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Medien: Sammelanklage gegen Aust

Jeder, der etwas gegen den „Spiegel“-Chef vorzubringen hat, darf in Oliver Gehrs’ Biografie vorkommen. Eine Linie findet der Autor nicht. Von Manfred Bissinger

Stefan Aust kann eigentlich zufrieden sein. Ist er doch nicht nur Chefredakteur des nach wie vor wichtigsten Magazins der Republik; er ist dazu noch Geschäftsführer und Moderator seiner FernsehErfolgsgründungen „Spiegel-TV“ und XXP. Jetzt ist sogar eine Biografie über ihn erschienen, obwohl er doch gerademal 58 Lenze zählt. Eine seltene Ehre zu Lebzeiten.

Meist werden gültige Bücher über journalistische Leithammel – und als ein solcher darf Aust gelten – erst Jahre nach ihrem Tod publiziert. Das war so bei Marion Gräfin Dönhoff, bei Henri Nannen, bei Axel Springer oder Rudolf Augstein. Nun hat ihn sein „Ziehsohn“ eingeholt. 327 Buchseiten, eine pralle Karriere, Scoops, Auszeichnungen, aber auch politische Schräglagen und persönliche Anfeindungen.

Als Biograf versucht sich der frühere Aust-Mitarbeiter Oliver Gehrs. Für seine Fleißarbeit lassen sich mindestens zwei Gründe vermuten: Als „Spiegel“-Medienmann war er an seinem Chef Aust gescheitert („Als Betroffener kann ich mit seinen Geschichten leben, als Verantwortlicher nicht“); er hatte also eine Rechnung mit ihm offen. Und als Autor suchte er aus seiner jahrelangen Material-Sammelei endlich Geld zu machen.

Dass Gehrs an Stefan Aust ein zweites Mal scheitern musste, hat viel mit der Perspektive zu tun, die er beim Schreiben einnimmt. Seine Zielperson ist für ihn nicht Objekt, sondern Feindbild. Er versucht, Aust mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln am Zeug zu flicken. Eine ungute Voraussetzung, das Karriere-Phänomen des „Spiegel“-Chefs in den Griff zu bekommen. Ein Buch eben nicht als Information, sondern als Anschlag.

Kein Wunder, wenn der selbsternannte Biograf keine klare Linie findet. Die aber wäre notwendig gewesen, um den ungewöhnlichen Aufstieg des Stader Landwirtssohnes einordnen zu können.

Jeder, der etwas gegen Aust vorzubringen hat, wird mit Hurrageschrei ins Buch aufgenommen. Egal, aus welcher Himmelsrichtung er schießt. Ob von rechts oder von links, ob von oben oder von unten. Hauptsache, es trifft Aust. So wird er einmal dafür kritisiert, dass er sich zu nachhaltig vor seine Leute stellt, ein andermal, dass er es nicht nachhaltig genug tut.

Der Singsang des Anklägers Gehrs hat die immer gleiche Tonlage. Ob er die Klagen der seinerzeit überaus radikalen Springer-Presse zitiert, die sich vom jungen, aufmüpfigen „Konkret“- oder „St.-Pauli-Nachrichten“-Reporter angegriffen fühlt, oder heute die der Grünen-Lobby, die über eine negative „Spiegel“-Story zur Windkraft greint.

Dabei negiert Gehrs, dass die Medienlandschaft vor 40 Jahren, als der Schülerzeitungs-Redakteur mit Macht ins Journalistenleben drängte, eine fundamental andere war, als es die heutige ist. Seinerzeit kämpften ein konservativer Verleger-Block (Springer mit „Bild“ und „Welt“, die „FAZ“, der „Rheinische Merkur“ und viele mittlere Tageszeitungen) erbittert gegen die eher der Aufklärung verpflichteten Verlage („Spiegel“, „Zeit“, Gruner + Jahr, „Frankfurter Rundschau“, „Süddeutsche Zeitung“). Und natürlich umgekehrt.

Was damals unauflösbare Gegnerschaft schien, ist inzwischen über das Ende des Sozialismus, die fortschreitende gesellschaftliche Liberalisierung und – nicht zu unterschätzen – über die gewinnschmälernde Konkurrenz des privaten Fernsehens immer näher aneinander gerückt. Darüber ging auch die Zuspitzung verloren. Die Jungs von der jeweils anderen Straßenseite haben ähnliche Sorgen, das verbindet über Grenzen hinweg.

Doch zu Analysen jeglicher Art fehlen dem Aust-Rechercheur die Visionen, obwohl die zwingend wären, will man das Handeln eines leitenden Redakteurs nach 1968 und heute vergleichbar beziehungsweise nachvollziehbar machen. Gehrs verbeißt sich lieber in Nickeligkeiten, die er über Jahre bei frustrierten Kollegen eingesammelt hat und die es aus jeder streitbaren Redaktion zu berichten gibt. Seinen früheren „Spiegel“-Kollegen jedenfalls zeugt er wenig Respekt, wenn er sie über viele Seiten zu kuschenden, ängstlichen Untertanen ihres Chefredakteurs degradiert.

Wer die im Buch chronologisch geschilderte Karriere des jungen Staders vom Schülerblatt „Wir“ über den Bestseller-Autor („Der Baader-Meinhof-Komplex“) an die Spitze des „Spiegel“ nachvollzieht, fühlt sich an manchen regierenden Zeitgenossen erinnert; mindestens an Otto Schily und Joschka Fischer, die einen ebenso ereignisreichen Bogen von der außerparlamentarischen Opposition ins obere Establishment der Republik geschlagen haben. Und wie es diesen beiden nicht schadete, wird es heute auch Stefan Aust eher zur Ehre gereichen, wenn er an der Maxime Winston Churchills gemessen wird: „Wer mit 20 kein Sozialist ist, hat kein Herz; wer mit 30 noch Sozialist ist, hat keinen Verstand.“

Erfolgreiche Chefredakteure agieren heute – oft zu gleichen Teilen – als Journalisten und Manager. Aust kann dafür als Prototyp dienen. Sein Leben war bunt, abwechslungsreich, oft aufreibender als notwendig, aber letztlich in sich konsequent. Wer den biografischen Hürdenlauf der Höhen und Tiefen bewerten will, muss unwillkürlich denken: „Donnerwetter, dieser Aust.“ Es ist eben kein Widerspruch, als 18-Jähriger „Konkret“ durchzubringen und 40 Jahre später als Boss einen Fernsehkanal zu verantworten. Bei Aust jedenfalls ist es eher logische Weiterentwicklung. Wo er aufschlug, war er schnell die bestimmende Figur.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Auch mir wäre sympathischer, Springer- und Spiegel-Verlag zeigten größere Distanz und würden weniger gemeinsame Sache machen. Schon um der demokratischen Auseinandersetzung willen. Vor allem aber um der Verbreitung unterschiedlicher, auch radikaler Argumente willen. Denn damit beginnt die Aufklärung. Und die sollte Sache der Journalisten bleiben.

Als einem, der den heutigen „Spiegel“-Chef bald vier Jahrzehnte gut kennt, sei mir eine letzte Bemerkung erlaubt. Es hat Spaß gemacht, die Aust’sche Kraft und seinen egomanischen Willen noch einmal im Zeitraffer vorbeiziehen zu sehen. Und die, die sich für ihn interessieren, sollten sicher sein: Es wird nicht das letzte Buch über den heutigen „Spiegel“-Chef sein. Stefan Austs Karriere ist nicht zu Ende.

P.S.: Dem Buch hätte im Übrigen eine Runde durch die „Spiegel“-Dokumentation gut getan. Dann wären weniger Namen, Zahlen und Fakten falsch.

Oliver Gehrs: „Der Spiegel-Komplex – Wie Stefan Aust das Blatt für sich wendete“, Droemer, 2005, 19,90 Euro.

Manfred Bissinger ist Geschäftsführer des Verlags Hoffmann und Campe. Zuvor war er Chefredakteur und Herausgeber der Hamburger Wochenzeitung „Die Woche“.

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