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Medien: „So etwas hat man noch nie erlebt“

„Repubblica“-Chef Mauro beklagt, dass sich Italiens Presse mit Berlusconi arrangiert hat

Aus Sorge um die Pressefreiheit haben die Journalisten in Italien gerade gestreikt. Aber in einer TagesspiegelUmfrage unter italienischen Korrespondenten in Berlin haben die meisten Kollegen die Gefahren eher heruntergespielt. Übertreiben Sie es vielleicht mit Ihren Warnungen vor Berlusconis Machtstreben?

Lassen Sie uns bitte unterscheiden. Die Pressefreiheit in Italien ist nicht in Gefahr. Wir bei „La Repubblica“ gehen unserem Beruf in aller Ruhe nach und haben in keiner Weise Druck erfahren.

Man könnte sogar sagen, dass der Erfolg Ihrer Zeitung als profilierteste Stimme gegen Berlusconi ein Beleg für die Meinungsfreiheit in Italien ist. Was beklagen Sie also?

Es gibt in unserem Land eine Absonderlichkeit, die es nirgendwo anders in einer westlichen Demokratie gibt. Der Meinungsbildungsprozess wird dadurch verfremdet, dass eine und dieselbe Person die Mehrheitspartei und die Regierung anführt, Besitzer von drei privaten Sendern und von Zeitungen und Zeitschriften ist sowie die drei öffentlich-rechtlichen Sender kontrolliert. Obgleich sich die politische Macht nie sonderlich um die Unabhängigkeit von Zeitungen in Italien scherte, kann man sagen, dass früher kein bisschen Mut dazu gehörte, um hier Zeitungen zu machen. Der Rücktritt des Chefredakteurs des „Corriere della Sera“ deutet darauf hin, dass der politische Druck auf einige Zeitungen inzwischen stark geworden ist. Das Problem ist der Interessenskonflikt des Regierungschefs. An den sich aber ein großer Teil der italienischen Presse so sehr gewöhnt hat, dass sie ihn gar nicht mehr beschreibt.

Die Medien außerhalb Italiens tun das zur Genüge.

Diese Absonderlichkeit in Italien wird von den angesehensten internationalen Zeitungen und Zeitschriften – von der „Financial Times“ bis zum „Economist“ – viel klarer beschrieben und kritisiert als von der italienischen Presse. Mit sehr wenigen Ausnahmen. Es gibt diese Haltung, dass die Verstöße gegen den Rechtsstaat am Ende nicht so schlimm sind. Sie müssen sich das mal vorstellen: Berlusconi ist gerade in diesen Tagen Angeklagter in einem Prozess, in dem es um schwerste Straftatbestände geht. Wenige Wochen vor dem Urteil peitscht er im Parlament eine Regelung durch, die ihm die Immunität garantiert, solange er Parlamentarier ist. So etwas hat man im freien Westen noch nie erlebt. Und das müsste gerade die bürgerlich-liberale Presse in Italien aufbringen, tut es aber nicht.

Warum nicht?

Aus Gewöhnung. Alles, was gerade die politischen Kommentatoren in den letzten Jahren – zu Recht – gegen die Linke vorgetragen haben, um sie dazu zu drängen, sich vom Gerüst des Kommunismus und des anhaltenden Post-Kommunismus zu befreien, gilt umgekehrt nicht für die Rechte in Italien, die bekanntlich in der Regierung Berlusconis sitzt.

Fühlen Sie sich als Kritiker dieser Zustände allein gelassen?

Ja. Wir fühlen uns einsam, aber unsere Arbeit beeinflusst das nicht. Wir stellen uns nicht die Frage, ob wir eine Zeitung der Opposition sind oder nicht. Um die Opposition sollen sich die Parteien kümmern. Wir wollen einer anderen Vorstellung Italiens Stimme geben als die der heutigen Regierungsmehrheit: eines Italien, das stark europäisch ist, das Amerika verbunden bleibt, ohne dass es übergangen wird. Und eines Italien, das sich vor allem dem Rechtsstaat verpflichtet fühlt. Das hat wenig mit links oder rechts zu tun. Genau genommen markiert es eher einen Unterschied zu einer politischen Kultur, deren Kronzeuge heute Silvio Berlusconi ist.

Die Fragen stellte Giovanni di Lorenzo.

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