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Medien: Talk dich zum Kanzler

Von Bernd Gäbler Die Spannung steigt im Plauderton. Nachdem Edmund Stoiber mit Gattin Karin an seiner Seite bei Johannes B.

Von Bernd Gäbler

Die Spannung steigt im Plauderton. Nachdem Edmund Stoiber mit Gattin Karin an seiner Seite bei Johannes B. Kerner bewiesen hat, dass er nicht der ewige Stammler ist, trumpfte nun Gerhard Schröder auf: Im medialen Menscheln ist er einfach der Beste.

Schon in der Wahl der Bühne hat er Instinkt bewiesen: „Boulevard Bio“. Da gab er am Dienstag den jovialen Souverän, den über aller Tagespolitik thronenden Staatsmann der Mitte, umkränzt von zwei älteren Herren. Sofort ist klar: Der Pfeifenraucher rechts ist sein Freund, während sich der Herr links im feineren Zwirn fragend auf eine Tour d’horizon durch ein thematisches Allerlei von Fußball, Familie, Teuro, Benes-Dekreten und Walser begibt. Nicht unangenehm, selten peinlich und fast immer einig.

Bioleks Fragen zielen stets knapp vorbei an den wohl als zu kalt empfundenen Sachfragen direkt aufs Gemüt: „Haben Sie bedauert, dass Sie sich bei den Arbeitslosenzahlen so festgelegt haben?“ Nein, man muss sich doch anspruchsvolle Ziele setzen. So wird Politik zurückgeführt auf die psychische Verfassung der Politiker. Und Schröder zeigt sich als ein selbstgewisser Mann. Er sortiert das Gespräch, ihm gehören die Pointen.

Und wenn die Runde mal zu sehr abschweift, ist es der Nobelpreisträger Günter Grass an seiner Seite, der an ihren eigentlichen Zweck erinnert: Mit geradlinigen Bekenntnissen zu Rot-Grün und überraschend schlichten Darlegungen ihrer Erfolge. Sogar der Scherz, er habe mit dem Kanzler auch gemeinsam, dass er sich nicht die Haare färbe, ist ihm nicht zu billig. So wird Grass zum offenkundigeren Wahlkämpfer.

Bis hin zum stets punktgenauen Beifall aus dem Off besteht Harmonie. Ein Vermittlungsproblem steht der Vollendung des Schröderschen Werkes noch entgegen. Noch ist die Wiederwahl nicht sicher. Gemeinsam rückte man dem zu Leibe: „Herr Biolek, ab heute geht’s los“, sagt der Kanzler zum Schluss sogar mit ein wenig Ironie. „Viel Glück!“, ruft da der Talkmaster.

Seit Alfred Biolek im September 1996 für sein unterwürfiges Gespräch mit Helmut Kohl vom damaligen Bundeskanzler die Quittung erhielt, als der herzhaft bekundete: „Ich kann überall schlafen, ich könnte jetzt auch hier schlafen“, hat Biolek den Talk zu einer besonderen Kunstform jenseits des Journalismus erklärt. Auch Reinhold Beckmann, der sich gegenüber Jürgen W. Möllemann zwar konfrontativ und sorgenvoll gab, auch viele Zitate bereitliegen hatte, aber keine Argumente, will seinen Talk unbedingt als „eine Menschensendung“ verstanden wissen. Bei politischen Journalisten hat er Neid ausgemacht, weil er gelegentlich in deren Sandkiste buddele. Dabei lautete deren Kritik, dass Beckmann im Fall Möllemann lediglich etwas habe läuten hören, aber nicht wusste, wo die Glocken hängen.

Beckmann, Biolek und all die anderen wollen hinter die Politik schauen: auf den Menschen. Also wird geplaudert. Pro und Contra war gestern. Argumente sind so wenig warmherzig. Im Talk aber ist der Politiker ganz Mensch, und selten haben sich Mächtige so sichtbar, ja fast sinnlich erfahrbar gemacht wie in der Fernsehdemokratie. Nur hat die Sichtbarkeit der Mächtigen mit der Transparenz der Macht wenig zu tun.

Selbstbewusst, aber nicht arrogant; zupackend, aber nicht hektisch; klug, aber nicht überheblich – so muss sich der menschelnde Politiker möglichst natürlich inszenieren und seine Spontaneität gewissenhaft vorbereiten. Sein Profil folgt der Dialektik der Kontaktanzeige: Nähe suchen, aber auch Distanz ermöglichen. So ist der Politiker zwar ganz anders, aber doch einer von uns – und alle Politik lässt sich verzwergen auf Parallelen im Alltäglichen.

Der massierte Talk führt zu populärer feel- good-Politik. Der Pessimist Richard Sennet hat schon vor 20 Jahren als „Tyrannei der Intimität“ beklagt, dass die Annahme, jeder gesellschaftliche Sinn erwachse aus dem Gefühlsleben der Individuen, auf Dauer die res publica verdränge. Reinhold Beckmann muss Sennet nicht kennen. Alfred Biolek, Professor an einer Medienhochschule, schon. Und erst recht die Verantwortlichen von ARD und ZDF.

Gegen politische Unterhaltung und unterhaltsame Politik ist ja nichts einzuwenden. Gegen das Verdrängen des Journalismus durch Talk schon. Eine einzige Sendung gab es, in der Jürgen W. Möllemann kundig auf den Zahn gefühlt wurde. Der sehr zurückgenommene WDR-Chefredakteur Jörg Schönborn und die forsche „Monitor“-Chefin Sonia Mikich nahmen den Trouble-Maker argumentativ in die Zange. In dieser Sendung übrigens revozierte Möllemann auch erstmals.

Selbst wenn dies eher an Genschers Telefonat denn an diesem harten Dialog lag, hatte diese Sondersendung es nicht verdient, im Meer des allgemeinen Talks abgeschoben zu werden ins Dritte Programm.

Mit politischem Journalismus, so erklärte Beckmann in der angeblich medienkritischen NDR-Sendung „Zapp“, hätte er die 2,4 Millionen Zuschauer, die bei ihm Möllemann zusahen, nicht geholt. Bei so viel Quotenpopulismus muss der Journalismus darum kämpfen, auch öffentlich-rechtlich nicht in Nischen abgeschoben zu werden.

Wahlkampf im Plauderton. Das ist neu. Sogar spannend. Nur kreist er um ein großes Loch in der Mitte.

Bernd Gäbler ist Geschäftsführer des Adolf Grimme Instituts in Marl.

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