

Bereits am 6. November haben die ARD-Chefredakteure zu den „Tagesthemen“ ein „Monitoring“ ihrer Medienforschung erörtert. Es zeigt, dass „die Bewertung mit sehr gut eher verhalten“ ausfallen und bei der Moderation „an den Einzeltagen recht stark variiert“. Aufmacher wie „Sommerreise Kurt Beck“ (14. August) kommen bei den Testzuschauern schlecht weg. Zugleich durchschauen sie Beiträge wie „Steinmeier in Brandenburg“ (21. August) als „Werbung für Politiker“. Auch sinnlose „bunte“ Berichte wie „Eisliebe der Japaner“ werden abgelehnt. Positiv bewertet werden Beiträge, die emotional sind, nützlich, hintergründig und mit „Fallbeispielen“ arbeiten. Viele wollen ausführlicher informiert werden und plädieren für eine frühere Sendezeit.

Damit legen die Testseher den Finger tief in die Wunde des größten hausgemachten Problems. Statt die „Tagesthemen“ zu hegen und zu pflegen, lässt die quotenorientierte ARD-Programmdirektion das Magazin wie ein „Schlüsselkind“ durch das Programm vagabundieren. An sieben Tagen fünf verschiedene Anfangszeiten – das ist das Resultat der letzten ARD-Programmreform. Wenn dann noch José Carreras Gutes tut oder die Burda-Dauerwerbesendung „Bambi“ das Erste verstopft, wird der Informationsauftrag auch schon mal um eine volle Stunde verschoben.

Da ist Abhilfe nötig, aber nicht in Sicht. Dafür haben sich die Verantwortlichen intern rasch auf ein paar Reförmchen geeinigt. Der Magazincharakter soll unterstrichen, der Unterschied zur Nachrichtenaddition in der „Tagesschau“ deutlicher werden. Statt sklavischer kleinteiliger „Tagesaktualität“ sollen mehr Schwerpunkte gesetzt werden. Der Kreis der Autoren soll verkleinert und mehr Wert auf interessante Filme gelegt werden. Die Texte sollen verständlicher werden. An den täglichen Kommentaren allerdings, die in der internen Diskussion selbst einige ARD-Chefredakteure als bisweilen „quälend“ charakterisierten, soll nicht gerührt werden. Sie sind eine Bühne für die Hierarchen. Einige würden keinen Redigierkurs passieren.

Auch wenn die Veränderungen klein wirken, eine Besinnung auf das Handwerk und die ursprüngliche Idee wird dem Magazins gut tun. Nicht auf die Ansammlung von Meldungen sollte es ankommen, sondern auf deren Strukturierung. Dazu müssen die Filmbeiträge mehr bieten als eingesammelte Politiker- O-Töne. Neugierige Reporter sind nötig, die auch auf das klassische Politikgeschehen in Berlin einen zweiten Blick zu werfen wagen. Filme sind mehr als Textillustrationen; sie können die Zuschauer auch dann bewegen, wenn sie auf vordergründige Effekte verzichten.

Zur Ursprungsidee gehört auch, dass ein besonders erfahrener Journalist als „Anchor“ durch die Sendung führt. Er soll die Zuschauer anregen, knappe Interviews kritisch führen und erklärend durch den News-Dschungel manövrieren. Hier hat die ARD ein Problem. Die Zuschauer monieren „mangelnde Lockerheit“ der Moderatoren. Tatsächlich geht es um Vertrauen und Charisma. Blasse Anstaltsfunktionäre werden diese geheimnisvolle Qualität nie erreichen. Sie hat mit Lebenserfahrung und Stil zu tun. ZDF-„Anchor“ Claus Kleber ist deutlich narrativer, ja wirkt so, als habe er im Überschwang manchmal Mühe, sich selbst im Zaum zu halten, während Tom Buhrow, bei dem die „Missionen heikel“ sind und „die Kanzlerin zurückrudert“, noch immer nicht die Worthülsengiftliste gelernt hat.

SWR-Intendant Peter Boudgoust mahnt zu Veränderungen „mit Augenmaß“, weil er eine „allgemeine Tendenz zur Entpolitisierung der Gesellschaft“ ausgemacht hat, mit der man sich „intensiv befassen“ müsse. Wäre dies in der Vergangenheit nicht so häufig nur ein Hinhalteargument gewesen, könnte man ihm recht geben. Alle Berichterstatter spüren, dass es nicht mehr reicht, das Handeln der politischen Akteure nachzuerzählen. In einer großen Koalition sind alle Hegemoniekämpfe von Bekenntnissen zum Konsens begleitet. Da liegen parteipolitische Taktiken nicht auf der Hand. Sie müssen erklärt werden, was viele Zuschauer aber generell langweilig finden. Wie kann man interessant vom Koalitionsausschuss berichten? Das ist eine keineswegs triviale Frage. Oft liegt die populistische Versuchung nahe, jeden Machtkampf per se als verwerflich darzustellen. Berichterstatter sind auf der Suche nach der Gesellschaft, auf die Politik sich bezieht. Allzu leicht unterliegen sie dabei dem Irrtum, jedwede Politik auf Sozialpolitik zu verengen und den Bürger nur noch über sein Portemonnaie anzusprechen. Das Geflecht von Institutionen, Einfluss und Legitimation bleibt dabei auf der Strecke.

Forschung, Bildung und Kultur werden als bedeutend beschworen, aber – wie in der Politik selbst – auf Randplätze abgedrängt. Beliebte Beiträge stammen stattdessen von Tankstellen, an denen Autofahrer zu hohen Benzinpreisen befragt werden, oder aus dem Wartezimmer, aus dessen Perspektive allein auf die Gesundheitsreform geschaut wird. Zu solchen „News to use“ bekennt sich RTL, und auch das ZDF kokettiert damit gehörig. Allein – dem Desinteresse an Politik wirkt man so kaum entgegen.

Schwerer ist es, Paradigmenwechsel zu erklären, wie sie soeben zum Beispiel in der Stammzellenforschung vollzogen wurden, ebenso im Scheidungsrecht und womöglich bald auch bei den Rechten für Kinder. Wo doch schon immer weniger Zuschauer die Nachrichten verstehen. Zudem müssten diese – das ahnen viele Politikredakteure – eigentlich viel internationaler sein. Eine weitgehend auf Krisen, Kriege und Katastrophen fixierte Auslandsberichterstattung hält mit der tatsächlichen Globalisierung kaum Schritt.

Jenseits der kleinen, schnellen Reformen und der etwas hämisch ausgetragenen Senderkonkurrenz hat das Fernsehen – und die ARD-„Tagesthemen“ gern an vorderer Stelle – genug Anlass, sich mit ernsten Problemen der Politikvermittlung zu beschäftigen. Es darf gern unterhaltsam, verständlich und von charismatischen Journalisten geprägt sein, wenn es den flockigen Versuchungen zum Populären widersteht und sich zu sachgerechter Komplexität bekennt.

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