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Medien: Rein zufällig?

Belgischer Krimi in Anlehnung an den Fall Dutroux

Ein besseres Aggregat als eine mit niedertourigem Dieselmotor laufende Fährbarkasse hätte sich kaum finden lassen: Ist sie einmal bestiegen, verläuft geraume Zeit, bis sie den Anleger am anderen Ufer erreicht. Und in der Zwischenzeit wäre die Überfahrt auf dem Deck der unentrinnbare Ort des Erzählens … Schon die Romane und Reportagen des Belgiers Georges Simenon hatten sich um 1930, zuzeiten sozialer Stagnation, die Binnenschifffahrt zum Lokalkolorit von Milieustudien mit kriminalistischer Handlung über die Flachlandprovinzen genommen. 70 Jahre später hat der flämische Ableger des belgischen Fernsehens eine in Antwerpen und an der Schelde spielende Serie produziert: „Dunkle Wasser“.

Immer wieder geht es um Widrigkeiten der Fortbewegung. Absätze brechen von den Schuhen. Parkkrallen blockieren die Automobile. Und auf die beredte Überfahrt mit dem Barkassenkapitän, ihrem Pflegevater, hat sich die Hauptfigur der Serie nicht einlassen wollen. Wie panisch hechtet sie in letzter Sekunde an Land, verliert in den Wassern ihr letztes Vehikel, das mobile Telefon. Der abgebrochenen Kommunikation wird sie 13 Folgen lang hinterher sein müssen.

Dass da vieles langsamer zugeht als im deutschen Fernsehen und sich dennoch 650 Sendeminuten lang weit über durchschnittlichem Niveaupegel halten kann, hat wohl mit den belgischen Zuständen nach den Polit-, Polizei- und Justizskandalen um den Fall Marc Dutroux zu tun. Allseits war damals, die Produktion datiert aus dem Jahr 2001, Lethargie empfunden worden. Und mehr als offensichtlich ist das Lippenbekenntnis, das im Nachspann zu lesen ist, dass jede Ähnlichkeit dieser sich in Morde, Selbstmorde, Abtreibungen, Korruption und Kindsmissbrauch steigernden Geschichte mit lebenden Personen oder wahren Begebenheiten rein zufällig sei (Buch: Ward Huselmans).

Da möchte man, nein, da muss man bedauern, dass selbst in diesem eigenständigen Spiegel des Sozialwesens flämischer Provinz, wo noch nicht der Euro, sondern die alte Währung des belgischen Franc kurrent gewesen ist, schon längst die Sentimentalität europäischer Fernsehdramaturgie eingebrochen war, so zum Beispiel mit der crime-and-passion-artigen Musikuntermalung. Die unter der Regie von Marc de Geest und Frank van Mechelen verfilmte Serie ist mit dem internationalen Fernsehpreis Prix Italia ausgezeichnet worden. Ihre Entdeckung für die deutschen Zuschauer ist dem WDR zu verdanken, der die Sendung neben der deutschen Synchron– auch in flämischsprachiger Originalfassung anbietet. Eine Entscheidung von politischer Couleur, aber auch von ästhetischem Reiz, ist so doch das ambitionierte Spiel der Hauptdarstellerin Antje de Boeck auch akustisch zu erfahren.

„Dunkle Wasser“, WDR, 22 Uhr

Henrik Feindt

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