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Friedman

© N 24

TV-Kritik: Harte Stühle, harte Themen

"Friedman schaut hin" ein Format mit Botschaft.

Nur einmal verliert er die Fassung. Fällt aus seiner Rolle. Als der 22-jährige Häftling in der Justizvollzugsanstalt Wriezen sagt, warum er überhaupt im Knast sitzt: „Körperverletzung, immer wieder Körperverletzung“. Es sei sein Sport gewesen, sagt der bullige Typ, der anonym bleiben will, mit schelmischem Grinsen. Da wird es Michel Friedman zu viel. „Ich kann es nicht ab, jemanden zu schlagen, da ist bei mir absolut Schluss mit lustig“, sagt er wütend. Es sind die Momente, in denen Michel Friedman ganz bei sich ist in seiner neuen Sendung „Friedman schaut hin“, die heute bei N24 startet. Dann kann er ungehemmt machen, was er so liebt: streiten. Es bleibt die Ausnahme.

Ein ganz anderer Friedman

Michel Friedman schlägt mit seiner neuen Sendung den zweiten Bildungsweg ein. Kein klassisches Studio, keine gemütlichen Plüschsessel und vor allem keine Politiker. Dafür Gitterstäbe, ein Tisch, fünf harte Stühle und genauso harte Jungs – doch die wichtigste Neuerung ist Michel Friedman selbst. „Kein Geschrei“, sagt er. Sätze wie „Ich habe Angst“ oder „Ich wollte mich nicht in den Mittelpunkt stellen“, fallen immer mal wieder. Friedman will seine weiche Seite rausstellen. Bis an die Schmerzgrenze des Erträglichen geht er normalerweise seine politischen Gäste an. „Politischer Talk kann gar nicht gnadenlos genug sein“, sagt er. Er beruft sich auf sein Informationsrecht, das er als Journalist hat. Doch in seinem neuen Format hat er dieses Recht nicht. Oder besser, er fordert es nicht so hart ein. Friedman will mit den Menschen reden, über die der Talkmaster normalerweise nur mit Politikern spricht, vor Ort. Und da herrscht eine andere Gesprächstemperatur. „Ich absolviere auf diesem Gebiet ein Volontariat.“ Als erste Station seiner Ausbildung dient die JVA Wriezen in Brandenburg.

Auch wenn's schwerfällt: Er lässt die Kriminellen ausreden

Die ersten Schritte des Azubis Friedmann sind ansehnlich, aber nicht stolperfrei. Auf harte Schnitte, düstere Schwarz-Weiß-Einspielungen und auf eine dramatisch tickende Uhr konnte er nicht verzichten. Nur lenken sie mehr ab, als dass sie entscheidende Passagen unterstreichen. Auch das Friedman immer wieder von Karrieren der Straftäter spricht, ihren „Gewaltkarrieren“, „Drogenkarrieren“ und „Kriminalitätskarrieren“, würde jeden Sozialpädagogen erschaudern lassen. Aber Friedman ist kein Pädagoge. Im schwarzen Anzug, weißem Hemd ohne Krawatte sitzt er den Kriminellen gegenüber und lässt sie reden. Auch wenn zu spüren ist, wie oft sich Friedman auf die Zunge beißen muss. Unsicherheit ist zu spüren, bei ihm neu. Aber durch Zurückhaltung kommt die Sendung trotz der lästigen Showelemente an ihr Ziel: Es gibt nicht den einen Grund für Jugendgewalt. Steven, 23, berichtet davon, wie er mit sieben Jahren Kaugummis klaute. Wie sein Vater seine Mutter verprügelt hat, wie alles in der Heroinsucht mündet. Daneben Felix, 21, dessen Elternhaus intakt ist, der keine Sorgen hatte und trotzdem einsitzt.

Das Format funktioniert

Es ist nichts bahnbrechend Neues, was Friedman präsentiert. Aber ein Format, das funktioniert und eine Botschaft hat. Eine politische. „Diese Leute brauchen eine zweite Chance“, sagt er am Ende. Aber auch eine Botschaft an das eigene Genre. Mit Leib und Seele ist er politischer Talkmaster. Daran werde sich nichts ändern, sagt er. Ein Statement gegen die Talkshow-Kultur mit dem inflationären Gebrauch der Betroffenheitssofas ist es schon. Von dort aus dürfen Menschen für einen Moment davon berichten, worüber Politiker streiten. Friedman ist das zu billig, er geht zu den Menschen hin – ohne Politiker. Wie eine kleine Flucht aus dem Talkshow-Alltag wirkt seine Sendung, weg vom langweiligen Talk in großkoalitionären Zeiten, ohne Streit, ohne Dissonanzen. Er bestreitet dies. „Es ist nur ein weiterer Mosaikstein meiner journalistischen Arbeit“, sagt er. Trotzdem sieht es nach stillem Protest aus.

Nicht alles in seinem neuen Format, das in loser Folge dieses Jahr noch mindestens zwei Mal zu sehen sein wird, wirkt authentisch. Dass Friedman wirklich Angst hat, kauft man ihm nicht ab. Aber dass er zuhören kann, hat er schon mal bewiesen. Alles andere kann im Laufe der Ausbildung kommen.

„Friedmann schaut hin“, 23 Uhr 30, N24.

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