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Medien: Rettet die Politik!

Aber wer kann das leisten? Die Medien – oder gar Sabine Christiansen alleine?

„Die Politiker fürchten das gedruckte, das nachlesbare Interview.“ Hans-Ulrich Jörges weiß, worüber er klagt: Als Berliner Büroleiter und stellvertretender Chefredakteur des „Stern“ kennt er die Situation, dass ein Interview, geführt von der Redaktion mit einem prominenten Politiker von diesem Politiker oder seinem Referenten oder seinem Pressesprecher vor Drucklegung bis zur Unkenntlichkeit autorisiert wird. Gegen diese Unsitte haben in der vergangenen Woche neun Qualitätszeitungen in Deutschland, darunter auch dieses Blatt, öffentlich und solidarisch protestiert. Jörges sagt: „Ich bewundere die Kollegen dafür.“ Zugleich verhehlt er beim Berliner Kongress „Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0“ (organisiert vom Adolf Grimme Institut und von der Bundeszentrale für politische Bildung) seinen Pessimisus nicht, was die Beziehung von Politik und Medien angeht: „Die Politiker suchen und organisieren die Gefolgschaft von Journalisten.“ Der Journalist als Widerstandskämpfer? Das ist seine Sache nicht, dafür werden die Zeitungen nicht gekauft und die elektronischen Medien nicht eingeschaltet.

Wenn der Journalist denn Trost braucht, ist er bei Dirk Baecker gut aufgehoben. Der Professor für Soziologie an der Universität Witten/Herdecke betont, Massenmedien seien bei den Themen, bei den Akteuren und beim Tonfall unbestimmbar und unberechenbar. „Sie sagen den Politikern, dass sie nicht wählbar sind.“ Das setzt bei den Politikern, auf jeden Fall bei deren Entourage, jede Menge Energie frei, die, nur zum Beispiel, zum Kaputt-Autorisieren von Interviews führt.

Klar ist: Die Politik ist nicht wehrlos, die Medien sind nicht wehrlos. Bleibt der Dritte im Bunde, das Volk. Esist beider Objekt der Begierde und herausgeforderter denn je. Die Zeitungsleser, Radiohörer und Fernsehzuschauer müssen wissen, dass zu jeder Politik nicht mehr nur die Vermittlung via Medien, sondern die Inszenierung von Politik gehört. Miriam Meckel, Medien-Staatssekretärin in Nordrhein-Westfalen, hat festgestellt, dass „die Qualität in der Inszenierung von Politik eben nicht mehr darin liegt, dass Politik nach den Regeln des Theaters präsentiert und vermittelt wird. Sie liegt vielmehr darin, dass die Inszenierungsregeln auch zum Bestandteil der politischen Kommunikation und Vermittlung werden.“ Das Drehbuch bestimme nicht mehr nur das Geschehen auf der Bühne, sondern die Inszenierungsregeln würden Teil der Aufführung.

Da kann es nicht wundern, dass in jedem politischen Vorgang eine Mediengeschichte, sprich eine Rezension,steckt, nicht selten überlagert die Mediengeschichte bereits die politische Aktion, insbesondere in Wahlkampfzeiten. In der Formulierung Miriam Meckels, Professorin der Kommunikationswissenschaft , bedeutet dies: „Die neue Qualitätsstufe des postmodernen Wahlkampfs umfasst die Beobachtung der Inszenierung der Thematisierung des Politischen.“ Das ist, ohne Zweifel, eine neue Qualitätsstufe der „Unübersichtlichkeit“, wie sie Jürgen Habermas festgestellt hat – und für den Wahlbürger nicht gerade eine Einladung.

Über diese Eskalationsstufen muss der Wahlbürger stolpern (wenn der Politiker und der Journalist nicht schon längst gestürzt sind). Wer rettet, wer vermittelt Politik als Politik, wer legt die Politik in diesem Wust der Inszenierungskünste frei? Sabine Christiansen und ihre sonntägliche Politikerrunde?

Auch dort scheint keine schnelle Rettung möglich. Sabine Christiansen sagte beim Kongress nämlich, es wäre für sie erstaunlich, „dass die Botschaft, die die Politiker loswerden wollen, oft gar nicht klar ist.“ Längst nicht alle Politiker hätten ihrer Erfahrung nach ein „word of the day“. Ob es dann nicht Aufgabe der Moderatorin wäre, nachzufragen, nachzuhaken? Nüchtern die Antwort von Sabine Christiansen: „Oft lohnt es sich doch gar nicht nachzuhaken, weil die Halbwertzeit der Aussagen sowieso immer kürzer wird.“ Dass Politiker im Wissen darum weniger im Scheinwerferlicht der Fernsehkameras, ja sehr viel seltener in politischen Talkshows auftauchen sollten, diesen Wunsch äußerte Sabine Christiansen nicht.

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