zum Hauptinhalt

TV-Drama: Kreuzberg wird Schicksal

„Berlin – 1. Mai“, eine Studie über Menschen im Krawall. Einige Szenen wurden in der Originalkulisse gedreht...

Harry ist 1.-Mai-Veteran. In seinem Regal steht, wie auf einem Altar, „’ne Originalpulle von Getränke Hoffmann. Den haben wir ’88 geplündert.“ Die Flasche ist noch nicht ausgetrunken, aber bald wird es um sie geschehen sein, denn Harry (Peter Kurth) hat an diesem 1. Mai Bekanntschaft mit dem türkischen Jungen Yavuz (Cernal Subasi) gemacht. Yavuz will endlich dazugehören zur Welt seines großen Bruders und hat sich vorgenommen, „Bullen platt zu machen“. Harry und Yavuz waren sich spontan sympathisch, haben eine kleine Straßenbarrikade gebaut und sind dann vor der Polizei in Harrys Wohnung geflüchtet. „Bist du ein Schwuler?“, fragt Yavuz besorgt. „Nee, ich bin Atheist“, antwortet der Alt-Linke etwas rätselhaft. Als sein kleiner Freund auf dem Tisch eine Zwille entdeckt, bietet sich das Andenken an die guten, alten 1.-Mai-Zeiten als schönes Ziel an. Clash der Kulturen in Berlin-Kreuzberg, einmal anders.

Der Tag der zum Ritual gewordenen Konfrontation zwischen Polizei und Autonomen sowie einem bunten Haufen zugereister Demonstranten bildet den Rahmen für „Berlin – 1. Mai“ , einen Film, der aus drei Filmen besteht. Denn drei Regieteams fügen ihre Geschichten hier zu einer erstaunlich harmonischen Einheit zusammen. Von Sven Taddicken („Emmas Glück“) stammt die Episode um den jungen Yavuz. Den Ausflug der beiden Krawalltouristen Jacob (Jacob Matschenz) und Pelle (Ludwig Trepte) inszenierten Carsten Ludwig und Jan-Christoph Glaser („66/67“). Und den Arbeitstag des durch eine Ehekrise aus der Bahn geworfenen Polizisten Uwe (Benjamin Höppner) erzählt Jakob Ziemnicki („Tompson Musik“).

In einer schönen, verbindenden Nebenrolle ist Hannah Herzsprung („Vier Minuten") als junge Punkerin zu sehen. Einige Szenen wurden gewissermaßen in der Originalkulisse gedreht, in Kreuzberg am 1. Mai 2006. Der Film lief 2008 bei der Berlinale und unter dem Titel „1. Mai – Helden bei der Arbeit“ auch in den Kinos.

Weniger wegen der halbdokumentarischen Szenen ist hier etwas zu spüren vom Zeitgeist, der junge Leute am 1. Mai auf die Straßen treibt, in der Sehnsucht, mit Gewalt etwas zu ändern – wenn schon nicht die Welt, dann wenigstens das eigene Leben. Für die Verunsicherung, die hier mit Wut bekämpft wird, sind Waffen das zentrale Symbol. Für Yavuz öffnet die Zwille das Tor zur Erwachsenenwelt. Jacob, mit seinem Freund Pelle aus der westfälischen Provinz angereist, hofft mit der Pistole seines Großvaters auf den besonderen Kick. Dagegen wacht Uwe, den der Seitensprung seiner Frau schwer mitgenommen hat, erst aus seiner Lethargie auf, als er im Puff die Dienstwaffe verliert.

Nicht alles ist stimmig in dieser Filmkomposition. Die Harmlosigkeit des Polizisten wirkt übertrieben, die Dialoge zwischen Jacob und Pelle erscheinen auf Jugendsprache getrimmt. Auch Jacobs Vorgeschichte, als finaler Schock erzählt, hätte es nicht unbedingt gebraucht, aber es ist ein radikales, mögliches Ende. Von den eigentlichen Krawallen hat keiner etwas mitbekommen, trotzdem hat Kreuzberg sie verändert. Thomas Gehringer

„Berlin – 1. Mai“, Samstag, 22 Uhr, Arte

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false