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Streit unter Eidgenossen. Die Abstimmung über die „No Billag“-Initiative findet zwar erst am 4. März 2018 statt, aber die Gegner und die Fans der Gebührenfinanzierung für den öffentlichen Rundfunk in der Schweiz haben längst mobilgemacht.

© picture alliance/KEYSTONE

"No Billag"-Initiative: Ende des Gebühren-Rundfunks in der Schweiz?

In der Schweiz steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf der Kippe. Die „No Billag“-Initiative fordert Abschaffung der Gebühren.

In Amerika sind am Dissens über Donald Trump bereits Ehen gescheitert. In der Schweiz könnte die ein oder andere Beziehungskiste oder langjährige Freundschaft demnächst an „No Billag“ zu Bruch gehen. Es geht um Sein oder Nichtsein des öffentlichen Rundfunks, der SRG/SSR, denn eine wachsende Zahl von Bürgern möchte per Volksabstimmung die Gebührenpflicht für Radio und Fernsehen kippen. Die Billag zieht in der Schweiz die Rundfunkgebühren ein und ist damit das Äquivalent zum Beitragsservice in Deutschland, der die Haushaltsabgabe eintreibt.

Am 4. März 2018 entscheidet das Stimmvolk in der Schweiz über die Initiative. Bereits jetzt, Monate vorher, tobt darüber in den Medien und in den sozialen Netzwerken eine heftige Auseinandersetzung. Dabei ist die Schweiz als kleine, viersprachige Nation wohl weit mehr auf funktionierende, verlässliche öffentlich-rechtliche Radio- und Fernsehangebote angewiesen als größere Länder – schon um eine minimale Integration der verschiedenen Sprachregionen zu sichern, aber auch, um die Bürger mit Nachrichten und Hintergrundwissen angemessen zu versorgen. Andererseits geht es, gerade weil Angebote in vier Sprachen gemacht werden müssen, mit bisher 450 Franken (rund 385 Euro) und künftig 365 Franken (rund 313 Euro) pro Jahr auch um den teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa. In Deutschland zahlt ein Haushalt 210 Euro pro Jahr für ARD, ZDF und Deutschlandfunk.

De-facto-Steuer empört viele Bürger

In Rage gebracht hat viele Bürger, dass die Gebühr – ganz ähnlich wie in Deutschland – in eine De-facto-Steuer umgewandelt wurde: Jeder muss bezahlen, ganz egal, ob er das Public-Service-Angebot nutzt oder ein TV-Totalverweigerer ist.

Bei rückwärtsgewandter Betrachtung sind inzwischen die Gründe obsolet, die vor knapp 100 Jahren zur Institutionalisierung des öffentlichen Rundfunks führten: Damals waren die Frequenzen knapp, heute ertrinken die Nutzer dank des Internets in einer Flut von Informations- und Unterhaltungsangeboten. Mündige Bürgerinnen und Bürger sollten nicht nur am Wahltag und bei Abstimmungen als mündig gelten, meinen die Initiatoren. Sie sollten eben auch selbst entscheiden dürfen, welche Medienangebote sie wahrnehmen und bezahlen wollen.

Nach vorne gewandt, könnte es allerdings sein, dass alle mehr denn je auf öffentlich finanzierte oder bezuschusste Medienangebote angewiesen sind – gerade weil der Einzelne nicht hinreichend zahlungswillig ist. Mit Blick auf hochwertigen Journalismus und Medienvielfalt ist es nämlich in der Schweiz, die vielen als „Insel der Seligen“ gilt, inzwischen zappenduster geworden. Seit Plattformen wie Google und Facebook den alten Medienunternehmen ihre Werbeerlöse entziehen und sich im Internet die Gratiskultur durchgesetzt hat, werden Redaktionen fast schon im Akkord zusammengelegt oder ausgedünnt. Wenn Nutzer für journalistische Angebote nicht mehr bezahlen wollen, lässt sich unabhängiger Journalismus kaum refinanzieren. Und wenn Medienunternehmen sich nicht mehr rentieren, werden sie entweder von den Großen der Branche geschluckt oder von Oligarchen aufgekauft, die dann politische Ziele verfolgen.

Es droht: "Blocher-TV"

Die Gegner der „No Billag“-Initiative malen deshalb bereits an die Wand, „Blocher TV“ werde demnächst die Schweiz dominieren. Gleichzeitig weitet der Übervater der rechtspopulistischen SVP sein Medienimperium auch auf dem Printmarkt systematisch aus, weshalb bereits das Schreckgespenst eines Schweizer Berlusconi kursiert. Jedenfalls ist bisher die Frage ungelöst, wie sich Medienvielfalt erhalten lässt.

Obendrein war das Musterland der direkten Demokratie selten so polarisiert: Für die einen geht es bei der SRG/SSR um ein Nationalheiligtum, für die anderen schlicht um eine Institution, die sich im digitalen Zeitalter überlebt hat. Die moderaten Stimmen der Vernunft werden dazwischen aufgerieben. Denn natürlich braucht das kleine Land den öffentlichen Rundfunkanbieter, und er sollte sich auch im Internet ungehindert entfalten dürfen. Er ließe sich jedoch fraglos verschlanken. Werbeverbote könnten helfen, um einerseits die journalistische Unabhängigkeit zu sichern und um andererseits nicht den notleidenden kommerziellen Wettbewerbern die Butter vom Brot zu nehmen. Die SRG/SSR könnte auch weit mehr tun, um die vier Sprachregionen zusammenzuhalten und um ihren Kernauftrag zu erfüllen – also um guten Journalismus zum Beispiel in der Auslands- oder Wissenschaftsberichterstattung zu sichern, statt mit den Privaten um Sportrechte und Unterhaltungsshows zu konkurrieren. Dass öffentlicher Rundfunk unentbehrlich ist, um Marktversagen zu korrigieren, würde auch in der Schweiz deutlich glaubwürdiger, wenn er seine anspruchsvollen Programme nicht spätabends versteckte.

Kippt das exzellente Mediensystem?

Libertäre und Rechtspopulisten sind drauf und dran, ein duales Mediensystem zu kippen, das unter Fachleuten einen exzellenten Ruf genießt: Das gilt nicht zuletzt im Blick auf die hochentwickelte Journalismuskultur bei der SRG. Sie erinnert an die BBC zu ihren besten Zeiten, also bevor sich diese mit mehreren Medienskandalen herumschlagen musste, die ihre Reputation beschädigten.

Immerhin gibt es in der Schweiz einen lebhaften öffentlichen Diskurs um die Medien-Zukunft. Obendrein stupst die Eidgenössische Medienkommission unter Führung des Medienforschers Otfried Jarren die Regierung in Bern immer wieder mit klugen Impulsen zur Gestaltung des Mediensystems. Somit besteht auch ein Hoffnungsschimmer. Wie nahezu alle Medienexperten, ist auch Jarren gegen „No Billag“. Er und seine Kommission lassen allerdings auch keinen Zweifel daran aufkommen, dass es gilt, in einer digitalisierten Welt neue, innovative Formen öffentlicher Journalismus- und Medienförderung zu entwickeln. Damit tut sich die Regierung in Bern noch erkennbar schwer. Andererseits scheinen in Deutschland die Beinahe-Jamaika-Koalitionäre noch nicht einmal gemerkt zu haben, welchen Handlungsbedarf es gibt. In ihren Sondierungspapieren widmeten sie den Medien gerade mal eine halbe Seite.

Um Fördermodelle für den Journalismus und die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht es auch in der jüngsten Buchpublikation des Autors: „Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde. Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet“ (Herbert von Halem Verlag).

Stephan Russ-Mohl

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