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Familienbande. Linkspolitiker Gregor Gysi und seine Schwester, die Schauspielerin Gabriela Gysi (Mitte), erzählen von der gemeinsamen Kindheit. Moderatorin Sandra Maischberger lächelt sich eins.

© WDR/Max Kohr

Neues Talk-Format mit Sandra Maischberger: Gregor, Gysi, glücklich?

„Ich stelle mich“ im WDR: Das Format passt auch zu Sandra Maischbergers neuem Talkplatz im Ersten. Gregor Gysi erklärt gleich mal, wie eine gute Ehe funktioniert.

Das Fernsehen sollte ganz schnell eine Castingshow veranstalten. Nicht, um das beste Gesangstalent zu suchen oder den geschicktesten Equilibristen, nein, es geht um einen würdigen Ersatz für Gregor Gysi. Der will im Herbst den Fraktionsvorsitz der Linkspartei im Bundestag aufgeben, der Politiker überlegt zudem, ob er für den nächsten Bundestag wieder kandidieren will. Seine Feinde werden den „Nachlassverwalter des Bösen“, sprich der DDR und der SED, von Stasi und Unfreiheit nicht vermissen; seine Freunde werden sich die politische Arena nicht ohne ihren „Robin Hood der Ostdeutschen“ vorstellen können. Das Fernsehen aber braucht Typen wie den 67-jährigen Berliner ganz unbedingt. Er ist blitzschnell im Kopf, er ist ein Rhetoriker, prägnant, charmant und pointiert, immer für einen auffälligen Satz oder quicklebendige Sentenzen gut. Gysi weiß mit dem Medium umzugehen, das Fernsehen und er, sie sind sich alles andere als spinnefeind – sie nicken einander zu.

Und Gysi, kann er ohne Fernsehsonne, in der er mitstrahlen und mitglänzen kann? Lothar de Maizière, als CDU-Politiker sein politischer Kontrahent und trotzdem sein Freund, sagt, Gysi halte keine 14 Tage ohne Kamera aus. Gregor Gysi sagt da nichts, er scheint zwischen der Sucht nach öffentlicher Aufmerksamkeit und der Sehnsucht nach Abstand zu schwanken. Offenbar wird das in der Sendung „Ich stelle mich“, dem WDR-Format mit Sandra Maischberger, das schon im Titel eine Herausforderung für jeden Gast sein will. Die Journalistin, das Publikum, sie wollen Antworten über den Tag hinaus.

„Wenn ich 1989 gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich es nicht gemacht“?

Es liegt einige Raffinesse darin, wie die Stunde Sendung den Gast von allerlei Seiten beäugt, ihm Hürden baut, auf dass es nicht eine Gregor-Gysi-Selbstdarstellungsshow wird. Seit einem Vierteljahrhundert prägt der Berliner die Opposition im Bundestag. Die Folgen des Lebens als Vollblutpolitiker: Freundschaften und Ehen zerbrachen, drei Herzinfarkte, eine schwere Gehirnoperation. Stimmt es, als er sagt: „Wenn ich 1989 gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich es nicht gemacht“? Seine engste Freundin seit der Schulzeit und Kommilitonin im Jurastudium, Barbara Erdmann, ist überzeugt: „Ohne Politik wäre er glücklicher geworden.“ Gysi schweigt, aber da er nun ein ausgewiesener Dialektiker ist, bleibt es offen, ob Gysi zustimmend oder ablehnend schweigt.

Erdmann ist ein Gast, Gysis Schwester, die Schauspielerin Gabriele Gysi, ein weiterer, Lothar de Maizìère ist der Dritte im Bund der Gregor-Gysi-Exegeten. Die Auswahl zeugt von der Absicht, dass das Publikum weniger den Politiker als den Menschen Gregor Gysi besser kennenlernen soll. Es geht in Bild und Ton, mit den Aussagen erst der Schwester, dann der Freundin und de Maizières weit zurück in der Biografie. Wieso ist Gregor Gysi, Sohn des DDR-Kulturministers Klaus Gysi, nicht Schauspieler geworden, wie seine Mutter es sich wünschte?

Solcherart ist der biografische Scherenschnitt, es wird berichtet, ein bisschen viel Anekdotenschleuderei ist dabei, glorifiziert wird wenig. Gysi hört zu, und wenn er ein Aperçu zum Gysi-Narrativ beisteuern kann, dann steuert er es bei. Ein, sein Leben wird besichtigt. Von der Kontur eines Menschen geht es zur Fein-, nein, nicht zur Weichzeichnung.

Atemlos wird, was den langen Atem braucht

Was in der modernisierten Form des WDR-Klassikers „Ich stelle mich“ mit Claus-Hinrich Casdorff verblüfft, ist die dramaturgische Hektik. Kaum hat eine Fragerunde Fundament gefunden, wird die Besetzung gewechselt oder ein neues Sendeelement gezogen. Ganz so, als würde sich das Format selbst das Misstrauen aussprechen - oder der nachgewiesenen Fragekunst der Sandra Maischberger. Atemlos wird, was den langen Atem braucht. Merkwürdiger Höhepunkt dabei: Mit dem „FAS“-Wirtschaftsjournalisten Rainer Hank soll sich Gysi im „Rede-Duell! über mehr Umverteilung durch Millionärssteuer, höhere Erbschaftssteuer oder mindestens 500 Euro Hartz IV streiten. Wirklich Zeit ist nicht, also fliegen die Wortpfeile durchs Studio, auf dass einer den anderen in Rekordzeit rhetorisch zu Boden bringt. Eine weitenteils Zeit vergeudende Hahnenkampf-Simulation.

Schließlich erklärt Gregor Gysi bei der „Ich stelle mich“-Aktion, wie eine gute Ehe funktioniert. Ein grandioses Solo. Klar wird, dass Gysi nach seiner politischen Karriere wieder als Scheidungsanwalt, wenn nicht als Mentor arbeiten kann. Auch fehlt die Frage nicht, wie es Gregor Gysi nun mit der Stasi gehalten hat. Da bohrt Maischberger nicht tief, Gysi kann schnell und schlussendlich zu seiner Position finden, er habe bisher alle Prozesse gewonnen, in denen er gegen die Behauptungen einer Komplizenschaft mit dem MfS vorgegangen war. Sandra Maischberger ist's zufrieden. Nein, „Ich stelle mich“ ist kein Kreuzverhör, es ist eine Personality-Show. Dem Gast wohl, dem erweiterten Interesse an seiner Person zur Genüge. Unterhaltung und Information suchen den Gleichschritt.

Sandra Maischberger wird mit ihrer ARD-Talkshow „Menschen bei Maischberger“ Anfang 2016 von Dienstag nach Mittwoch wechseln. Zugleich soll am bisherigen Wundertüten-Konzept gearbeitet werden. Deswegen dieser Vorschlag: Ob nicht – hin und wieder – das reine Gesprächsformat mit einem leicht novellierten „Ich stelle mich“-Format abwechseln kann? Ein größerer Härtegrad, mehr Michel Friedman: „Hard Talk. Mit Sandra Maischberger“.

„Ich stelle mich: Gregor Gysi“, WDR-Fernsehen, Sonntag, 21 Uhr 45

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