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Wenig englisch: Marie Bäumer sieht man die kühle Deutsche genauso an wie Fritz Karl den feschen Österreicher. Foto: ARD

© ARD Degeto/Teamworx/J.v. Vieting

TV-Melodram: Rule, Britannia!

Nach zahlreichen ZDF-Produktionen läuft der neue Charlotte-Link-Film „Das andere Kind“ im Ersten. Streckenweise pilchert es gewaltig.

Von Susanna Nieder

Das Leben könnte schön sein – wenn es sich nur nicht so leblos anfühlte. Und wenn nicht ständig scheinbar unlösbare Konflikte auftauchten. Woher kommt eigentlich der ganze Verhau, der uns daran hindert, glücklich zu sein?

Der Zweiteiler „Das andere Kind“ (Drehbuch: Stefan Dähnert nach dem gleichnamigen Roman von Charlotte Link, Regie: Urs Egger) schafft es ziemlich gut, Verstrickungen offenzulegen, mit denen wir Menschen uns selbst am Fortkommen hindern. Dazu benutzt er drei Erzählstränge auf zwei Zeitebenen: ein Familiendrama und einen Kriminalfall in der Jetztzeit sowie ein Kriegsschicksal in der Vergangenheit.

Leslie (Marie Bäumer) ist zwar eine erfolgreiche Kinderpsychologin, doch sie selbst hat keine Kinder, ist unglücklich und neuerdings geschieden von Stephen (Matthew Marsh), obwohl der sie immer noch liebt. Sie besucht ihre Großmutter Fiona (Hannelore Hoger) im nordenglischen Küstenstädtchen Scarborough. Die beiden sind zur Verlobung von Leslies bester Freundin Gwen (Bronagh Gallagher) eingeladen, einem Mauerblümchen, das mit dem Französischlehrer Dave (Fritz Karl) einen erstaunlich guten Fang gemacht zu haben scheint. Doch Fiona ist misstrauisch, und da sie Streit grundsätzlich nie aus dem Weg geht, sehen alle dem Verlobungsessen mit Besorgnis entgegen.

Außerdem ist die alte Dame aus einem anderen Grund zutiefst beunruhigt. Etwas aus ihrer Vergangenheit quält sie, doch sie will Leslie nicht sagen, was. Zu den unterschwelligen Spannungen kommt ein aufsehenerregender Kriminalfall – in Scarborough geht ein Frauenmörder um; die Polizei nimmt an, dass sie es mit einem Serientäter zu tun hat. So schnurrt das Schicksal ab wie ein Computerprogramm, das sich nicht stoppen lässt. In ausführlichen Rückblenden wird erzählt, wo die Wurzel des Übels liegt: Als die zwölfjährige Fiona nach einer Bombennacht aus London evakuiert wird, heftet sich der kleine Nachbarjunge Brian an ihre Fersen, der seine gesamte Familie verloren hat. Gemeinsam kommen sie zu Bauern in Nordengland, deren Sohn Fionas große Liebe wird. Doch sie schafft es nicht, Brian in ihr Leben einzubeziehen. Schicht um Schicht zeigt sich: Es ist kein Zufall, dass Fionas Enkeltochter Leslie sich nicht für das Glück und für ein eigenes Kind entscheiden kann.

Charlotte Link ist eine deutsche Bestsellerautorin, die seit 1985 knapp 30 dicke Romane geschrieben hat. Die meisten davon spielen in England, fast die Hälfte wurde fürs ZDF verfilmt. Auch die erste ARD-Produktion „Das andere Kind“ erzählt eine englische Geschichte. Das bringt bei der Verfilmung fürs deutsche Fernsehen gewisse Schwierigkeiten mit sich, denn natürlich wollte man die Hauptrollen mit Stars aus dem deutschsprachigen Raum besetzen.

Gedreht wurde in England, und die meisten Schauspieler sind Briten. Das bedeutet, dass sich die deutschsprachigen Darsteller ins britische Ensemble einfügen müssen. Hannelore Hoger mit Inspektor-Clouseau-Hütchen nimmt man auch sofort die bärbeißige Engländerin ab. Marie Bäumer und Fritz Karl dagegen spielen zwar wunderbar, doch man sieht in ihr immer die kühle Deutsche und in ihm den feschen Österreicher. Es wirkt fast schon albern, wenn sie sich „Leslie“ und „Dave“ rufen.

In unserer Fernsehkultur sind wir da zwar nicht pingelig; uns ist es schon schwedisch genug, wenn eine deutsche Autorin sich Inga Lindström nennt und Hardy Krüger Jr. zu Sophie Schütt Agnetha sagt. „Das andere Kind“ hat aber höhere Ansprüche als eine Sonntagabend-Schmonzette. Besonders die große Bedeutung der Kriegszeit für die Briten, in der Deutsche und Österreicher nun mal der Feind waren, schafft eine ständige Irritation. Dass in den Sequenzen aus dem Krieg peinlich auf eine durchweg britische Besetzung geachtet wurde, macht es nicht klarer. „Britannia Rule the Waves“ dürfen offenbar nur englische Schauspieler singen.

Wenn man über solche Feinheiten hinwegsieht und in Kauf nimmt, dass in diesem Film die Krimihandlung und deren Personal nicht besonders subtil entwickelt sind, kann man am Ende des zweiten Teils aber eine Auflösung von Fionas und Leslies Drama erleben, die tatsächlich berührt. Susanna Nieder

„Charlotte Link – Das andere Kind“. 2. und 3. Januar, jeweils 20 Uhr 15 in der ARD

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