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© NDR/Marion von der Mehden

TV-Köche: „Päpstliches Huhn“

Die Geburt der TV-Brutzel-Stunde: Jan Josef Liefers glänzt als 50er-Jahre-Fernsehkoch Clemens Wilmenrod.

Der Name Clemens Wilmenrod sagt kaum jemandem etwas, doch beim Stichwort „Toast Hawaii“ nickt jeder lächelnd mit dem Kopf. Die bekannteste Hinterlassenschaft des ersten deutschen Fernsehkochs weckt heute vor allem Kindheitsassoziationen. 1953, als Wilmenrod zum ersten mal mit seiner 15-minütigen Livesendung „Bitte, in zehn Minuten zu Tisch“ auftrat, verkörperte die Kombination aus Formschinken, Dosenananas, Scheiblettenkäse und einer Cocktailkirsche die Sehnsucht nach der weiten Welt ebenso wie die Möglichkeit, erstaunlich unaufwendig und bequem zu kochen.

Wilmenrod selbst war ein großer Schwadroneur. Leutselig lächelnd gab der Schauspieler, der nie wirklich kochen konnte, am Herd merkwürdige Anekdoten von Abruzzischen Bauersfrauen und Beethovens Liebe zu Quark zum Besten. Passend zu seinen verschnörkelten Plaudereien nennt er seine Kreationen etwa „Päpstliches Huhn“ (mit Pflaumen und Kirschen gefüllt), „Venezianischer Weihnachtsschmaus“ (paniertes Schnitzel in viel Soße) oder „Arabisches Reiterfleisch“ (Bulette). Der Rumtopf, der allein sieben Mal in seinen Sendungen auftauchte, trat durch ihn seinen Siegeszug in Deutschland an. „Wenn man gelegentlich in den Keller kommt, so steht er in der Ecke, der bunte, irdene Topf, als ein lieber Freund“, schwurbelte Wilmenrod. „Wie könnte man das dunkle Gelass verschließen, ohne ihn, den Guten, Stillen in der Ecke, begrüßt zu haben.“

Der redselige Selbstdarsteller ist eine wunderbare Rolle für einen Schauspieler wie Jan Josef Liefers, der mit seinen versnobten Vorträgen bereits als Münsteraner „Tatort“-Pathologe glänzt und nervt. Es macht großen Spaß, ihm als Dampfplauderer, Bonvivant und Frauenliebling durch die ersten Wirtschaftswunderjahre zu folgen. Der arbeitslose Schauspieler Clemens Carl Hahn und seine Frau Erika (dargestellt von Liefers Ehefrau Anna Loos) stecken in finanziellen Schwierigkeiten. Er beschließt, dem Intendanten des NWDR eine Kochshow vorzuschlagen. Der ist schnell überzeugt von der Idee, ebenso wie NWDR-Generaldirektor Adolf Grimme. Das deutsche Fernsehen ist gerade acht Wochen alt, gesendet wird aus dem Bunker auf dem Heiligengeistfeld. Es herrscht Pionierstimmung. Als „Bitte, in zehn Minuten zu Tisch“ an einem Freitagabend um 21 Uhr 30 ausgestrahlt wird, geht für den Moderator ein Traum in Erfüllung: Er hat nicht nur das erste Fernsehformat für Frauen konzipiert, sondern sich selbst neu erfunden. Über Nacht ist er zum Fernsehkoch Clemens Wilmenrod geworden. Wilmenrod wie sein Geburtsort, das Westerwalddorf Wilmenrod.

Seine Zuschauer, in guten Zeiten sind es knapp drei Millionen, spricht er in seiner barocken Art mit „Ihr lieben, goldigen Menschen“ an. Als er das auf Anraten des Intendanten durch „Liebe Brüder und Schwestern in Lucullus“ ersetzt, gibt es harsche Beschwerden von Theologen. Man einigt sich auf „Liebe Freunde in Lucullus“ und schließlich auf „Verehrte Feinschmeckergemeinde“. Besonders schwiemelig wird es bei der „gefüllten Erdbeere“. Das Original (es gibt nur zwei Aufzeichnungen von Wilmenrod-Sendungen) lässt sich bei Youtube.de bestaunen. Es geht um die leere Stelle, die entsteht, wenn man den Stiel aus der Erdbeere dreht. Im Film heißt es: „So träumte ich wochenlang von diesem köstlichen, kleinen Hohlraum und wie er zu füllen sei.“ Ebenso theatralisch wird dann die Lösung verkündet: „Mit einer Mandel!“

Neben ihm unsichtbar im Studio wird Wilmenrod von seiner Frau Erika unterstützt, die versucht, die schlimmsten Fauxpas am Herd zu verhindern. Hinter den Kulissen entwickelt sie eine eigene Kreativität. Während er zu Ruhm bei Hausfrauen gelangt, schließt sie lukrative Werbeverträge mit Lebensmittellieferanten und Geräteherstellern. In den elf Jahren seiner Karriere wirbt Wilmenrod nicht nur für Schmelzkäse, Fischkonserven und Rum, sondern auch für Tomatenschneider, Tischgrills und Wäscheständer. Nach Plagiats- und Betrugsvorwürfen gerät seine nonchalante Art der Schleichwerbung stärker in den Fokus, was dem „Spiegel“ 1959 eine Titelgeschichte („Der Kochspieler“) wert ist. 1964 wird seine Sendung aus dem Programm genommen. Die Nachkriegskarriere hat ein tragisches Ende.

„Einer balanciert auf dem Seil und kann jederzeit abstürzen“, sagt Liefers über die Figur, für die er sich zwölf Kilo angefuttert hat. „Das spielt sich nicht so leicht wie es klingt. Bei all seiner Lächerlichkeit darf man ihn nie fallen lassen, er hat auch seine ehrliche, rührende Seite.“ Tatsächlich gelingt Liefers zusammen mit Regisseur Kaspar Heidelbach und Drehbuchautor Lothar Kurzawa eine Komödie voller Skurrilitäten, die der Verlockung widersteht, allein auf Slapstick zu setzen. Bei der Ausstattung hat man es an nichts fehlen lassen. Vom Zigarettenspender bis zu den Hochglanz-Oldtimern ist der Film eine bilderbuchhafte Zeitreise in die Aufwärtsstimmung der 50er-Jahre. Etwas von dieser Zeit weht auch in den Gastauftritten von Nadja Tiller und Walter Giller herüber. Zu Recht hat „Es liegt mir auf der Zunge“, den die skandalumwitterte NDR-Redakteurin Doris Heinze mitverantwortete, dieses Jahr auf dem Festival „Zoom“ in Barcelona den Preis für den besten europäischen Fernsehfilm bekommen.

„Es liegt mir auf der Zunge“,

ARD, 20 Uhr 15

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