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Bild zum ARD-Film "Terror - Ihr Urteil".

© ARD Degeto/Moovie GmbH/Julia Terjung

"Terror - Ihr Urteil": Medienrechtler fordert mehr juristisches Fernsehen

Richter müssen urteilen und nicht das Volk. Das haben Inhalt und Erfolg von „Terror“ klar gemacht. Aber das Medium TV braucht mehr „Legal“-Formate. Ein Gastbeitrag.

Lange nicht hat ein Fernsehfilm zu einer so breiten Diskussion in der Öffentlichkeit geführt wie zuletzt „Terror“ nach dem gleichnamigen Theaterstück von Ferdinand von Schirach. Das lag sicherlich auch daran, dass der Film mit erheblichem Aufwand beworben wurde, aber das Thema scheint die Menschen schlicht zu interessieren. Das sogenannte „Eventfernsehen“, fast schon tot gesagt, ist wieder da. Der Marktanteil von über 20 Prozent ist ein Erfolg für die ARD und die Produzenten.

Zugleich aber hagelt es von allen Seiten Kritik. Nicht nur der medial omnipräsente Bundesrichter Thomas Fischer poltert in der „Zeit“, auch Heribert Prantl spricht in der „Süddeutschen Zeitung“ von „Volksgerichtshof“ und kritisiert, dass der Film den Zuschauer, sowohl was den Kausalverlauf angeht als auch die Möglichkeiten der Gerichtsentscheidung, nur jeweils zwei Optionen präsentiert: 164 Menschenleben gegen 70 000 Menschenleben und lebenslange Haft oder Freispruch. Aus formaljuristischer Sicht ist diese Kritik berechtigt. Jeder Richter, Staatsanwalt oder Anwalt, der als Praktiker Rechtsfälle begleitet, weiß, dass es bei einem Lebenssachverhalt verschiedenste Kausalverläufe geben kann.

Simplifizierung und Dramatisierung

Der Film suggeriert aber dem Zuschauer, dass entweder 164 Menschen sterben müssen oder 70 000. Tatsächlich hätte es zwischen dem Abschuss des Flugzeuges und dem Einschlag im Stadion noch andere Handlungsalternativen geben können: Vielleicht hätten Passagiere den Entführer zuvor überwältigt. Der Umstand, dass eines der vier Flugzeuge am 11. September 2001 sein Ziel nicht erreicht hat, zeigt, dass diese Alternative nicht völlig hypothetisch ist. Auch beim Urteil hätte es mehr Varianten gegeben, als der Film offerierte. In diesem Fall hätte es nicht nur die Alternative Freispruch oder Lebenslang wegen Mordes gegeben, auch eine Verurteilung wegen Totschlags wäre möglich gewesen mit einem anderen Strafmaß. Insofern ist es richtig, dass der Film tatsächlich wie rechtlich die Dinge simplifiziert und jeweils nur zwei Alternativen präsentiert.

Diese im Ansatz sicherlich berechtigte Kritik von Volljuristen verkennt aber, dass es sich bei dem Film um Kunst handelt. So wie die Satire massiv überzeichnen darf, darf der Schriftsteller oder Drehbuchautor mit Mitteln der Vereinfachung dramatisieren, um beim Zuschauer Emotionen hervorzurufen und ein intensiveres Nachdenken über Grundfragen des Seins anzustoßen. Es geht insofern nicht um Verfilmung nach Aktenlage, zumal 90 Minuten es nicht erlauben, die oben beschriebenen Differenziertheiten aufzuzeigen.

Es geht darum, eine Diskussion zu elementaren Fragen anzutreten; das ist Schirach durch die kritisierte Vereinfachung gelungen und war sicherlich auch sein Ziel. Insofern ist auch die heftige Kritik, die jetzt kommt, Teil des Gesamtkonzepts. Die Kritiker haben recht. Leben darf gegen Leben nicht aufgewogen werden. Es gibt kein lebensunwerteres Leben, der Sterbenskranke hat dasselbe Lebensrecht wie der Neugeborene, der Flugzeugpassagier wie der Stadionbesucher. Und ja, das Urteil der Fernsehzuschauer ist daher auch falsch. Konsequenterweise spricht sich Schirach auch in einem Interview gewissermaßen gegen das Votum seiner Zuschauer für eine Verurteilung des Piloten aus.

Provozierendes Ergebnis

Der Rechtsstaat ist eben nicht disponibel. Der Polizeivizepräsident, der dem Entführer von Jakob von Metzler Folter androhte, wurde daher zu Recht schuldig gesprochen. Der deutsche Rechtsstaat, wie er sich auf dem Boden des Grundgesetzes darstellt, ist wahrscheinlich die höchste Errungenschaft deutscher Geschichte. Seine Qualität ist hoch. Er garantiert Lebensqualität und Sicherheit für jeden einzelnen Bürger. Er ist teilweise aber eben auch eine bittere Pille, die geschluckt werden muss, die keine Ausnahmen zulässt, weder für den Piloten noch für den folterandrohenden Ermittler. Es muss bei den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bleiben, das vor gut zehn Jahren das Flugsicherheitsgesetz zu Recht für verfassungswidrig erklärte, welches den Abschuss von Flugzeugen in einem vergleichbaren Fall erlaubt hätte.

Der Film – und das ist ebenso ein Verdienst des Autors Schirach, wahrscheinlich war es sogar von ihm auch hier dialektisch angelegt – führt zu einer weiteren Erkenntnis: Quasi unbemerkt führt nämlich Schirach durch die Abstimmung des Publikums das amerikanische Jurysystem im deutschen Gerichtssaal ein. Er lässt nicht die Richter, sondern das Volk entscheiden. Und er weiß auch, dass das Volk im Zweifel eher freisprechen wird im vorliegenden Fall, entgegen dem, was der Rechtsstaat gebietet. Und genau mit diesem provozierten Ergebnis wird klar: Es ist gut, dass nicht das Volk entscheidet, sondern Richter.

Der Volkswille kann sich nämlich auch umdrehen. Die großartige Rechtsgelehrte und unlängst verstorbene Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, hat für umgekehrte Fälle zu Recht formuliert: „Volkszorn ist kein Haftgrund.“ So ließen sich nämlich viele Fälle finden, bei welchen der Volksentscheid ebenso wider den Rechtsstaat verurteilen würde, etwa beim angeklagten Kinderschänder, obwohl Restzweifel an seiner Schuld verbleiben. Insofern ist der Film, gerade in seiner dramaturgischen Zuspitzung weitergedacht, im Ergebnis ein Plädoyer für den Rechtsstaat, aber auch gegen das Volksgericht.

Recht, Gerechtigkeit und Gesetz im Fernsehen

Was sagt aber den Medienmachern der Erfolg von „Terror“? Themen, wie Recht und Gerechtigkeit, spannend und auch dramaturgisch zugespitzt erzählt, interessieren und binden den Zuschauer, lassen ihn weiter diskutieren. Umso bedauerlicher ist, ja es ist ein Dilemma, dass das deutsche Fernsehen es seit „Liebling Kreuzberg“ nicht geschafft hat, ein erfolgreiches, fiktionales Fernsehformat zu diesen Themen zu realisieren, obwohl es in Amerika bekanntermaßen im Ergebnis nur zwei Erfolgsformate für Serien gibt: medical und legal, also Krankenhaus- und Anwaltsserien, teilweise auf sehr hohem Niveau.

In Deutschland fehlen vergleichbare „Legal“-Formate. Es wäre wünschenswert, wenn deutsche Fernsehmacher den Erfolg von „Terror“ zum Anlass nehmen, intelligente fiktionale Formate zum Thema Recht, Gerechtigkeit und Justiz zu entwickeln. Es besteht erheblicher Bedarf.

Der Autor ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor für Presse- und Persönlichkeitsrecht an der TU Dresden. Er liest zudem strategische Rechtskommunikation der Humboldt Universität Berlin.

Christian Schertz

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