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Tun Gutes. Herb und Marion Sandler sind mit einer Sparkassenkette reich geworden. Die journalistische Stiftung Pro Publica ist nicht ihr einziges philantropisches Projekt.

© Laif

Pulitzer-Preis: Die Wohlgesinnten

Das Milliardärsehepaar Sandler zahlt in den USA jährlich zehn Millionen Dollar für guten Journalismus. Die Stiftung Pro Publica will vor allem investigativen Journalisten helfen.

„The Deadly Choices at Memorial“, der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Artikel von Sheri Fink, ist ein beeindruckendes Stück Journalismus. Auf 21 Druckseiten führt Fink den Leser in das Memorial Hospital von New Orleans in den Tagen nach Hurricane Katrina. Sie schildert die tragischen Ereignisse, die Ärzte und Krankenpfleger dazu führten, Patienten, die sie nicht evakuieren konnten, Sterbehilfe zu leisten. Ohne Position zu beziehen, zeigt Fink auf, wie Katastrophen Wertesysteme verschieben und liefert eine eindringliche Meditation über den Tod. Fink hat zwei Jahre an dem Artikel gearbeitet, der im August 2009 im Magazin der „New York Times“ erschien. Bezahlt wurde die Reporterin jedoch nicht von dem Prestigeblatt. Die „Times“, das gab der Magazin-Redakteur Gerald Marzorati zu, hätte sich den Beitrag nicht leisten können. Rund 400 000 Dollar, schätzte Marzorati, hat die Produktion des Stückes inklusive Fotos gekostet. Bezahlt wurde Fink stattdessen mit einem Stipendium und dem Gehalt der Stiftung, bei der sie angestellt ist: Pro Publica.

Für Sheri Fink und ihre Kollegen bei Pro Publica war der Pulitzer die Bestätigung dafür, wie dringend notwendig ihre Arbeit ist. Pro Publica trat vor zwei Jahren mit dem erklärten Ziel an, den investigativen Journalismus in Amerika zu retten, den sich ansonsten niemand mehr leisten kann. „Den Reportern von heute fehlt es an Zeit und an Mitteln“, heißt es in der Missionserklärung von Pro Publica. „Immer mehr Nachrichtenorganisationen sehen diese Art von Arbeit als Luxus an. Deshalb müssen wir neue Wege finden, um die wichtige Arbeit des Journalismus im Dienst der Öffentlichkeit zu betreiben, die ein zentraler Bestandteil unserer Demokratie ist.“

Die 32 Reporter von Pro Publica arbeiten an Recherche-intensiven Geschichten über Korruption und Machtmissbrauch – Geschichten, die andere Medien in der Wirtschaftskrise sich oft nicht mehr leisten können. Zu den Themen von Pro Publica gehören Polizeigewalt, Bodenverseuchung bei Erdgasbohrungen und Filz bei der Verteilung der Hypothekenhilfe von der Obama-Regierung; oder eben eine gründliche Untersuchung der Frage, ob die Tötungen im Memorial Hospital in New Orleans juristisch und moralisch zu rechtfertigen waren.

Finanziert wird Pro Publica von dem Milliardärsehepaar Herb und Marion Sandler, das sein Vermögen mit einer landesweiten Sparkassenkette gemacht hat. Zehn Millionen Dollar pro Jahr pumpen sie in die Journalismus-Stiftung. Pro Publica ist allerdings nicht das erste philantropische Projekt der Sandlers. Sie engagieren sich seit Jahren bei Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und der American Civil Liberties Union. Wichtig war es dem Unternehmerpaar dabei, stets in Organisationen zu investieren, die Resultate liefern.

Auch bei ihrer Investition in die Erhaltung des Journalismus als Machtkorrektiv ging es den Sandlers um Ergebnisse – um die konkrete Behebung von gesellschaftlichen Missständen nämlich. Den traditionellen Medien trauten sie das nicht mehr zu und gründeten ihre eigene Organisation. Als Chef von Pro Publica holten sie sich einen Star – den Ex-Chefredakteur des „Wall Street Journal“, Paul Steiger, der mit seiner alten Zeitung bereits 16 Pulitzer-Preise gewonnen hatte.

Steigers Auftrag war es nicht nur, seine Reporter auf die drängendsten gesellschaftlichen Probleme der USA anzusetzen, sondern die Geschichten auch so effektiv wie möglich zu platzieren. Steiger bietet die Artikel immer exklusiv und gezielt einem bestimmten Medium an. Maßgabe für die Partnersuche bei seiner „journalistischen Wohlfahrt“, wie Steiger die Arbeit von Pro Publica nennt, ist stets die maximale politische Wirkung. In der Regel landet er dabei bei den großen Tageszeitungen – der „Times“, dem „Wall Street Journal“, der „Washington Post“, jenen Medien, die nach wie vor die größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen. In Ausnahmefällen sind es auch einmal Regionalzeitungen, wenn der regionale Bezug der Recherche stark ist. Kurz nachdem die Geschichte bei dem Partner gelaufen ist, wird sie dann auch auf der Website von Pro Publica veröffentlicht. Nachrichtenportale wie Huffington Post oder Politico verlinken dann ebenfalls gerne noch zu den Geschichten.

Kann das Stiftungsmodell den Journalismus retten“? Steiger macht sich da keine Illusionen. „Wir können existierende Strukturen ein wenig stärken, aber die Zerstörung des Geschäftsmodells der Großstadtzeitung können wir nicht umkehren.“ Zu diesem Modell gibt es für das Überleben des Qualitätsjournalismus leider noch immer keine Alternative. In die Lücken, die durch eine immer schwächer werdende „Times“ oder „Washington Post“ entstehen, können kommerziell operierende Nachrichtenanbieter im Internet auch weiterhin nicht stoßen. Das war nicht zuletzt daran abzulesen, dass diese auch in diesem Jahr wieder keinen Pulitzer-Preis bekommen haben.

Selbst die erfolgreichste US-Nachrichtenwebsite, Politco.com, finanziert sich vor allem durch ihre Druckausgabe. Für das Printprodukt „Politico“ gibt es hervorragend zahlende Anzeigenkunden, weil das Blatt vorwiegend von der politischen Elite Washingtons konsumiert wird – eine heiß umworbene Klientel. Mit seinen 20 Millionen Dollar Umsatz und seinen knapp 100 Redakteuren ist aber selbst „Politico“ im Vergleich zum 700 Millionen Dollar-Unternehmen „New York Times“ mit seinen 1200 Redakteuren noch immer ein Kleinbetrieb.

Eine 400 000 Dollar teure Recherche kann sich „Politico“ sicher nicht leisten. Wenn die Zeitungen keinen hochwertigen Journalismus mehr betreiben, tut es noch immer niemand anderes, es sei denn, private Förderer wie den Sandlers treten auf den Plan. „Das Nachrichtengeschäft ist in der Richtung eines Public-Private-Geschäftsmodells unterwegs“, kommentierte deshalb Michael Wolff, Redakteur von „Vanity Fair“, auf seinem Medienblog den Pulitzer-Preis für Pro Publica. „Journalisten sind auf dem besten Wege dazu, das zu werden, was Schriftsteller schon sind: Von Mäzenen unterstützt, aber von niemandem gelesen.“

Sicher, das ist eine zynische Einschätzung. Aber bei der derzeitigen Lage in den USA ist es da ziemlich schwer zu widersprechen.

Sebastian Moll[New York]

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