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Gedeck

© dpa

Star-Porträt: Jede Figur braucht ihre Aura

Die entschiedene Schauspielerin Martina Gedeck macht es sich nicht leicht und den anderen nicht einfach.

Vor dem Hotel „Brandenburger Hof“ in Berlin steht ein großer Weihnachtsbaum mit schweren farbigen Kugeln. Eine Frau wiegt sie bewundernd in ihrer Hand und spricht mit dem Pagen darüber, wie schön sie sind. Weihnachten, merkt man, ist ein Fest, das ihr gefällt.

Heute Abend ist Martina Gedeck in der Komödie „Meine schöne Bescherung“ zu sehen. Darin spielt sie Sara, eine Mutter von drei Kindern aus drei Beziehungen, die zusammen mit ihrem neuen Mann, ihrer Mutter und den Verflossenen samt deren jetzigen Frauen Heiligabend feiert. Das Fest der Liebe wird schnell zum Fest des Schreckens, als sich herausstellt, dass Sara erneut schwanger, ihr Geliebter allerdings seit geraumer Zeit nicht mehr zeugungsfähig ist. Über die Frage, von wem das Kind nun eigentlich stammt, entspinnt sich eine Geschichte über Treue, Verrat, Liebe von Müttern zu Kindern und die Ehe. Es wird getrunken, geprügelt, gelacht und geweint, bis sich am Ende alle erschöpft auf dem Fußboden wiederfinden.

„Das war schon sehr witzig“, erinnert sich Martina Gedeck. „Wir haben den Film in einem April im Studio Babelsberg gedreht und draußen blühte der Blauregen. Die Birkenblätter wiegten sich im samtenen blauen Frühlingslüftchen und wir feierten monatelang Weihnachten.“

Das klingt fast wie ein Gedicht, so poetisch drückt Martina Gedeck sich aus. Wir sitzen in einer separaten Hotellounge mit Ledersesseln und vielen Büchern, in die uns ein Herr von der Rezeption geführt hat. Als er den Namen der Gesprächspartnerin gehört hatte, hatte er die Augen aufgeschlagen und gesagt: „Wow, tolle Schauspielerin“. Nun gibt es Cappuccino und Schokoladenplätzchen, die Martina Gedeck im Nu verdrückt, als wären Süßigkeiten ein kleines Laster von ihr geworden, nachdem sie mit dem Rauchen aufgehört hat. Als noch ein Stückchen übrig ist, stellt sie fest: „Oh, jetzt habe ich ja fast alles aufgegessen. Sie hatten ja noch gar keins, nehmen Sie mal!“

Martina Gedeck hat es in Deutschland zu erstaunlicher Anerkennung gebracht. Sie hat alle Preise gewonnen, die es hierzulande in ihrem Fach zu gewinnen gibt. Man muss zu ihr aufschauen. Sie ist 1,75 Meter groß und trägt hohe Absätze, mindestens 12 Zentimeter, dazu ein Minikleid mit goldfarbenen Pailletten und schwarze Strumpfhosen. Ihr dunkles Haar ist hochgesteckt, ein paar Strähnen hängen in die Stirn. Gerade hat sie in Barcelona gedreht, und auch wenn sie in dem Film keine Spanierin spielt, kann man sie sich problemlos als solche vorstellen: braune, gefährliche Augen, eine deutsche Carmen, verführerisch und abweisend zugleich. Sie redet offen, aber nie intim, sie gibt einem die Hand, aber nur im Handschuh, sie bewahrt die nötige Distanz. Sie sagt: „Man kann einen Menschen nie ganz kennen. Ich glaube, dass ein Geheimnis, eine Aura, sehr wichtig ist. Vor allem für den Beruf. Ich muss ja jedes Mal eine Figur glaubhaft verkörpern. Wenn aber der Mensch, der sie spielt, schon entdeckt ist, ist er nicht mehr interessant für andere Rollen.“

1961 wurde Martina Gedeck in München geboren. Zehn Jahre später zog sie mit ihren Eltern und ihren beiden Schwestern nach West-Berlin. Anfangs vermisste sie die bayerische, gelassene Atmosphäre und den Dialekt. Was ihr an Berlin gefiel, war die Freiheit. „Berlin ist eine lebendige Stadt, die sich ständig wandelt und nicht zu fassen ist“, sagt sie. Besonders nach der Wende sei die Stadt modern, interessant, weltoffen, kommunikativ und verrückt geworden. Der 20. Jahrestag des Mauerfalls hat sie „emotional ziemlich mitgenommen“. Da war sie in Neapel und hat im Teatro di San Carlo aus dem Erzählband „Die Nacht, in der die Mauer fiel“ vorgelesen. Texte von Volker Braun, Uwe Tellkamp, Durs Grünbein, Katja Lange-Müller, Ostschriftstellern. Der Andrang in dem Theater, in dem früher die Opern von Verdi und Rossini Uraufführung feierten, war so groß, dass sie zwei Mal lesen musste.

Schon während der Schulzeit spielte sie Theater, zuerst im „Schulspiel“, dann im Austauschjahr in Amerika. Sie fing nach dem Abitur an, Germanistik zu studieren. „Das habe ich aber nicht lange genug ausgehalten“, erzählt sie. „Ich wusste auch nicht so richtig, was ich damit machen sollte, was eigentlich mein Ziel ist: Lektorin, Verlegerin, Professorin?“ Sie suchte etwas, wo sie sich die „literarischen Inhalte einverleiben“ konnte, etwas, was nicht nur im Kopf stattfand – zur Ausbildung an der Max-Reinhardt-Schule für Schauspiel in der Hochschule der Künste nahm man sie sofort. Während des Studiums arbeitete sie als Kellnerin. Das „Café Gloria“ am Kurfürstendamm existiert nicht mehr. Aber das Gefühl, wie anstrengend dieser Beruf sein kann, hat sie behalten: jeden Tag stehen, freundlich sein, sich Bestellungen merken.

Die Reaktion darauf war, dass sie beschloss, nach dem Studium erst mal alles anzunehmen, was sich in ihrem Metier bot. Nur so, glaubte sie, konnte sie darin auch weiterkommen. Sie machte Lesungen und Hörspiele, trat auf verschiedenen Bühnen auf. Ende der 80er Jahre spielte sie in den Serien „Liebling Kreuzberg“ und „Eurocops“ mit. Daran erinnern kann sich heute kaum noch jemand. Stattdessen ist sie als „Hölleisengretl“ (1994), in „Rossini“ (1997), als „Bella Martha“ (2001) oder als Brigitte Reimann in „Hunger auf Leben“ (2004) berühmt geworden. Die Presse feierte sie als „Diva“, „Chamäleon“, „Pandora“ und „entschiedenste Schauspielerin ihrer Generation“.

Martina Gedeck selbst zitiert gern den Kritiker Joachim Kaiser, der in einem Interview gesagt hat: „Alles Misslingen hat seine Gründe, aber alles Gelingen sein Geheimnis.“ Der Gedanke gefällt ihr, weil er auch zu ihr passt. Ganz kann man ihren Erfolg nicht ergründen, aber Erklärungen dafür gibt es. Sie hat nie zu einem bestimmten Ensemble, Regisseur oder Produzenten gehört, so blieb sie unabhängig. „Ich habe sozusagen nie zu einer Familie gefunden, was mich am Anfang verunsichert hat“, sagt sie. „Im Rückblick aber empfinde ich das als Glück. Ich habe gelernt, mit verschiedenen Genres jonglieren zu können.“

Wenn Martina Gedeck redet, wirkt sie nachdenklicher, durchgeistigter als viele ihrer Kolleginnen. Knappe Antworten liegen ihr nicht. Manche ihrer Sätze finden kein Ende. Als ob sie das eben Gesagte noch einmal laut überprüft. So etwas kann dauern, inzwischen hat sie auch den Nachschub vom zweiten Schokoteller aufgegessen. Aber man hört ihr gern zu, ihre Stimme klingt rau und kratzig, als hätte sie einen Teil von ihr gestern im Fußballstadion gelassen.

„Schauspielerei ist Kunst“, sagt sie, „und wenn wir das nicht als Kunst betreiben, dann interessiert es die Leute nicht mehr, dann können sie sich ja auch selbst filmen.“ Für sie heißt das, eine Rolle auch selbst verantworten zu können. Sie in Beziehung zu setzen, mit der Zeit, der Gesellschaft, der Politik. Vor jedem neuen Film, den sie dreht, besteht ihre Welt aus vielen Fragen. Sie schwirren in ihrem Kopf herum wie Bienen in einem Schwarm. Als ihr zum Beispiel die Figur der Sara in „Meine schöne Bescherung“ angeboten wurde, hat sie sich genau überlegt: „Was ist die Wut der Frau? In welchen Sequenzen bricht das aus? Geht sie freiwillig in eine Katastrophe? Geht sie unbewusst in eine Katastrophe? Ist sie ein Kind geblieben und will nicht erwachsen sein? Muss sie erwachsen werden?“ Und das geht so weiter, bis sie für sich „eine spannende und kantige Figur gebaut hat“. Einfach macht Martina Gedeck es sich nicht. Und anderen auch nicht. Ehe sie eine Rolle spielen kann, muss sie ganz und gar durch sie durch. Wenn sie ihr unverständlich bleibt, fühlt sie sich eingeschränkt und dressiert. Das klingt kompliziert, aber es entspricht ihrem Charakter. „Ich habe eine starke Konstitution und ein kräftiges Wesen“, erklärt sie. „Insofern können mich auch Veränderungen nicht aus dem Gleis hauen.“

Vermutlich schafft man es nur mit so einem Lebensprinzip, Verluste zu ertragen. Vor zehn Jahren nahm sich ihr Lebenspartner, der Schauspieler Ulrich Wildgruber, das Leben. Jetzt ist sie mit dem Regisseur Markus Imboden liiert. Mit ihm und ihrer ganzen Familie wird sie bei sich zu Hause Weihnachten feiern. Die Hälfte der Geschenke hat sie schon gekauft. Ihr selbst aber, sagt sie, fallen im Moment keine Wünsche ein.

„Meine schöne Bescherung“, ARD, um 20 Uhr 15; „Sisi“, 17./20.12., ZDF, um 20 Uhr 15 (Erzherzogin Sophie)

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