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Medien: „Schade, dass wir kein CNN auf Deutsch haben“

Gerd Ruge über die Auslandsberichterstattung des hiesigen Fernsehens, seinen Beitrag zur Reisereportage „Die Rockies“ und das Geheimnis von Fitness

Herr Ruge, in der ersten Szene, beim Rafting auf dem Colorado, bekommt man als Zuschauer der Reportage „Die Rockies“ ein wenig Angst um Sie. Wie besorgt waren Sie selbst in dem Boot?

Ich habe mich streckenweise schon festgeklammert, aber alles in allem war es ein großer Spaß. Die beiden jungen Frauen, die uns gefahren haben, waren in der Woche zuvor mit einem Boot mit Touristen umgekippt. Deshalb mussten sie noch einmal Unterricht nehmen, und wir waren der Ballast. Wir hatten eine Rettungsweste um, da konnte nicht viel passieren.

Mit 78 Jahren heben Sie den Altersschnitt in dieser nicht gerade jugendlichen ARD-Reisegruppe mit Fritz Pleitgen (68) und Klaus Bednarz (64). Wurde darauf Rücksicht genommen?

Nein, warum? Das wollte ich auch gar nicht.

Was ist das Geheimnis Ihrer Fitness?

So fit bin ich nicht. Ich gehe zweimal in der Woche schwimmen und gelegentlich auch ins Fitnessstudio. Das muss man in meinem Alter schon machen.

Wird es noch weitere Reisereportagen für die ARD geben?

Erst einmal nicht: Ich habe zugesagt, ein Buch über das Verhältnis der Russen und der Deutschen zu schreiben. Das wird mich sicher bis zum nächsten Sommer oder Herbst in Anspruch nehmen. Ursprünglich wollte ich im Sommer einen Film über Indien drehen. Indien war hier lange Zeit vergessen, aber jetzt muss erst mal das Buch geschrieben werden.

Was zeichnet den Ruge-Stil in dem dritten Film der ARD-Reihe über die Rocky Mountains aus?

Mich interessiert vor allem, wie die Menschen leben, wie sie mit den sehr unterschiedlichen Verhältnissen in den südlichen Rockies zurechtkommen. Wir leben ja in einer Zeit, in der die politischen Vorbehalte gegen Amerika groß sind. Die Gefahr ist, dass das in Antiamerikanismus umschlägt, weil man dabei die Menschen vergisst. Darauf kam es mir immer an: Als ich vor über 50 Jahren das erste Mal in den USA war, glaubten die Deutschen noch an das fabelhafte, wohlhabende Eisenhower-Amerika, und ich fing an, die andere Seite des Landes zu schildern. Und in Russland, als die Deutschen glaubten, das sind alles Verbrecher dort und alles ist furchtbar, habe ich versucht zu zeigen, wer die Russen eigentlich sind.

Sie waren mehrfach in den USA, vor 40 Jahren als Korrespondent in Washington, vor 30 Jahren auch mal mit einem Forschungsauftrag an der Harvard University. Wie nahe ist Ihnen Amerika heute?

Immer noch relativ nahe. Es ist ein Land, in dem sich wunderbar arbeiten lässt. Ich kenne kein Land, in dem man angenehmer reisen kann. Die Leute sind außerordentlich offen und zugänglich.

Was hat Sie am meisten auf dieser Reise überrascht?

Dass der Irakkrieg eine relativ geringe Rolle spielte. Es gab andere Probleme, Homosexuellen-Ehe, Abtreibung, viele soziale und moralische Themen. Es kam natürlich dazu, dass die Gegend, in der wir drehten, zum Teil sehr konservativ war: Colorado Springs ist die Hauptstadt des konservativen Amerika, sagt man.

Es gibt nach dem 11. September 2001 wieder eine große Besorgnis vor Terrorismus und Krieg. Sehen Sie das mit Ihrer Erfahrung gelassener?

Man hatte im Kalten Krieg das Gefühl, dass die Supermächte bei allen Spannungen eine vernünftige Ebene des Verhandelns gefunden haben. Da ist die Vorstellung, Iran oder Nordkorea haben Atomwaffen, sehr viel unheimlicher. Insofern bin ich weniger optimistisch als ich es 1980 gewesen wäre.

Wird die Auslandsberichterstattung im Fernsehen dem Auftrag gerecht, umfassend und genau zu berichten?

Ich bin nicht sicher. Es gibt sehr viel Berichterstattung mit Farbe und Emotionen, weniger die kühle Analyse. Davon müsste es mehr geben. Denn wie die Entwicklung läuft und was das für uns in Deutschland zu bedeuten hat, erschließt sich dem Zuschauer nicht ohne weiteres.

Sie waren vor genau 50 Jahren der erste ARD-Korrespondent in Moskau, was ja noch reine Hörfunkarbeit war. Mittlerweile werden die Menschen rund um die Uhr von Medien versorgt, manche sagen auch: verfolgt. Wie erleben Sie diesen gewaltigen Medienumbruch?

Ich bin nicht immer ganz zufrieden mit dem, was ich in den deutschen Medien sehe. Längere Strecken Live-Berichterstattung, nicht nur die kurzen eineinhalb Minuten am Ende eines Filmberichts, wären ganz nützlich. Als es vor gut einem Jahr in Frankreich zu Unruhen kam, hat CNN mehrere Stunden von Paris aus übertragen. Man konnte in den vielen kleinen Geschichten erkennen, was die Unruhen bedeuteten. Das war in der zusammengeschnittenen Form in unseren Programmen nicht mehr der Fall. Schade, dass wir nicht so eine Art CNN auf Deutsch zustande gebracht haben.

Die Korrespondenten klagen darüber, dass sie zu viele Sendungen bedienen müssen, auch live, und dabei kaum noch Zeit für Recherche und eine solide Analyse bleibt.

Richtig, man ist überall erreichbar, aber die Zeit, um sich zu informieren, wird immer geringer. Ich habe das zuletzt in Amerika erlebt: In Kalifornien gab es eine Mordserie in einer Fabrik, davor stand die Korrespondentin eines amerikanischen Networks und berichtete, was da drin vor sich ging. Die hatte einen Knopf im Ohr und bekam von ihrem Sender alle Nachrichten der Agenturen geliefert. Die gab sie dann weiter, als ob sie die selbst in Erfahrung gebracht hätte. Das ist das Schlimmste, und so weit sind wir davon nicht entfernt.

Das Interview führte Thomas Gehringer.

„Die Rockies“. Der dritte und letzte Teil der Reisereportage läuft am 1. Januar in der ARD um 21 Uhr 45.

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