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TV-Debatte: Das vertriebene Publikum

Wie viele Programme brauchen ARD und ZDF für Zuschauererfolg? Neue Kanäle bestimmt nicht.

Im Juli also wollen ARD und ZDF mit den Ministerpräsidenten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im digitalen Zeitalter reden. Es geht um die jeweils drei Kanäle, die den Sendern zugestanden worden waren. Sie sollten als Antwort auf die rasante Multiplikation von Anbietern und Programmen taugen: EinsExtra (jetzt tagesschau24), EinsPlus, EinsFestival, ZDFinfo, ZDFKultur, ZDF-Familienkanal (jetzt: ZDFneo). Der Auftrag der Rundfunkpolitik hat sich in Ablehnung verwandelt. Während Sachsens Staatskanzleichef Johannes Beermann (CDU) rigoros die Abschaffung aller sechs Kanäle fordert, will der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) immerhin ein Programm bei der ARD und eines beim ZDF überleben lassen. Beck argumentiert, wer beispielsweise Phoenix betreibt, der braucht nicht die Verlängerungen in tagesschau24 und ZDFinfo. Mehr vom Gleichen, kann das die Antwort auf die digitalen Herausforderungen sein?

Beck verneint, und er hat recht. Aber die Erkenntnis ist dürftig, weil die Ministerpräsidenten genau diese Konzepte ja genehmigt hatten. Die Abschaffung der Kanäle ist das schlichte Dementi eigener Rundfunkpolitik. Auf diesem Niveau agiert auch die ARD. Die neun Landesrundfunkanstalten sind überfordert. EinsExtra wird zur Dauerschleife tagesschau24, bei EinsPlus und EinsFestival wird abends Jugend geprobt. Das ist hochnotpeinlich, weil hier zwangsgeduzt, zwangsumarmt, zwangsbeglückt wird. Verkrampfung allerorten, wo ein Stefan Raab bei ProSieben oder Joko Winterscheidt/Klaas Heufer-Umlauf bei ZDFneo aus der Mitte des Jungvolks senden. Das ist cool, stimmig, das ist die richtige Ansprache, weil sie nicht nervige Anmache ist. Das ZDF ist geschickter, ZDFneo wird immerhin schon wahrgenommen. Keiner muss deswegen Hurra schreien. Mithilfe der Rundfunkpolitik und dem Einsatz weiterer Gebührenmittel soll das Grundversagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks getilgt werden. Das Erste, das Zweite, die Dritten, die Extensions wie Phoenix, Arte und 3sat haben junge Zuschauer vergrault. Wer zwischen 14 und 29 soll sich in den für Erwachsene und Senioren getunten Programmen wiederfinden? Die Vertreibung des jungen Publikums ging einher mit der Auslagerung eminent wichtiger Themenkomplexe aus den Hauptprogrammen. Politik wurde Phoenix, Kultur wurde 3sat und Arte, Kinder bekamen Kika.

Vertreibung und Auslagerung haben ARD und ZDF ärmer und im Publikum älter gemacht. Anderes war gewollt, aber nur dieses Ergebnis wurde erreicht. Ein Jugendkanal, kurz Juka, gibt die alte und damit falsche Antwort auf die neuen Herausforderungen. Die Vorstellung, dass Fernsehzuschauer erst Kika einschalten, dann Juka und im Seniorenalter das Erste, ist Selbstbetrug. Die Rundfunkpolitik hat den eigenen Irrtum erkannt. Nicht aus Klugheit, sondern aus Angst: Wer mit der Haushaltsabgabe 2013 die Gebührenpflicht für alle Bürger verschärft, der scheut sich, weitere Programme bei ARD und ZDF mit weiteren Gebührenmillionen zu fluten.

Das öffentlich-rechtliche Sortiment muss wieder öffentlich-rechtlicher werden, muss wieder Politik, Kultur und Jugend in die Hauptprogramme integrieren. Selbst wenn Programme für alle nicht Programm für jeden heißt. Diversifikation im digitalen Zeitalter heißt Distinktion. Das Populärangebot hat den Zuspruch gesenkt, nicht gehoben. Joachim Huber

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