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© ARD/ZDF/RTL/SAT1

Politik im TV: Neues Wahlfernsehen braucht das Land

Besser ein leerer Stuhl als leere Moderatorenworte in einem ereignislosen Duell – Zehn Regeln für den TV-Wahlkampf 2013

In vier Jahren zur nächsten Bundestagswahl soll alles wieder neu erfunden werden. Wie berichten? Welche neuen TV-Formate erfinden? Wie die Wahlalternativen vorstellen? Wie die Bürger informieren ohne sie zu langweilen? Damit die Lehren aus dem TV-Wahlkampf 2009 nicht verloren gehen, haben wir zehn goldene Regeln aufgestellt.

Die Menge macht’s nicht: Im TV-Wahlkampf gab es zwei Highlights:die ARD-Dreierrunde mit Jürgen Trittin, Guido Westerwelle und Oskar Lafontaine und der Streit zwischen Peer Steinbrück und Karl-Theodor zu Guttenberg bei „Anne Will“. In beiden Fällen lag das vor allem an den Gästen, an ihrer inhaltlichen Kontroverse. Beide Sendungen hatten nichts mit den vielen extra erfundenen schicken neuen Formaten zu tun.

Das „TV-Duell“ ist am Ende: Nicht nur wegen der großen Koalition und des gemäßigten Charakters beider Diskutanten ist dieses Format am Ende. Nie mehr eine Sendung, in der mehr Moderatoren als Befragte ein Studio bevölkern – es sei denn, ein Spitzenpolitiker ist noch bereit, sich einem „Kreuzverhör“ zu stellen.

Weniger Kungelei, mehr Selbstbewusstsein: Natürlich kann kein Politiker gezwungen werden, Einladungen anzunehmen. Es muss Absprachen geben. Aber dennoch können die Redaktionen das Spiel hinter den Kulissen häufiger offenlegen. Warum kein Junktim: Ins „Duell“ darf nur, wer sich auch der Opposition stellt? Die Sender dürfen renitenten Diskussionsverweigerern ruhig mit einer Politik des „leeren Stuhls“ drohen.

Moderatoren sollten an den Antworten interessiert sein: Nicht Beweise der Respektlosigkeit, des Witzes oder der eigenen Schlagfertigkeit sind für die Moderatoren der Zukunft wichtig, sondern die inhaltliche Substanz. Sie sollen nachhaken, sich an Fakten orientieren, offene Fragen stellen – und vor allem: sich für die Antworten interessieren.

Die Politik mit den „großen“ Zukunftsfragen konfrontieren: Wenn die Politik lagerübergreifend die „großen“ gesellschaftlichen Fragen – von der Entkoppelung von Wachstum und CO2-Emission über die Staatsverschuldung bis zum Militäreinsatz in Afghanistan – bewusst ausklammert und sich in Programmen und Auftreten den traditionellen Strukturen und Antworten des vergangenen Jahrhunderts verhaftet zeigt, dann muss der Journalismus darüber nicht nur berichten, sondern diese Fragen selber konfrontativ thematisieren. Bildung muss raus aus den Sonntagsreden. Wer die Struktur der Erwerbsarbeit, den ökologischen Verkehr oder ressourcensparendes Produzieren nicht thematisiert, beschäftigt sich letztlich nur mit Zweitrangigem.

Ganz ohne Intellektuelle geht es nicht: Parteienforscher gibt es genug im Fernsehen, aber schon von Wissenschaftlern, die sich durchaus populär und verständlich mit gesellschaftlichen Fragen befassen – ob sie Claus Leggewie, Harald Welzer, Jutta Allmendinger oder Herfried Münkler heißen – koppelt sich das Fernsehen zunehmend ab. Es steckt in einer selbst gebastelten Popularitätsfalle, die ihm auf Dauer nicht gut tut.

Weniger Parteitaktik, mehr gesellschaftliche Neugier: Natürlich sind die konkreten Machtperspektiven und neuen Koalitionen im Übergang zur etablierten Fünf-Parteien-Landschaft interessant. Aber noch interessanter ist es auszuloten, was dies gesellschaftlich bedeutet. Wie kämpfen Grüne und Liberale um die urbanen Mittelschichten? Gibt es auch Aufsteiger, für die die Linkspartei attraktiv ist? Suchen katholische Konservative auf dem Land neue Orientierungen? Welche Interessen dominieren die SPD an der Basis?

Der Zuschauer ist Wähler, also Bürger und nicht Kunde: Wenn die Parteien schon die Bürger ansprechen wie um Kundengunst werbende Markenartikler, dann verwundert es nicht, wenn diese sich auch passiv konsumierend verhalten. Letztlich soll dann „das Portemonnaie“ die Wahlentscheidung treffen. Wohlstandsversprechen sind der Kitt unserer Demokratie. Aber wie lange noch? Viele neue Formen wie Wahlstraßen, Wahlarenen, Townhall-Meetings, Video-Fragen und andere interaktive Möglichkeiten wurden erprobt. In der Summe: viel guter Wille bei den Sendern, aber noch wenig substanzieller Gewinn.

Filmemacher in die Politik: Das ARD-Portrait der Kanzlerin war filmischer als das des ZDF. Solche Filme kann kein Korrespondent nebenbei machen. Die Inszenierungsherrschaft durchbrechen, Ungewöhnliches beobachten, Impressionen, Basiserkundungen bei den Parteien; eine Langzeitdokumentation vom Leben und Bangen der Opelaner, Darstellungen des Alltags im Bachelor-Studium oder in Afghanistan – damit solche Fragen berühren, müssen im optischen Medium die klugen Filmemacher nach vorn. Sie können etwas, was die Tagesjournalisten nicht können. Gerade zu Wahlzeiten gehören sie in die politische Berichterstattung. Von Opel über den Niedriglohnsektor bis Afghanistan. Es soll niemand sagen, auch rechercheintensive Dokumentationen könnten nicht rechtzeitig geplant werden.

Eine letzte Bitte: die Sprache der Kommentare: Generell gilt: Kommentare liest oder hört man besser anstatt sie im Fernsehen anzuschauen. Aber wenn es sie denn unbedingt geben muss – eine Mini-Bitte: mal auf die Sprache achten! Geht es wirklich nicht ohne „aus dem Fenster lehnen“ und „zurückrudern“?

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