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Nachrichten üben einen großen Einfluss auf die Börse aus. Einen Vorwurf müssen sich Journalisten dieses Mal jedoch nicht machen: dass sie zu euphorisch waren. Foto: dpa

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Panikmache an den Märkten: „Ich halte nicht viel von Glaskugeln“

Klare Fragen, schwierige Antworten: „Finanztest“-Chefredakteur Hermann-Josef Tenhagen über die mediale Panikmache an den Aktienmärkten.

Herr Tenhagen, haben Sie diesen Kursrutsch erwartet?

Nein. Es war klar, dass weder die amerikanischen Schuldenprobleme noch die Probleme in Europa gelöst sind. Doch was in den letzten zehn Tagen so ratzfatz passiert ist, habe ich nicht erwartet.

Warum hat die Entwicklung die Marktbeobachter so überrascht?

Die aktuelle Entwicklung betrifft den Aktienmarkt. Während des Frühjahrs haben wir viel geschrieben über die europäischen Schulden und die Frage, ob man noch griechische Staatsanleihen kaufen kann. Obwohl der Kleinanleger schon zu der Zeit keine griechischen Staatsanleihen hatte. Von daher haben sich die meisten von uns Wirtschaftsjournalisten mit den Aktienmärkten nicht so intensiv beschäftigt. Der Wirtschaftsjournalist hat eher gesehen, dass zum Beispiel BMW mehr Umsatz und Gewinn macht und der Aktienkurs steigt. Und was sich gerade auf dem US-Markt zusammenbraut, wird dann von den Kollegen in der Politik betreut. Die in Deutschland immer noch übliche Trennung in Politik und Wirtschaft ist an der Stelle nicht so hilfreich.

Die Wirtschaftsmagazine haben die Entwicklung nicht erkennen lassen. „Capital“ fragt: „Wurden Sie heute schon gehackt?“, in der „Wirtschaftswoche“ wird die Frage gestellt „Immobilien: Chance oder Blase?“, und Ihre Zeitschrift „Finanztest“ behandelt das Titelthema Gebäudeversicherungen. Heißt das, dass man derzeit keine klaren Antworten weiß?

Für unsere Zeitschrift mit einem zweiwöchentlichen Vorlauf von der Produktion bis zur Auslieferung gilt, dass wir keine kurzfristige Börsenanalytik machen. Vor dem letzten Heft haben alle über Griechenland geredet und niemand über US-Schulden. Vor allem war nicht abzusehen, ob sich Amerika in dieser Frage nicht substanziell einigt. Niemand bezweifelt, dass die Amerikaner die Schulden zurückzahlen können. Die Frage ist, ob sie sie zurückzahlen wollen.

Für den Anleger stellen sich ganz andere Fragen. Was sagt die derzeitige Situation über den Wert von Vorhersagen aus?

Ich halte nicht viel von Glaskugeln. Was man hat, sind harte Werte. Wir schauen uns zum Beispiel an, wie gut in den letzten fünf Jahren ein bestimmtes Fonds-Management war. Und dann wird wie in der Fußball-Bundesliga argumentiert. Wer im letzten Jahr Meister geworden ist, wird in diesem Jahr nicht absteigen. Bei Fondsmanagern schauen wir zurück auf die letzten fünf Jahre, zu der auch die Krise von 2008 gehört. Und wer dann immer noch zu den Besten gehört, der hat bewiesen, dass er auch mit Krisen umgehen kann.

Schwarzer Freitag, Schwarzer Montag, Panik an den Börsen, lauten die Schlagzeilen. Wie seriös gehen die Medien mit der Krise um?

Solche Paniküberschriften sind per se nicht seriös. Vor allem nicht vorher, weil man nicht weiß, was am nächsten Tag tatsächlich passiert. Natürlich konnte man nach der Abwertung der amerikanischen Staatsschulden durch Standard & Poor’s aufschreiben, welche Bedenken es gibt und was nach Eröffnung der Märkte am Montag passieren kann. Man hätte vielleicht etwas mehr über Standard & Poor’s erklären sollen, und warum Moody’s diesen Schritt nicht gegangen sind. Man hätte erklären können, welche Rolle Ratingagenturen überhaupt haben und seit wann sie diese spielen. Und auch, dass diese Rolle ihnen vom Staat zugebilligt worden ist. Das wäre hilfreich gewesen.

Aber das entsprach nicht unbedingt dem, was zu lesen oder zu sehen war?

Da wird zum Teil übers Ziel hinaus geschossen. Mir ist das aber vor allem nicht erklärend genug. Am Montagabend gab es in der ARD einen Brennpunkt zur Krise an den Märkten. Als der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, nicht kam, standen die völlig im Regen. Es kann doch nicht sein, dass sich die ARD in ihrem Brennpunkt vom Chefvolkswirt der Deutschen Bank erklären lassen muss, wie die Welt zu sehen ist. Ich bin der Meinung, dass man den Leuten immer wieder das Grundlegende erklären muss. Das mag sich für manchen langweilig anhören, ist es aber nicht.

Anderes Thema, welchen Einfluss hat das Internet auf die derzeitige Entwicklung?

Man kann ja bei Facebook oder Twitter einen Account haben und muss deswegen noch lange nicht die eigene Investment-Entscheidung der Maschine überlassen. Wenn ich Geld anlege, muss ich mich schlaumachen. Geld anlegen ist Arbeit, das muss man den Leuten sagen. Und dann darf man nicht irgendwelchen Trends hinterherlaufen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Das gilt genauso für die Frage, welche Aktie ich kaufe, genauso wie für die Frage, ob ich eine Eigentumswohnung kaufen soll.

Zeitschriften wie auch „Finanztest“ wollen den Menschen Orientierung geben. Können Sie den Anlegern in der derzeitigen Situation überhaupt Ratschläge erteilen?

Wir sagen den Leuten zuerst einmal, sie sollen ruhig bleiben. Zudem kommt es in einer Krise wie jetzt immer auch darauf an, um welche Art von Geld es sich handelt und wie lang die Perspektive ist. Da gibt es etwas ganz Grundlegendes. Die allererste Aufgabe eines Anlegers ist, sich einen ganzen Haufen Fragen zu stellen, wer man eigentlich ist. Erst dann kann man auf diese vielen Fragen Antworten kriegen. Empfehlungen für alle gleichermaßen können eigentlich nie richtig sein.

Und welche Ratschläge haben Sie für andere Wirtschafts- und Finanzjournalisten?

Ich würde nach Geschichten suchen, einen Anleger mit seinen konkreten Problemen begleiten. Ich würde über dessen Entscheidungsfindung berichten und welche Informationen ihm zur Verfügung stehen. Das ist für den Alltag sehr wichtig, und zwar nicht für den Börsenheini, sondern zum Beispiel für einen Studienrat, der 50 000 Euro im Depot hat.

Hat man aus anderen Krisen und geplatzten Blasen gelernt?

Man kann ja alles Mögliche sagen, aber euphorisch war die Finanzberichterstattung der letzten drei Jahre nirgends. Keiner der seriösen Finanzjournalisten in der Bundesrepublik muss sich dem Vorwurf aussetzen, in irgendeiner Weise euphorisch über Finanzmärkte berichtet zu haben. Wenn überhaupt, wurde eher sehr früh von Krise geschrieben. Dass sich die Märkte erst nicht so verhalten haben und nun rasant schnell so entwickeln, kann man aber nicht den Journalisten zum Vorwurf machen. Das ist ein großer Unterschied zu 2001 und 2002 und auch zur Zeit vor dem Lehman-Zusammenbruch von 2008.

Das Interview führte Kurt Sagatz.

Hermann-Josef

Tenhagen
ist seit 1999 Chefredakteur der Zeitschrift

„Finanztest“, die zur Stiftung Warentest

gehört.

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