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Spongebob

© Nick

Spongebob: Das Kind im Schwamme

Charlotte Roche kann Spongebob nicht leiden. Warum nur? Der animierte Superstar überzeugt als reiner Tor.

Kürzlich erklärte an dieser Stelle die Fernsehmoderatorin Charlotte Roche, dass „Spongebob“ zu den Sendungen gehöre, die bei ihr zu Hause nicht geschaut werden dürften, der Kinder wegen, denen „schlimmes“ Fernsehen nicht zuzumuten sei. Was ihr besonders missfiele, sei das atemberaubende Tempo. Da hat sie recht, „Spongebob“ ist sehr schnell. Aber das ist kein Grund, die Folgen nicht zu schauen. Es ist ein Grund, sie mehrfach zu schauen.

Ich gebe zu, ich war enttäuscht, von dieser intelligenten Moderatorin, die ich ob ihrer Leistungen schätze, ein so abfälliges Urteil über meine Lieblingssendung zu lesen. Aber wahrscheinlich hat sie, wie viele, die über Spongebob den Kopf schütteln, nur mal eben einen schrägen Blick auf das im eher altmodisch karikierenden Stil gezeichnete Gewusel geworfen, das sich auch noch auf dem Meeresgrund abspielt und dessen Held ein viereckiger Schwamm mit Spiegeleiaugen, Überbiss und brüchiger Stimme ist. Er hat eine Schnecke als Haustier, die auch noch miaut. Auf den ersten schrägen Blick ist das alles Tüttelkram, wie Mr. Krabs sagen könnte. Mr. Krabs? Ja, das ist der geizige Inhaber der „Krossen Krabbe“, einer Art McDonald’s in der Tiefseestadt Bikini Bottom, wo Spongebob als Burgerbrater angestellt ist. Ferner spielen mit: Patrick, ein tumber Seestern und Spongebobs bester Freund, und beider griesgrämiger Nachbar, der Tintenfisch Thaddäus. Es gibt noch mehr Figuren, aber reden wir lieber über die Qualität der Serie und fordern wir die Charlotte Roches dieses Landes sind auf, ihr Vorurteil zu überprüfen.

„Spongebob“ führt uns mitten hinein in unsere eigene Welt der Neurosen, der Existenzängste, der Überkompensation, der Unterschichtenproblematik, des Leistungsdrucks, des Erziehungsnotstands, der Wichtigtuerei und der Jagd nach dem Mammon. Jede Folge spiegelt einen Aspekt der gefährlichen Schräglagen, in die wir alle mal geraten, so wie unsere unausgewogene soziale Welt gebaut ist. Das Prinzip heißt: Nimm einen unbescholtenen Kerl, einen reinen Tor, ein gutwilliges Kind, wirf es in unsere verrückte Welt und guck, was passiert. Der Vergleich Spongebobs mit Voltaires „Candide“ wird in der Spongebob-Literatur (Internet) nicht gescheut. Der gelbe Schwamm ist ein heiterer Bursche, der nur das Beste will, aber für alle Einflüsse offen ist und sich so auch überreden lässt, bei etwas mitzumachen, das nicht so ganz gut ist. Hier liegt eine Parallele zu Collodis Pinocchio, sagt die Spongebob-Literatur. Aber brechen lässt sich der Schwamm niemals, dafür ist er zu weich. Was immer er auch einstecken muss, in der nächsten Folge entblößt er wieder seine vorstehenden Schneidezähne und stößt seine Losung hervor: „Ich bin bereit“.

Schon dass Spongebob vier Ecken hat (im US-Original heißt er: „Spongebob Squarepants“) kann man als Zeichen dafür interpretieren, dass dieser Typ sich nicht wirklich anpasst – trotz seiner Bemühungen. Als die Lehrerin in der Bootsfahrschule, Mrs. Puff, es nicht schafft, Spongebob durch die Prüfung zu bringen, wird sie vom Oberprüfer suspendiert, und der würdige Herr schickt seinen härtesten Trainer, um den schwierigen Schüler zu schleifen. Reuevoll setzt er bald darauf Mrs. Puff wieder in ihre Rechte ein und befindet: „Spongebob ist ununterrichtbar.“

Heißt das, unser Held lerne nichts dazu? Ja, das heißt es. Spongebob muss in Gefahr geraten, am besten zusammen mit seinem Freund Patrick (der mit dem IQ kurz über der Zimmertemperatur). Ganz wie jene anderen großen Helden des Zeichentricks, die Bewohner von Entenhausen, sind auch Spongebob und die Seinen als Charaktere fertig. Sie dürfen sich nicht wandeln. Der Witz liegt in den Erkenntnisblitzen, die aufleuchten, wenn sich so ein unwandelbarer Charakter an den veränderlichen Verhältnissen reibt.

Dabei ist Spongebob lernbegierig. Und im Grunde brav. Dennoch schafft es die Lehrerin nicht, ihn zu jener Disziplin zu veranlassen, die für das schulische Lernen unabdingbar ist. Dafür ist Spongebob zu sehr ein Sponti, der stets aus dem Augenblick heraus reagiert. Also ein (paradigmatisches) Kind. Und von dessen Charisma haben sich Kinder zu allen Zeiten, ob nun im Jahrhundert Voltaires, Collodis oder Spongebobs, angezogen gefühlt. Insofern ist Spongebob unbedingt ein Programm für die Kurzen.

Wikipedia bescheinigt der Serie, die bei Super RTL und Nick läuft, einen „skurrilen Humor“, ein Etikett, das heute oft verliehen wird, auf Spongebob aber wirklich zutrifft. Man könnte auch sagen: Hang zur Fantastik, zum magischen Denken, zum absurden Witz. Natürlich erschließt ein vereinzelter schräger Blick auf die Serie solche Potenziale nicht. Aber wer zum Beispiel die Folge vom Land der Fantasie durchhält, muss schon ein so verknöcherter Erwachsener wie Tintenfisch Thaddäus sein, um nicht zum Fan zu werden.

Spongebob und Patrick kriegen einen Großbildfernseher geliefert, ein Riesenteil, verpackt in einen Riesenkarton. Sie öffnen das Paket, hieven das Gerät heraus, lassen es im Vorgarten stehen und springen in den Karton. Kurz darauf vernimmt man einen seltsamen Geräuschemix aus Poltern, Donnern, Sirren, Lachen und Brüllen, der anschwillt und Thaddäus aus dem Haus treibt. „Ruhe!!“, fordert der Genervte (wie so oft). Er guckt in den Karton, in dem Spongebob und Patrick klein und scheu hocken. „Was macht ihr da?“ Die zwei erklären, sie reisten hier durch das Land der Fantasie. Brummelnd macht Thaddäus sich davon. Doch bald erhebt sich das Getöse aufs Neue, lauter und mysteriöser noch als zuvor. Thaddäus wetzt aus dem Haus und starrt böse in den Karton. Patrick schwärmt vom Land der Fantasie, man könne sich dort verwandeln in was immer man wolle, er sich zum Beispiel in einen Seestern. Thaddäus: „Patrick, du bist ein Seestern.“ Patrick: „Da kannst du mal sehen, wie gut es funktioniert.“ Entnervt fragt Thaddäus, ob er den Fernseher haben könne. Oja, Patrick und Spongebob brauchen ihn nicht. Thaddäus schleppt ihn erfreut ins Haus und schaltet ihn ein. Und was läuft? Ein Feature über Kartonproduktion ... Am Ende muss sich Thaddäus seine Sehnsucht, zu den beiden Fantasiereisenden in das Pappgefährt zu steigen, eingestehen. Eine charmantere Satire auf die Debatte um Fernsehen und Kinder ist schwerlich denkbar.

Spongebobs Erfinder heißt Steven Hillenburg, ist studierter Meeresbiologe und gelernter Animationszeichner. Seine Serie, 1999 gestartet, wurde in den USA mehrfach ausgezeichnet, hat eine große Fangemeinde und ragt nicht nur durch die reizvollen Geschichten, sondern auch durch Zeichentrickvarianten heraus, die sich in die älteste und beste Tradition stellen. Der bewegte Cartoon, heißt es, habe der Filmkunst den Aspekt der maßlosen Übertreibung hinzugefügt, und mit diesem Kunstmittel verfährt „Spongebob“ bravourös, erweist sich somit als Erbe der durch Disney begründeten Technik, die Gesetze der Physik im Interesse der visuellen Komik bis zum Gehtnichtmehr zu strapazieren. Höchstes Niveau halten auch die Dialoge – mit dem Effekt, dass sich Superstars bereit finden, den Meerestieren ihre Stimme zu leihen. David Bowie begründete seine Zusage mit den Worten, der „Heilige Gral des Animationsfilms“ dürfe an ihm „nicht vorübergehen“. Jim Jarmusch hat sogar eine Statistenrolle (Angler) übernommen. Manche Sequenzen spielen über Wasser, die sind dann in Echtfilm gedreht.

Über die deutsche Fassung ist ausnahmsweise nur Gutes zu sagen. Die zahlreichen Anspielungen auf die amerikanische Popkultur wurden mit viel Feingefühl hiesigen Verhältnissen angepasst. Die Synchronsprecher, allen voran Santiago Ziesmer als Spongebob, sind glänzend. Sie verleihen den Bewohnern Bikini Bottoms mit ihren Stimmen erst wirklich Seele (=anima=Animation). Nicht zuletzt dank dieser Künstler ist Spongebob trotz seines Tempos ein Programm auch für die Kleinsten. Mit dem „pazifischen Blödsinn“, wie eine Zeile im Eingangssong lautet, kann gar nicht früh genug begonnen werden.

„Spongebob Schwammkopf“, ab 8 Uhr 30 bei Nick und Super RTL

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