zum Hauptinhalt
315827_0_b8714439.jpg

© SWR-Pressestelle/Fotoredaktion

TV-KRIMI: „Die Perlen haben es schwer“

„Tatort“-Junkie Francois Werner über die 750. Folge der Reihe, die Mörder-Suche via Twitter und das Geheimnis des Giftschranks

Herr Werner, ist der „Tatort“ am Sonntag ein Ritual?

Ich habe gerade für mich entdeckt, den „Tatort“ in einer Kneipe zu schauen. Und wenn man sieht, was bei Facebook oder Twitter los ist, scheint das für jede Menge Leute ein Riesen-Ritual zu sein.

Während des Krimis wird getwittert?

Sagenhaft. Da wird der Mörder geraten, da wird über eine Pointe gelacht, da wird der Film durch und durch kommentiert. An jedem Sonntagabend ist der „Tatort“ das Thema Nummer eins in der Twitter-Rangliste.

Würden Sie sich selbst als Fan bezeichnen?

Ja, klar. Ich bin Krimi-Junkie, habe schon als Kind viele Krimis gelesen und bin mit „Soko 5113“ groß geworden. „Tatort“ ist Vielseitigkeit, Abwechslung. Ich glaube, er ist immer noch so erfolgreich, weil an jedem Sonntag ein anderer Kommissar in einer anderen Stadt ermittelt und die Geschichten auch mal anders erzählt werden.

Warum haben Sie den „Tatort-Fundus“ gegründet?

Ich hatte 1997 an der Universität einen HTML-Kurs belegt. Wir sollten Inhaltsseiten bauen, und ich habe die Rezension eines „Tatorts“ reingestellt, dann die Besetzung und auch die von der nächsten Woche. Ich merkte, das kam unheimlich gut an. So habe ich relativ schnell erst einmal einen Episodenführer zusammengestellt.

Haben Sie sich schon einmal so richtig geärgert über einen „Tatort“?

Na klar. Der letzte Münchener „Tatort“ hat mir nicht gefallen, weil ich es abgedroschen finde, dass man die Ermittler in eine Amnesie schickt und die dann unter Mordverdacht geraten. Überhaupt: Dass man die Ermittler so stark privat mit in die Geschichten einbezieht, halte ich an vielen Stellen für unnötig und übertrieben. Gucken Sie sich den Kölner Ermittler Max Ballauf an. Das schreit ja zum Himmel. Der hat schon sieben Ex-Geliebte gehabt, die man ihm vor der Nase umbrachte.

Was macht also einen guten „Tatort“ aus?

Ein guter „Tatort“ muss spannend sein und eine Geschichte erzählen, die aus dem Leben gegriffen ist. Der „Tatort“ hat den Anspruch, gesellschaftsrelevante Themen aufzugreifen. Wenn das in Kombination mit einer guten Unterhaltung, mit Spannung, mit Humor gelingt, dann ist das ein guter „Tatort“. Ich muss einfach mitfiebern und darf am besten gar nicht auf die Uhr gucken. Und wenn wir schon über den 750. „Tatort“ reden: „Altlasten“ ist ausgezeichnet. Die Geschichte ist rund, weist auf das Thema Verschreibungsverhalten der Ärzte hin und hat ein überraschendes Ende.

Es sind aber doch gar nicht 750 Folgen, nicht wahr?

Richtig, es gibt noch 13 Folgen, die der ORF zwischen 1985 und 1989 produzierte, die nicht in Deutschland erstgesendet, wohl aber teilweise wiederholt wurden und die in der offiziellen Statistik der ARD überhaupt nicht auftauchen. Bei einigen Filmen war der Bayerische Rundfunk (BR) sogar Koproduktionssender.

Stichwort Abwechslung: Die Nachfolger von Bienzle in Stuttgart schwäbeln überhaupt nicht mehr.

Zum „Tatort“ gehört das Lokalkolorit, das sich auch über die Sprache definiert und nicht nur über Sehenswürdigkeiten. Doch dieser konzeptionelle Ansatz wird eigentlich nur noch in München erfüllt. Der Bienzle in Stuttgart oder der Ehrlicher in Leipzig hatten den „Tatort“ noch mit der Gegend verortet. Dass das in den Hintergrund gerät, kritisiere ich stark. Das gilt auch für die Geschichten. Bei einem Ludwigshafen-„Tatort“ könnte der Film in 95 Prozent der Fälle auch in Hannover spielen.

Wer ist der beste „Tatort“ aller Zeiten?

„Reifezeugnis“ ist wirklich ein sehr guter „Tatort“. Es gibt noch einen „Tatort“ von 1997, „Morde ohne Leichen“, ein österreichischer Beitrag. Das sind meine zwei Favoriten. Aber meine Liste der Top-Ten-„Tatorte“ wechselt immer mal.

Gibt es „Tatort“-Filme, die Sie gerne noch einmal sehen würden und die nicht gezeigt werden?

Ich bin, wie viele bei uns, ein großer Fan der siebziger Jahre. Da sind richtig viele Perlen entstanden. Aber die siebziger und teilweise die achtziger Jahre haben es heute unheimlich schwer. Im Wiederholungsprogramm werden die Filme der letzten zehn Jahre rauf und runter genudelt. Das finde ich unerträglich. Die Sendeanstalten sind nur noch von der Angst geleitet, die Zuschauer könnten nach zwei Minuten umschalten.

Es liegen einige Filme im Giftschrank. Bei welchen ist es besonders schmerzhaft, dass sie nicht mehr gezeigt werden?

Ich halte die Gründe bei allen für übertrieben. Wir haben 2003 bei Gunther Witte, dem „Tatort“-Erfinder, interveniert, damit die Giftschrank-Folge mit Kommissar Haferkamp, „Drei Schlingen“ aus dem Jahr 1977, noch einmal dem Jugendschutz-Beauftragten beim WDR zur Prüfung vorgelegt wird. Die Ausstrahlung ist daraufhin im Mai 2003 erfolgt. Die Maßstäbe haben sich verschoben, heute kann man über viele Begründungen nur noch milde lächeln.

Gehört zum Ritual auch dazu, auf Fehler zu achten?

Es gibt Kleinigkeiten, die nur den echten Fans auffallen. Aber manchmal handelt es sich auch um richtige Schnitzer. Im letzten Leipzig-„Tatort“ zum Beispiel sagte die Kommissarin, es sei der 30. Mai, was einfach nicht sein konnte, weil man im Hintergrund die völlig kahlen Bäume gesehen hat.

Das Interview führte Thomas Gehringer.

Francois Werner

hat das Internet-Portal tatort-fundus.de gegründet. Hier findet der „Tatort“-Interessierte alles Wissenswerte zur ARD-Krimireihe.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false