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Die Offline-Süchtigen. Über ein von Freunden aus Deutschland und Reise-Bekanntschaften geführtes Blog fand der Südamerika-Urlaub von Mareike Geiling und Jonas Kakoschke auch im Weltnetz statt.

© Paul Zinken

Selbstversuch: Im Netz der anderen

80 Tage ohne Internet: Die Berliner Mareike Geiling und Jonas Kakoschke probierten dies im Selbstversuch aus – und waren während ihrer "Offlinesucht" doch digital präsent. Zwei Leute, die den Stecker zogen.

Der Plan klingt einfach: 80 Tage lang ganz und gar auf das Internet verzichten. Das wollten zwei Berliner. Aus dem Weltnetz verschwinden aber wollten sie trotz Online-Entzug nicht. Die Lösung: Ein von Freunden aus Deutschland und Reise-Bekanntschaften geführtes Blog mit dem Titel „Offlinesucht“. „Postet alles, was wir in euren Augen verpassen, weil wir nicht online sind. Wir melden uns über Menschen, die wir treffen. 80 Tage … bis gleich, Welt!“, schrieben sie vor ihrer Abreise nach Südamerika ins Blog, das sie selbst erst nach ihrer Rückkehr würden betrachten können – und zogen dann den Stecker.

Zuvor bestimmte das Internet das Leben von Mareike Geiling und Jonas Kakoschke. Er studiert Kommunikationsdesign und hat nebenher das Webportal „pfandgeben.de“ entwickelt, bei dem lauffaule, aber spendable Berliner mit Flaschensammlern zusammengeführt werden, damit die deren Pfandgut holen und sich einige Euro dazuverdienen können. Geiling ist ebenfalls Studentin, Religion und Kultur, „nicht nur die Uni kann man kaum noch ohne das Internet schaffen, ich habe auch jeden Tag nach dem Aufwachen als erstes E-Mails gecheckt“, sagt sie. Kennengelernt haben sie sich aber ganz offline, auf einer Ausstellung, 2010.

Auf ihr Projekt haben sich die beiden vorbereitet, kalter Entzug wäre schließlich schmerzhaft. „Wir haben vorher mit Freunden die ,Offlinesucht am Donnerstag’ ausprobiert, also einen Tag in der Woche ohne Netz“, erzählt Kakoschke nach der Rückkehr. Die Entspanntheit von Langreisenden ist beiden noch in das leicht gebräunte Gesicht geschrieben, es sei schon wieder eine Umgewöhnung, in Berlin zu sein, sagen sie. Resozialisierung, quasi.

„Aussteigen ist ja mehr eine innere Sache, sogar in den entlegensten Amazonas-Dörfern gibt es Internet-Cafés, überall das Facebook-Logo, dem entkommt man nicht“, sagt Geiling. Was die beiden an ihrem Leben vor dem Offlinesucht-Projekt störte, war die zunehmende Verlagerung des Lebens ins Netz. Ist es nicht umso beängstigender, die Deutungshoheit, die Dokumentation des eigenen Lebens in fremde Hände zu legen? Kakoschke und Geiling zucken mit Schultern. Irgendwie schon, meinen sie, aber zur Not hatten sie Freunde, die eingegriffen hätten, wenn eine zufällige Bekanntschaft Unsinn gepostet hätte.

Was es heißt, nicht mehr Herr über den Nachrichtenstrom des eigenen Lebens zu sein, erlebten die beiden gleich am ersten Tag der Reise in Argentinien. Ein Mann klaute Kakoschke an einer Bushaltestelle sein Portemonnaie, Geld und Kreditkarten waren weg, in die Heimat telefonieren und die Nachricht verbreiten wollten sie aber nicht. Ein Freund postete den Vorfall jedoch, auch eine Lokalzeitung aus Geilings Heimat Rheinland-Pfalz, die die beiden zuvor porträtiert hatte, hörte von der Sache und schrieb darüber. Besorgte Eltern, ahnungslose Offliner; und während sie auf der Ladefläche eines Trucks Bolivien erreichten, spekulierten in Deutschland Freunde und Familie über ihr Wohlergehen.

„Mal schauen, ob Wulff noch Präsident ist, wenn ihr zurück seid.“

„Wenn wir unterwegs Leuten vom Projekt erzählten, ernteten wir meistens akzeptierendes Unverständnis“, sagt Kakoschke. Die meisten Reisenden hätten gar nicht fassen können, dass jemand eine Reise ohne Internet organisiert. „Ich dachte mir, so wild ist das ja auch nicht, aber einige sind geradezu ausgeflippt“, sagt Geiling. Vor allem in Brasilien war der Unterschied zwischen den Vorstellungen der beiden Aussteiger und der Lokalbevölkerung enorm. „Da ist es fast teurer als in Deutschland und alle Menschen wollen nur kaufen, kaufen, kaufen“, sagt Kakoschke. Bei nur 15 Euro eingeplantem Tagesbudget passten Bolivien und Peru schon besser ins Konzept. Entscheidend sei vor allem auch die Gelassenheit, erzählen die beiden, „wenn um dich herum alle online kommunizieren, kannst du dich ja kaum entziehen.“

Während es für die Reisenden nach Macchu Picchu ging, füllte sich das Blog mit Bildern gefrorener Seen in Deutschland, die Wulff-Debatte lief an. „Mal schauen, ob er noch Präsident ist, wenn ihr zurück seid“, schrieb ein Freund, ein anderer beklagte, dass er die beiden nicht einmal im Notfall kontaktieren konnte. Schließlich stellte er fest: „Es war schon wichtig, aber so wichtig auch wieder nicht.“ Das Gleiche galt für viele Dinge, die Geiling und Kakoschke vorher täglich im Netz gemacht haben, „wir hatten plötzlich einfach mehr Zeit, das ist schon ein Riesenvorteil“. Statt rumzusurfen schrieben sie Tagebücher, statt Nachrichten zu lesen, tauschten sie sich mit Einheimischen aus. Geiling feierte ihren 25. Geburtstag in einer bolivianischen Kleinstadt, die am gleichen Tag ihr 167-jähriges Jubiläum beging.

Im Nachhinein stellten sie fest, dass nur knapp jeder dritte Zufallsbekannte, der versprach, zu posten, tatsächlich auch ins Blog schrieb. Trotzdem hätte das Ganze geklappt, sagt Kakoschke. „Im Großen und Ganzen haben wir ohne das Internet nichts vermisst.“ Damit der Effekt der 80 Tage ohne Internet nicht verpufft, wollen sie sich nicht wieder bei Facebook anmelden, auch wenn sie wissen, dass ihre bisherigen Einträge für immer gespeichert wurden. Ganz aufs Netz verzichten wollen sie nicht, Kakoschke glaubt aber, „dass die große Zeit von Facebook zu Ende geht“. Damit sich seine Prognose erfüllt, will Kakoschke etwas tun – und zwar auch mithilfe einer geplanten neuen Onlineplattform. Dort sollen Leute eintragen können, an welchen Orten man sie spontan treffen kann, ohne vorher Bescheid zu sagen, ohne zu chatten. Ganz wie in den alten Zeiten. Offline eben.

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