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Medien: „Sieg für Kulturschaffende“

Wichtiges Urteil für Contergan-Film des WDR - Pharmahersteller Grünenthal droht mit Karlsruhe

Nur wenige durften sich bisher – aufgrund eines Verbots des Landgerichts Hamburg – den Contergan-Film „Eine einzige Tablette“ ansehen. Regisseur Adolf Winkelmann erzählt darin vom Kampf eines Anwalts und Vaters, dessen Kind mit Missbildungen zur Welt kam, um Aufklärung und Entschädigung durch den verantwortlichen Pharmakonzern. Zu den wenigen auserwählten Zuschauern zählte Richterin Marion Raben. Ob sie und ihre Kollegen vom Oberlandesgericht Hamburg die fiktionale Aufarbeitung des größten deutschen Arzneimittelskandals durch den WDR und die Kölner Produktionsfirma Zeitsprung („Das Wunder von Lengede“) für künstlerisch wertvoll halten, ist nicht erheblich. Entscheidend ist: Sie halten den Film für juristisch weitgehend unbedenklich. „Ein großer Sieg für alle Kunstschaffenden in Deutschland“, freut sich Zeitsprung-Geschäftsführer Michael Souvignier. „Das Urteil ermutigt uns, Zeitgeschichte weiterhin in fiktionalen Filmen kritisch aufzuarbeiten“, sagt WDR-Fernsehspiel-Chef Gebhard Henke.

Film und Kunstfreiheit sind also gerettet, dank Marion Raben? Nicht ganz: Das Aachener Pharmaunternehmen Grünenthal, das das für Missbildungen bei Tausenden von Neugeborenen verantwortliche Schlafmittel Contergan 1957 auf den Markt gebracht hatte und nun gegen die WDR-Verfilmung juristisch zu Felde zieht, freut sich auch. Nämlich darüber, dass „das Verbot einiger Schlüsselszenen“ vom OLG bestätigt worden sei. Seltsamerweise verkündet das Unternehmen im selben Atemzug: „Trotz dieses Erfolgs hält Grünenthal einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht für denkbar.“ Und da es sich im Streit um die „historische Wahrheit“ (Grünenthal-Geschäftsführer Sebastian Wirtz) von der Hamburger Kanzlei des prominenten Medienanwalts Matthias Prinz vertreten lässt, muss dies nicht unbedingt als leere Drohung zu verstehen sein. Andererseits signalisiert Wirtz Verhandlungsbereitschaft mit den Filmemachern. Doch für einen außergerichtlichen Vergleich sieht Zeitsprung- Justiziar Marek Nitsch nach dem gestrigen Urteil keine Veranlassung mehr.

Ausgestrahlt werden darf „Eine einzige Tablette“ noch immer nicht, doch eine wichtige Etappe in dem juristischen Tauziehen ist geschafft: Nüchtern betrachtet, hat das OLG Hamburg der Berufung von WDR und Zeitsprung in weiten Teilen stattgegeben und die einstweiligen Verfügungen in 29 von 30 Punkten aufgehoben, die das Landgericht im Juli 2006 erlassen hatte. Allerdings hatte das Landgericht nur auf der Grundlage des Drehbuchs geurteilt, das OLG jedoch nach Sichtung des fertigen Films. Darin ist ein großer Teil der umstrittenen Szenen gar nicht mehr enthalten, was Grünenthal nun als eigenen Erfolg verbucht. Auch Richterin Raben erklärte, die Gegenseite – also Grünenthal und der ebenfalls klagende ehemalige Opferanwalt Karl-Hermann Schulte-Hillen – habe sich teilweise durchgesetzt.

Das kann Michael Souvignier nicht nachvollziehen. Änderungen am Film habe es nicht gegeben. Bereits dem Landgericht habe die endgültige Fassung vorgelegen. Dennoch sind WDR und Zeitsprung den Prozessgegnern entgegengekommen: So wird in Vor- und Abspann ausdrücklich betont, dass es sich bei dem Film um ein Kunstwerk und eine fiktionale Aufarbeitung des Stoffes handelt. In der Verhandlung vor dem OLG Hamburg war außerdem angeboten worden, dass diese Einblendung von einem Sprecher zusätzlich vorgelesen wird.

Von den ursprünglich 15 Punkte umfassenden Grünenthal-Vorwürfen gegen den Film blieb nach dem OLG-Urteil nur noch einer übrig. Dabei geht darum, dass der von Grünenthal angeheuerte Privatdetektiv den Opferanwalt durch Fotos und Zeitungsartikel in ein schlechtes Licht setzen will. Diese Szenen herauszuschneiden, darin sehen weder Zeitsprung noch WDR ein Problem. Zwar sind noch in einem weiteren von Grünenthal angestrengten Landgerichtsverfahren zwei einstweilige Verfügungen anhängig, doch nach dem gestrigen OLG-Urteil zeigt sich Marek Nitsch optimistisch, bis Ende Mai auch die letzten formaljuristischen Hürden aus dem Weg geräumt zu haben. Noch schwerer als Grünenthal dürfte es Schulte-Hillen fallen, ein Körnchen Sieg in der juristischen Niederlage zu finden: Seine Vorwürfe wurden komplett zurückgewiesen. Laut Gebhard Henke soll „Eine einzige Tablette“ noch 2007 gezeigt werden.

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