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Das finstere Tal: Der Fremde Greider (Sam Riley) erlebt Finsteres im Alpenhochtal.

© ZDF

TV-Programm an Weihnachten: Ist das Fernsehen nicht schön?

Nüsse, Piraten, Helene Fischer, Übriggebliebene: Ein kritischer Blick aufs TV-Weihnachtsprogramm. Das Beste gibt es vielleicht ganz woanders.

Der Erzähler in Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ hatte als Kind jeden Abend den innigen Wunsch, dass seine Mutter mit ans Bett käme, um ihm gute Nacht zu sagen. Diese erfüllte ihm die Bitte nur äußerst selten, um „das Kind nicht daran zu gewöhnen“.

Eines Abends versteckt er sich nach dem Zubettgehen auf dem Flur, um seine Mutter noch einmal zu sehen, und wird dabei von seinem Vater überrascht. Der Vater bestraft ihn nicht wie erwartet, sondern veranlasst die Mutter, die Nacht beim Sohn im Zimmer zu verbringen.

Unsere frühesten Erinnerungen haben so etwas Magisches. Es sind Bilder, die zugleich Gefühle sind. Das weiß Marcel Proust, das wissen die Fernsehsender. Das Weihnachtsprogramm ist voll mit Filmen und Bildern, die Erinnerungen wecken. Ob bekennender Freund von Weihnachtsliedern, Kitsch, Glitzer und Co. oder aufrichtiger Verächter des kommerziellen Drumherum der Feiertage – die Sender packen zu den Feiertagen eine Schippe drauf und zeigen fast vergessene Kindheitserinnerungen und, in Maßen, auch neue Kinohits. Programmplaner können es sich einfach machen. Wer zu Weihnachten Fernsehen guckt, will die magische Grundversorgung.

Dazu gehören am Heiligabend die Klassiker wie die erste Realverfilmung des Kinderabenteuers „Petterson und Findus“ (ZDF, 12 Uhr 05), „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ (ARD, 12 Uhr 10), „Kevin allein zu Haus“ (Sat1, 20 Uhr 15), die „Weihnachtsgeschichte“ (3sat, 21 Uhr 55). Der Start der preisgekrönten Dramaserie „Charles Dickens’ Little Dorit“ (Arte, ab 20 Uhr 15) und, natürlich, diesmal tief in der Nacht für besonders tief Schlafgestörte, die Frank-Capra-Schnulze „Ist das Leben nicht schön?“ (ARD, um 2 Uhr 20) mit James Stewart als braven Familienvater, der wegen Schulden von einer Brücke stürzen will und vom Engel Clarence gerettet wird.

Neue Märchen im Ersten: Die Salzprinzessin
Neue Märchen im Ersten: Die Salzprinzessin

© WDR/Kai Schulz

Das betört ebenso wie am Ersten Weihnachtstag der päpstliche Weihnachtssegen „Urbi et orbi“ (ZDF, 12 Uhr), Helene Fischer als Weihnachtsengel in ihrer ZDF-Personality-Show (20 Uhr 15) sowie der Start von vier Märchen-Neuverfilmungen in der ARD: „Die Salzprinzessin“ (14 Uhr) und „Nussknacker und Mäusekönig“ (15 Uhr). Dreimal Grimm und erstmals E.T.A. Hoffmann über die Feiertage im Ersten, am 26.12. folgen noch „Prinzessin Maleen“ (14 Uhr) und „Der Prinz im Bärenfell“ (15 Uhr).

Märchen und Engel gehören zu den Kindheitserinnerungen, somit zu Weihnachten, zu Gerüchen von Festtagsbraten, Glühwein oder Koriander, logisch. Der inneren Zusammenhang des Piratenabenteuers „Fluch der Karibik“ zu Weihnachten erschließt sich nicht unbedingt auf den ersten Blick. Der lustige Blockbuster mit Johnny Depp (Zweiter Weihnachtstag, Sat1, 20 Uhr 15) wird aber genauso regelmäßig ins Programm gehoben wie diverse Digitaltrickabenteuer bei den Privaten. RTL bringt die schräge Steinzeitfamilie „Die Croods“ (Zweiter Weihnachtstag, 20 Uhr 15), Pro7 kontert recht kolossal mit „Pacific Rim“ (Zweiter Weihnachtstag, 20 Uhr 15).

Riesenroboter gegen Riesen-Meeres-Aliens, Weltbedrohung – spätestens da dürfte Schluss sein mit dem Besinnlichkeits-Overkill, zudem die ARD am zweiten Festtag, aus welchen Gründen auch immer, vor einem neuen Wallander-Krimi mit Kenneth Branagh (ARD, 21 Uhr 45) einen neuen Kölner „Tatort“ (ARD, 20 Uhr 15) bringt. Einen Tag später, am angestammten Sonntagsplatz, gibt’s den nächsten neuen HR-„Tatort“ mit Ulrich Tukur. Seltsam. Begeistert dürften Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär von der Programmierung nicht sein.

Kevin allein zu Haus.
Kevin allein zu Haus.

© Sat1

Köln hin, Frankfurt her, da der Sonntag in diesem Jahr auch irgendwie zu Weihnachten gehört, läuft dort dann auch der ultimative TV-Tipp zu diesem Fest: die TV-Premiere „Das finstere Tal“ (Sonntag, ZDF, 22 Uhr). Regisseur Andreas Prochaska inszenierte nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Willmann. Der Film spielt Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Fremder bittet eine verschworene Dorfgemeinschaft in einem entlegenen Hochtal um Quartier über den Winter. Er kennt das düstere Geheimnis der Dorfbewohner, eine mysteriöse Todesserie beginnt. Ein knorriger, panoramareicher Alpenwestern mit Sam Riley (spielte die Punk-Ikone Ian Curtis in „Control“) und Tobias Moretti, eine unironische Anspielung an Italo-Western, die beim Deutschen Filmpreis gleich achtmal ausgezeichnet wurde.

P. S.: Wem das mit dem Fernsehen zu fad ist, dürfte auch über die Feiertage bei den Streamingdiensten fündig werden. Die brachten 2015 so viel Qualität wie selten. Zeitlose Abrufe lohnen sich bei der seriellen Filmadaption „Fargo 2“, der neuen Bill-Murray-Satire „A Very Murray Christmas“ (beide via Netflix), der Nazifantasie „The Man In The High Castle“ und der Transgenderserie „Transparent“ (beide Amazon Prime Video), dem Mysterythriller „The Leftovers“ oder der neuen Krimiserie „The Last Panthers“ (beide via Sky Go). Nicht zu vergessen die Gangsterserie „Peaky Blinders“ beim Streamingdienst Watchever.

Von Kindheitserinnerungen ist man damit natürlich weit weit weg. Da hilft dann doch wieder Marcel Proust, auf der Suche nach der verlorenen Zeit.

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