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Medien: Sat 1: Normalo Schmidt

Wie Harald Schmidt seinen Noch-Sender Sat 1 nun genau nennt, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Es waren so ziemlich seine ersten Worte, als er mit militärischem Gruß nach zweiwöchiger Abstinenz wieder seinen Dienst antrat, aber er verschluckte sie auf merkwürdige Art.

Wie Harald Schmidt seinen Noch-Sender Sat 1 nun genau nennt, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Es waren so ziemlich seine ersten Worte, als er mit militärischem Gruß nach zweiwöchiger Abstinenz wieder seinen Dienst antrat, aber er verschluckte sie auf merkwürdige Art. "Sat 1", so verstand man noch, "die optimistische" - und dann kam das erste Wort, das durch Schmidts Wegnuscheln mit einer ungeheuren Bedeutung aufgeladen wurde: "ungefährdete"? Oder "ungefähre"? Oder überhaupt etwas ganz anderes? - jedenfalls: "Heimat der Spaßgesellschaft". So oft man es auf dem Videoband auch zurück- und wieder vorspulte: es war nicht zu verstehen. Schmidt hat sich medial unkenntlich gemacht. Das Wort "Spaßgesellschaft" schien er ebenfalls auf diese Weise wegzunippeln, aber es war noch halbwegs zu erhaschen, was er vielleicht sogar wollte. Das zweite Adjektiv zu Sat 1 jedoch, das, was nach dem "Optimistischen" kommt - das behielt er für sich.

Der "Moderator Gnadenlos", wie er von der immer noch erotisch prickelnden weiblich-französischen Stimme im Off angepriesen wurde, kündigte programmatisch "mit den Worten unseres Bundeskanzlers" an, dass die Sendung "der uneingeschränkten Solidarität mit unseren amerikanischen Freunden" gelten würde. Die Intonation des Moderators, die etwas wirre Mimik hätten Indizien dafür sein können, dass es hier mindestens einen doppelten Boden gäbe, dass nichts so gemeint war, wie es klang. Aber mit diesen Ahnungen ließ Schmidt den Zuschauer sofort allein. Man musste die Assoziationen, die sich einem aufdrängten, das Kabarettistische daran selbst verantworten. Schmidt sprach scheinbar 1:1.

Aber er blieb auffallend häufig zwischen den Wörtern hängen. Und das vertiefte die Lust am Zwiespalt. Wenn Schmidt sich verhaspelt, wenn er den Faden verliert, wenn er unversehens von einem Thema ins andere fällt: Dann spielt immer der Verdacht mit, dass das zum Konzept gehört. Er weiß auch nicht mehr als wir alle, aber er vermittelt den Eindruck, gerade das nun wirklich ganz genau zu wissen. Die leitmotivischen Sätze, die immer wieder auftauchen, hält er so in der Balance, dass sie jedesmal von zwei völlig verschiedenen Seiten her interpretierbar sind. Diesmal war es eine Sentenz, die ungefähr so ging: "Ich hab in den letzten Tagen jeden Tag acht bis zehn Stunden ferngesehen, um einigermaßen klar zu kriegen: Worum geht es?" Das könnte man natürlich als Bloßstellung der Medienmaschinerie verstehen, als sarkastische Entlarvung: je mehr man fernsieht, desto blöder wird man. Aber es fehlte jeglicher Indikator dafür. Schmidt hat immer den schmalen Grat zwischen Affirmation und Negation im Blick, an dem er so virtuos wie möglich entlangschlängeln möchte, mal mit einem angedeuteten Absturz in diese, mal in jene Richtung.

Von Anfang an zeigte er eine Mimik und Gestik, die seltsam losgelöst von dem Gesagten schien. Er wippte auf nervöse, zittrige Art mit Schultern und Armen, wenn ihn Beifall unterbrach, er schürzte und stülpte auf fast schmerzhafte Art seine Lippen: Zuckungen, die sich nie vollständig erklärten und nur von fern mit bestimmten Politikern zusammenzubringen waren. Die verkniffenen, staatsmännisch tunwollenden Gesichter von Peter Struck oder Friedrich Merz zitierte Schmidt konkret, die gequälten Falt- und Knautschzonen Joschka Fischers schienen auf, und bei den Windungen Rezzo Schlauchs war Schmidt völlig bei sich zuhause - hier allerdings, bei seinem schwäbischen Landsmann Schlauch, der ihm in Artikulation und Körpersprache so nah ist, schien die kabarettistische Verfremdung am einfachsten zu sein. Den konnte er weiter von sich wegschieben als Struck oder Merz. Deren Gesichter aber trug Schmidt auch unangekündigt fast während der gesamten Show mit sich herum.

Und es verstärkte sich der Verdacht: es sind dies unser aller Gesichter. Wie Schmidt die Protagonisten diverser Talkshows nannte, übergangslos vom einen zum anderen tappte, ohne dass sich irgendwelche Verbindungen oder gar Erkenntnisse herstellen ließen: das ist keine Verzerrung, sondern eine quälend realistische Abbildung des Fernsehalltags und des Sprechens darüber. Vielleicht war der Ausruf, den er inmitten seiner gequälten, bisweilen sogar kunstvoll bis ins Irre gesteigerten Merz-Struck-Joschka-Grimasse einmal ausstieß, die Quintessenz dieses Abends; vielleicht ist es überhaupt die Frage, die ihn quält und die er nie restlos wird beantworten können: "Was ist normal?" Schmidt ist die Rückkehr zur Normalität offenkundig geglückt, aber was das genau ist, weiß er ja nicht.

Helmut Böttiger

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