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Zu den Wurzeln. Günter Müchler wird wieder für Zeitungen schreiben. Foto: DLR

© Deutschlandradio

Ruhestand: Journalist der Aufklärung

Günter Müchler verabschiedet sich als Programmdirektor von Deutschlandradio.

Zwei Millionen Hörer täglich. Wer will da nicht Programmchef sein! Die Kanzlerin ist schon beim Frühstück dabei. Mal wettert die Opposition, mal proben die Liberalen den Aufstand, mal legen die eigenen Leute ein Überraschungsei. Die Frühinterviews in Deutschlandfunk sind Pflichtprogramm für die politische Klasse. Einen solchen Job gibt es nur einmal! Und Günter Müchler, Programmdirektor des Deutschlandradios, gibt ihn auf. Zur offiziellen Abschiedsfeier am Donnerstag im Funkhaus Berlin, dem ehemaligen Rias-Gebäude, wird Bundestagspräsident Norbert Lammert die Festrede halten. Müchler geht mit 65 in das, was man unter Journalisten so Ruhestand nennt: Der Umzugswagen nach Paris ist bestellt. Von dort wird er für deutsche Blätter schreiben.

Der gelernte Zeitungsjournalist – „Christ und Welt“, „Augsburger Allgemeine“, „Kölnische Rundschau“ – kam 1987 zum Deutschlandfunk. 1994, als der Sender mit dem Rias und dem vom Runden Tisch der DDR gegründeten DS-Kultur zum Nationalen Hörfunk zusammengefügt wurden, rückte Müchler zum Programmdirektor des Deutschlandfunks auf. Der Sender wurde zum Wort- und Informationsprogramm Nummer eins der Berliner Republik. Die Marke „... sagte im Deutschlandfunk“ steht für die hohe Kunst der Redakteure, der interviewten Prominenz schon am frühen Morgen genau die Aussagen abzupressen, die dann die Tagesagenda bestimmen.

Müchler, von der Gemütsverfassung ein leidenschaftlicher Konservativer, hat eine weit größere Leidenschaft zum Programm erhoben – den politisch unabhängigen Journalismus, wie er ihn in seinem Buch über die Geschichte der berühmten „Cotta’schen Allgemeinen Zeitung“ selber beschrieb. Alle „facta“ sollten von der Zeitung „zusammengetragen und vor dem gebildeten Leser ausgebreitet werden, wie es das Ideal der Aufklärung verlangte. Alle Meinungen zum Zeitgeschehen sollten in ihr Platz haben, nicht nur der Standpunkt der einen Seite. Wo andere trommelten, wollte sie orientieren.“ So wie das Blatt der Aufklärung wollte Müchler den Deutschlandfunk haben. Es gelang. Es gibt journalistische Prinzipien, die unabhängig vom jeweiligen Jahrhundert modern sind.

2004 übernahm Müchler als Programmdirektor auch Deutschlandradio Kultur, mit der strategischen Vorgabe, auch dieses Programm durch eine Strukturreform als publizistisches Markenzeichen in der nationalen Öffentlichkeit zu verankern. Zum Kern des Erfolgs wurde das siebenstündige „Radiofeuilleton“, eine neue Form von Kulturjournalismus, wie sie in den elektronischen Medien ohne Vorbild war. Wieder war es ein journalistischer Ansatz, der das Programm erfolgreich machte.

Nicht schlecht, wenn ein Programmdirektor 65 wird, und – mit dem zuletzt dazu gekommenen internetbasierten DRadio Wissen“ – drei anspruchsvolle moderne Programme zurücklässt, deren Marktanteil in den letzten zehn Jahren ständig gestiegen und dessen Hörerschaft das berühmte Sechzig-plus-Durchschnittsalter der ARD- und ZDF-Zuschauer um Längen unterbietet. Es liegt beim Deutschlandfunk bei 54 und bei Deutschlandradio Kultur bei 46 Jahren. Ein Grund mag sein, dass dieser Hörfunk werbefrei ist, denn wer ständig „Apotheken-Umschau“ gucken muss, altert schneller. Als passionierter Nicht-Fernsehgucker wird Müchler nun wahrscheinlich – wie seine Hörer – immer jünger.

Ernst Elitz war Gründungsintendant des Deutschlandradios.

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