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Medien: Operation Freispruch

Vor dem Hamburger Amtsgericht müssen sich drei Redakteure der Wochenzeitung "Die Zeit" verantworten, weil sie aus geheimen Vernehmungsprotokollen zitiert haben: Vernehmungsprotokolle, die darauf hinweisen, dass beim Abgang des Altkanzlers Helmut Kohl nach dessen Wahlniederlage im Jahr 1998 führende Mitarbeiter von ihm am Datenschwund im Kanzleramt beteiligt waren. Die Verwendung dieser Unterlagen hat nun ein gerichtliches Nachspiel.

Vor dem Hamburger Amtsgericht müssen sich drei Redakteure der Wochenzeitung "Die Zeit" verantworten, weil sie aus geheimen Vernehmungsprotokollen zitiert haben: Vernehmungsprotokolle, die darauf hinweisen, dass beim Abgang des Altkanzlers Helmut Kohl nach dessen Wahlniederlage im Jahr 1998 führende Mitarbeiter von ihm am Datenschwund im Kanzleramt beteiligt waren. Die Verwendung dieser Unterlagen hat nun ein gerichtliches Nachspiel. Am Donnerstag lehnten die "Zeit"-Redakteure einen Vorschlag des Gerichts ab, das Verfahren gegen ein Bußgeld einzustellen. Sie wollen einen eindeutigen Freispruch.

Vor der Amtsübergabe an Schröder waren im Kanzleramt zwei Drittel aller Dateien gelöscht worden und zudem große Aktenmengen verschwunden. Darunter befanden sich auch die Aufzeichnungen über die Lieferung von Fuchspanzern an Saudi-Arabien, den Verkauf von Eisenbahner-Wohungen und über den Bau der Leuna-Raffinerie - alles Themen, die seit geraumer Zeit einen Untersuchungsausschuss des Bundestages beschäftigen. Dabei geht es bekanntlich um die brisante Frage, ob Entscheidungen der Bundesregierung käuflich waren, etwa durch besondere Spenden an die CDU.

Im vergangenen Jahr hat daraufhin der gegenwärtige Staatssekretär im Kanzleramt, Frank-Walter Steinmeier, den renommierten Liberalen Burkhard Hirsch mit Vorermittlungen beauftragt. Hirsch hörte in vier Monaten 79 Zeugen. Das Ergebnis, so schrieb Robert Leicht damals in der "Zeit", "ist atemberaubend und ohne Beispiel in der deutschen Staats- und Regierungspraxis - es sei denn man scheute sich nicht, die hektische Aktenzerstörung der Stasi-Funktionäre nach dem Fall der Mauer zum Vergleich heranzuziehen". Der Hirsch-Report wurde veröffentlicht. Allerdings nicht ein geheim gehaltener Anhang mit zahlreichen Zeugenmitschriften.

Diese Protokolle kamen im Sommer des vergangenen Jahres in den Besitz der "Zeit". Am 20. Juli 2000 erschien in der (wie der Tagesspiegel zur Verlagsgruppe Holtzbrinck gehörenden) Wochenzeitung ein Artikel mit der Schlagzeile "Operation Löschtaste" und der Unterzeile "Wer befahl die Vernichtung der Daten und Akten im Kanzleramt? Geheime Vernehmungsprotokolle des Sonderermittlers Hirsch zeigen: Die Spur führt zu Kanzleramtschef Bohl". Darin berichtete die "Zeit" ausführlich über die Protokolle und zitierte ebenso ausführlich daraus. Während Kohl und Friedrich Bohl bis heute versichern, es habe keine zentrale Anweisung zur Datenlöschung und Aktenvernichtung gegeben, zeigt der Bericht der "Zeit" über die geheimen Protokolle ein anderes Bild. Nach den Aussagen der Zeugen steht für die "Zeit"-Redakteure fest: "Die Löschung geschah zentral, heimlich und flächendeckend. Sie unterschied nicht nach Dokumenten, und sie sollte unwiderruflich sein. Sie war kriminell. Und ihr gingen Gespräche voraus." Hirsch hatte seine Unterlagen an die Bonner Staatsanwaltschaft gegeben, die das Verfahren gegen die Verantwortlichen im Kanzleramt Helmut Kohls einstellen wollte. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde des Freiburger Politikwissenschaftlers Wilhelm Hennis, der sich 11 000 Leser der "Zeit" anschlossen, rief die Generalstaatsanwaltschaft Köln auf den Plan. Die Kölner wiesen die Bonner im Sommer dieses Jahres an, die Ermittlungen weiterzuführen.

Bereits einen Tag nach der Veröffentlichung in der "Zeit" erstattete der Büroleiter Friedrich Bohls Anzeige gegen die verantwortlichen Redakteure. Die Anklage: In einem Artikel "amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens und eines Disziplinarverfahrens in wesentlichen Teilen im Wortlaut" noch vor der öffentlichen Verhandlung zitiert zu haben.

Johann Schwenn, der einen der Redakteure verteidigt, geht es um ein grundlegendes, durch die Verfassung geschütztes Recht. Er sagt: "Die Angeschuldigten haben das getan, was ihre Aufgabe ist." Dies ist auch der Grund, weshalb die angeklagten Redakteure am Donnerstag die Einstellung des Verfahrens gegen ein Bußgeld abgelehnt haben und auf eine grundsätzliche Klärung pochen. Das Urteil wird voraussichtlich am Freitag nächster Woche gesprochen.

Karsten Plog

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