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Autorenfoto von Anna Sauerbrey

© Kai-Uwe Heinrich

Netzkolumne: Datentransparenz - Wohnungssuche im Internetzeitalter

Unsere Autorin suchte nach einer Wohnung auf Zeit in in den USA. In Philadelphia, wo viel mehr staatliche Daten öffentlich ins Netz gestellt werden, fand sie ein Zimmer mit Einblick.

Von Anna Sauerbrey

Für den Sommer suchen wir eine Wohnung auf Zeit in Philadelphia. Deshalb habe ich mich bei einer Immobilienbörse für Zwischenmieten angemeldet. Die Wohnung von A. in der Waverly- Street fand ich gleich sympathisch. „Sehr klein“, warnte die Vermieterin fairerweise, aber nur ein paar Blocks entfernt von der Freiheitsglocke. Auf den Fotos waren weder Lavalampen noch ranzige Ledersofas zu sehen. „Die Wohnung ist noch zu haben“, schrieb A. „Lass uns die nehmen“, sagte ich zu meinem Mann. Mein Mann sagte: „Sag’ noch mal die Straße“, und dann hörte ich ihn tippen.

Google Maps verriet uns, dass es in der Umgebung eine Webdesign-Firma, eine private Kinderwunschpraxis und einen Imbiss namens „Sumo Sushi“ gibt. „Klingt nach Mitte“, meinte ich. „Ist doch okay.“ Mein Mann klickte auf das Street- View-Symbol und schwupps standen wir mitten auf der Straße: Kleine Backsteinhäuser, ein Pick-up, Rosenranken. "Hübsch“, sagte ich. „Das sind aber viele Mülltonnen“, sagte mein Mann und tippte weiter. Als Nächstes landeten wir auf www.city-data.com, dort kann man sich die öffentlichen Sozialstatistiken Block für Block anzeigen lassen. Hach, ja, Amerika, dachte ich: staatliche Datentransparenz vom Feinsten. Rund um A.s Wohnung liegt das Haushaltseinkommen im Schnitt bei 83 000 Dollar und damit rund 50 Prozent über dem Durchschnitt. 79,9 Prozent der Menschen in der Straße sind weiß, sieben Prozent schwarz, vier Prozent haben asiatische Wurzeln. Nur ein Drittel haben eine Familie, das Durchschnittsalter ist 36, die Arbeitslosenquote ist niedrig.

„Sag’ ich doch: Mitte“, meinte ich, „lass uns buchen“, aber mein Mann war jetzt schon bei www.crimereports.com. Dort kann man Straftaten auf einem Stadtplan lokalisieren. In den größeren Straßen rund um die Waverly Street ist die Anzahl von Diebstählen mit die höchste in ganz Philadelphia. „Kein Wunder“, sagte ich. „Da laufen ja auch die ganzen Touristen auf dem Weg zur Freiheitsglocke durch.“ In der Waverly Street selbst gab es nur ein Symbol. Mein Mann klickte das Dreieck an, ein Fenster öffnete sich, es zeigte ein Foto von Herrn M. M. trägt ein gestreiftes Shirt, er ist um die 40. Neben dem Foto steht, wie groß er ist und seine genaue Adresse. Über dem Foto steht: „Registered Sex Offender“ – Herr M. wurde wegen eines Sexualverbrechens verurteilt. Ich stellte mir vor, wie ich abends bei „Sumo Sushi“ um die Ecke hinter Herrn M. in der Schlange stehe. „Lass uns noch einmal drüber schlafen“, sagte ich. Ich ging ins Bett und träumte, wie Herr M. im Pick-up über den Planeten Google rast, verfolgt von einer aufgebrachten Menschenmasse, die ihn mit California Rolls bewirft.

Am nächsten Morgen fand ich eine Mail von A. in meinem Postfach: Leider habe jemand anderes gebucht. Das sei sehr schade. Nach dem zu urteilen, was sie über uns im Netz gefunden hätte, wären wir sicher gute Untermieter gewesen.

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