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Medien: Noch fünf Mal

Abschied von Harald Schmidt

Bildung und Leere

Solche Kränze wurden noch keinem Nobelpreisträger geflochten. Was sich nach der Mitteilung abspielte, dass Harald Schmidt seine Show nicht mehr auf Sat 1 weiterführen möchte, hat im deutschen Feuilleton keinen Vergleich. Mehrere Dutzend Edelfedern wetteiferten darin, Harald Schmidt am Harald- Schmidt-mäßigsten zu feiern. Der Nürtinger ist zum spindoctor dieses ziellos sinnsuchenden Zeitungsressorts geworden, er hat die Seinsgewissheit des Kulturmilieus auf den Punkt gebracht. Was findige Modernisierer versuchten, als sie das „Debattenfeuilleton“ einführten, hat Schmidt jedes Mal innerhalb weniger Minuten getoppt: Er hatte zu allem etwas zu sagen.

Zum führenden Zeitanalytiker aber wurde er, als das Licht ausging. Als minutenlang nichts zu sehen war, und zwar programmatisch. Auf dem Höhepunkt der Spaßgesellschaft und des Start-Up- Bewusstseins legte Schmidt den Schalter einfach um. Er machte Bildungsfernsehen. Er verlangsamte die Zeit. Manchmal erreichte er das Niveau der Nachtprogramme im Radio, als es dort noch Kulturkanäle gab; man starrte gebannt aufs magische Auge. Anhand schwierigster Laubsäge-Modelle stellte er Homers „Odyssee“ nach. Er legte den Finger auf eine der größten Wunden der deutschen Gesellschaft, auf die Leerstelle dessen, was Bildungsbürgertum hieß.

Jetzt machen sie überall ihren Konzeptjournalismus, überbieten sich in Diskurshoheiten und ahnen doch, dass dabei etwas nicht stimmt. Harald Schmidt foppte das Feuilleton, indem er immer noch einen Schritt weiter ging als es selbst, er dachte es zu Ende. Jedem, der ihn jetzt lobpreist, ruft er mit Rilke zu: „Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. / Du musst dein Leben ändern.“

Helmut Böttiger

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