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© dpa

TV-Misere: Gebt uns unser Fernsehen zurück!

Gestalten statt meckern: Die „Generation Glotze“ fühlt sich von den Fernseh-Größen ausgegrenzt. Dabei wünscht sie sich nur eins: Wir wollen unsere Sehnsuchtsmaschine wieder haben.

Das Fernsehen ist ein Trauerspiel. Das konnte man in der vergangenen Woche wieder sehen – in den Tageszeitungen. Dort nämlich stritten sich Dieter Hildebrandt und Mathias Richling über die Sendung, die Hildebrandt vor 29 Jahren unter dem Namen „Scheibenwischer“ erfunden hatte und die Richling jetzt als „Satiregipfel“ fortführt. In dem Streit ging es irgendwie darum, wer wie worüber im Fernsehen Witze machen darf. Hildebrandt ist 81 Jahre alt, Richling wird am Dienstag 56.

Vor einer Woche stand an dieser Stelle ein Text von Joachim Huber, der mich und meine Generation als „Generation Glotze“ bezeichnete und uns vorwarf, wir hätten das Fernsehen zerstört – als Zuschauer, vor allem aber als Gestalter, denn wir würden nichts gestalten, wir würden den Fernsehnachwuchs nicht stellen, es gäbe keine Hoffnungsträger aus unserer Generation, die das Fernsehen endlich wieder schön und schlau und sexy und relevant machen könnten. Das kann man alles so sehen – aber es ist alles falsch.

Wenn sich ein 81-Jähriger mit einem 56-Jährigen über Humor im Fernsehen streitet, dann ist das nicht unser Thema und nichts unser Problem. Es wirkt lächerlich, mit so etwas wollen wir tatsächlich nichts zu tun haben. Vergangene Woche lautete deshalb auch ein Argument: Es gebe bei den 26- bis 42-Jährigen ein „psychosoziales Einverständnis“ mit dem Medium – deshalb seien sie „TV-Hedonisten“, die im Fernsehen vor allem eine anstrengungsfreie Zone sehen. Die Älteren hingegen, so Hubers Exklusivmeinung, erwarten vom Fernsehen Information und Bildung und Anstrengung von beiden Seiten. Soso. Aber warum haben die Älteren dann das Fernsehen kaputt gemacht?

Hier kommen, damit man weiß, wer der Feind ist, Namen und Alter der Fernsehverantwortlichen: Peter Boudgoust, Vorsitzender der ARD, 54; Markus Schächter, Intendant des ZDF, 59; Thomas Ebeling, Vorstandvorsitzender von Pro Sieben Sat 1, 59. Anke Schäferkordt, Geschäftsführerin von RTL, sagenhafte 46. Fällt da was auf?

Die Vertreter meiner Generation, der angeblichen „Generation Glotze“, sind nicht dafür verantwortlich, dass das Fernsehen schlecht ist – wie sollten wir das denn auch sein, wir dürfen ja nicht ran, man lässt uns nicht. Zwei prominente Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass unsere Talente das Fernsehen fluchtartig verlassen, weil das Fernsehen sie nicht will. Da ist zum einen Heike Makatsch. Als der Sender Viva noch Musikvideos zeigte, irgendwann in den 90er Jahren, tauchte sie dort auf und revolutionierte die Art des Moderierens auf eine völlig unspektakuläre Art und Weise: Was viele damals nett, unverkrampft und mädchenhaft nannten, war in Wirklichkeit Haltung. Haltung zum Leben, zum Fernsehen, zu dem Job, den sie da tat. Im Rückblick scheint es nur logisch, dass Heike Makatsch heute eine der besten deutschen Schauspielerinnen ist, etwas zu sagen hat und eine der wenigen in ihrer Liga ist, die tatsächlich internationales Format hat. Im Fernsehen gaben sie Makatsch keinen Raum. Was man ihr anbot, floppte nicht wegen ihr, sondern weil man der Frau weder Zeit gab noch das richtige Format. Christian Ulmen, der andere Beweis, kam sogar mit einem eigenen Format, aber auch ihm wollte man keine Zeit geben, und erst nach Zuschauerprotesten (die durchweg aus der „Generation Glotze“ kamen, da haut das mit der anstrengungsfreien Zone schon nicht mehr hin) konnte „Mein neuer Freund“ komplett auf Pro 7 laufen. Ulmen ist das vielleicht größte Talent, das das Fernsehen in den letzten zehn Jahren hervorgebracht hat, einer, der immer ins Fernsehen wollte, der mit einer Kamera als Zwölfjähriger bereits seine Umgebung gefilmt hat und sich früh im Offenen Kanal Hamburg ausprobieren konnte. Ulmen liebt das Medium, aber das Medium scheint ihn nicht zu lieben, deshalb macht Ulmen jetzt im Internet weiter. Das Fernsehen hat ihn dorthin getrieben, es hat ihn vertrieben.

Andererseits hofiert es gerade Oliver Pocher, den Klassenkasper unserer Generation, der beweist, dass man mit relativ wenig Talent, aber ganz viel Wollen auch eine Karriere machen kann. Pocher kann sich die Angebote in Ruhe anschauen und das Beste raussuchen. Pocher ist natürlich nicht so gut wie Ulmen, aber besser als Jörg Pilawa ist er allemal, manchmal erkennt man das sogar, leider zu selten. Das liegt aber vor allem daran, dass Pocher die Rolle eines leicht bekloppten 30-Jährigen spielt, um wenigstens diese Nische zu besetzen – eine Nische, in die ihn die Alten, die nicht weggehen, die nicht loslassen, unbewusst geschubst haben. Warum geben sie Pocher nicht „Verstehen Sie Spaß?“? Und falls er scheitert, so wie vor 15 Jahren Harald Schmidt gescheitert ist, dann ist das nicht schlimm. Jeder scheitert in seinem Beruf dann und wann, warum sollte man im Fernsehen nicht scheitern dürfen? Weil das Fernsehen funktionieren muss, immer und dauernd, und wenn etwas nicht funktioniert, dann wird das eben abgesetzt. Die sogenannte Generation Glotze aber, die ist in ihrem Leben schon so oft gescheitert, und darüber, über dieses Scheitern, machen die Besten dieser Generation Bücher und Filme und Theater und Musik. Lasst sie doch darüber auch mal Fernsehen machen – kluges, lustiges, trauriges Fernsehen, ein Fernsehen, das aber die Senderverantwortlichen niemals verstehen werden.

Und deshalb gehen wir weg. Wir, die „Generation Glotze“ schaut eben nicht weiter, sondert wendet sich ab von dem Medium, das tatsächlich einmal „unser“ Medium war, das uns wärmte und auf dem Schulhof einte und über das wir mehr von Leben erfahren haben, als vom Leben selbst. Wir schalten ab. Wir kaufen DVDs, bestellen US-Import-Ware, um unsere Lieblingsserien so zu schauen, wie wir es für richtig halten, und wehren uns damit gegen das Diktat von Programmmachern, die weder das Programm noch uns verstehen wollen. Dabei wäre es so einfach: Denn auch wir wollen staunen und lernen und lachen und weinen und manchmal unseren Augen nicht trauen. Wir wollen diese Sehnsuchtsmaschine wieder haben, die das Fernsehen mit all seinen Versprechungen einmal für uns war. Und wenn wir das Gefühl hätten, dass das möglich wäre, dann würden wir vielleicht auch wieder zurückkehren, als Zuschauer. Und vielleicht sogar würden talentierte, kluge, junge Menschen sich dafür entscheiden, zum Fernsehen zu gehen. Um dort zu arbeiten. Wenn wir jetzt zum Fernsehen gehen, dann nur, um uns zu beschweren.

Der Autor ist 33 und ihn verbindet zum Fernsehen eine Hassliebe, die 1984 begann, bei den Übertragungen der Olympischen Winterspiele. Niemals hat sich ihm die Frage gestellt, ob er fürs Fernsehen arbeiten sollte – seit zehn Jahren arbeitet Kalle für Printprodukte.

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