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TV-Serien: „Tu Gutes, und es wird dir gut gehen“

Keine andere TV-Serie persifliert die neue amerikanische Moral besser als „My name is Earl“.

Earl Hickey ist das hässliche, dumme und gerne verheimlichte Amerika. Er ist ein Typ, den man lieber nicht seinen Eltern vorstellen möchte. Earl Hickey ist weiß, Mitte dreißig und arbeitslos. Wenn er Hunger hat, klaut er einen Hotdog, wenn er Durst hat ein Sixpack Bier. Er trägt fettiges Haar, dicke Koteletten und Schnauzbart. Zusammen mit seiner Frau Joy lebt er in einem Wohnwagen in Camden County, einer öden Kleinstadt irgendwo im mittleren Westen. Seit der Erfolgsgeschichte des US-Rappers Eminen weiß auch der Europäer, dass man Leute wie Earl „white trash“ nennt, weißen Abfall.

Eigentlich ist Earl Hickey kein hitverdächtiges Sujet für eine TV-Sitcom, sieht man einmal von Al Bundy und seiner schrecklich netten Familie ab. Doch „My name is Earl“, die Serie um den kleinkriminellen Verlierer Earl Hickey, war in den USA der Überraschungserfolg des vergangenen Fernsehjahres – und kommt 2008 auch nach Deutschland, wo die Sitcom auf RTL zur Primetime laufen soll.

Im Quotenkampf mit den großen Rundfunkanstalten ABC und Fox rettete „My name is Earl“ NBC vor der Bedeutungslosigkeit – und auch das Genre der Sitcoms selber. Seit dem Ende von „Seinfeld“ oder „Friends“ galt das Format als Auslaufmodell und Relikt der 90er Jahre. 2006 wurde „My name is Earl“ mit Emmys für Regie und Drehbuch geadelt. In Deutschland ist die Serie bisher nur auf DVD im Original zu sehen.

Ganz so überraschend ist der Erfolg nicht: Schließlich versucht Protagonist Earl Hickey, sein Leben in den Griff zu bekommen. Earl möchte kein Dreckskerl mehr sein, sondern verantwortungsvoll mit der Umwelt und seinen Mitmenschen umgehen, und das ist spätestens seit der Ökowelle rund um das Benefizspektakel „Live Earth“ und den G-8-Protesten voll im Trend. Im Pilot zur Serie gewinnt Earl 100 000 Dollar durch ein Rubbellos. Freudetrunken springt er auf die Straße und wird prompt von einem Auto überfahren. Aus der Traum, das Rubbellos flattert davon. Er wacht im Krankenhaus auf, benebelt von Morphium. Durch die Mattscheibe des Fernsehers spricht der Talkshow-Moderator Carson Daly zu ihm. „Wenn du Gutes tust, wird dir Gutes widerfahren, wenn du Schlechtes tust, wird dieses Schlechte zu dir zurückkommen und dich verfolgen. Das ist Karma!“ Die Botschaft kommt an. Auf einen gelben Schmierzettel notiert Earl alle Fehltritte, um sie Schritt für Schritt wieder ins Reine zu bringen. Punkt 136: „Ich bin ein Schmutzfink und habe nie meine Bierdosen in den Mülleimer geworfen.“ Earl beginnt, die Straße zu säubern und siehe da, Karma funktioniert. Das 100 000 Dollar Rubbellos flattert zu ihm zurück. Wie schief das Gutmenschentum gehen kann, zeigt eine spätere Episode. Earl will einer einbeinigen Frau ihr Auto zurückgeben, dass er vor Jahren geklaut hat. Ein Running Gag, die Aktion misslingt jedes Mal. Die Beklaute und ihr einarmiger, beinloser Freund jagen ihn mit einer Schrotflinte. „My name ist Earl“ lebt von diesem beißenden, schwarzen Humor. Die surrealistische Trailer-Park-Romantik, die Produzent und Regisseur Greg Garcia durch Überblendungen und Schnitte in Videoclip-Ästhetik unterstreicht, ist ein Hingucker. Glücklicherweise verzichtet Garcia auf eingespielte Lacher. Besonders gelungen ist das urkomische Schauspiel der Protagonisten.

Jason Lee, bisher nur als Nebendarsteller in Kinofilmen wie Dogma oder Vanilla Sky aufgefallen, macht aus dem dumpfen Redneck Earl ein Schlitzohr, dessen charmant überzogene Mimik Jim Carrey nicht besser hinbekommen hätte. Bei seiner Mission unterstützt wird Earl von seinem Bruder Randy (Ethan Suplee), einem übergewichtigen Fernsehjunkie, der in einer Folge mit offenem Mund einen Laptop schüttelt und das Gerät für eine Porno-Maschine hält. Nachdem die beiden von Joy (Jaime Pressly) aus dem Wohnwagen geworfen werden und sie mit Earls schwarzem Freund Darnell (Eddie Steeples) zusammenzieht, kommt das Bruderpaar in einem verranzten Motel unter. Dort treffen sie auf das freizügige Zimmermädchen Catalina (Nadine Velazquez), eine Illegale aus Lateinamerika.

Sämtliche Charaktere sind gnadenlos überzeichnet. Randy ist durch exzessiven TV- und Bierkonsum zu einem verstrahlten Kind von 120 Kilogramm mutiert; Joy, unentwegt Kaugummi kauend, wäre trotz Modelfigur selbst für die Bärbel-Schäfer-Show zu asozial; Darnell, eigentlich ein Einser-Schüler, muss seine Klugheit verbergen, weil er an einem Zeugenschutzprogramm teilnimmt, und widmet sich seitdem einer Schildkröte und seiner Leidenschaft für Käse; Putzhilfe Catalina vergießt keine Träne um ihre Mutter, die bei der gemeinsamen Flucht in die USA erschossen wurde.

Neben diesen sittlichen Verfehlungen besticht „My name is Earl“ vor allem durch die schrittweise Katharsis des Anti-Helden Earl. Am Ende jeder Folge hat er sein Leben und das eines anderen wieder in die richtigen Bahnen gelenkt. Auf eine überaus plakative Art geht es hier um Moral, und dieser moralische Paradigmenwechsel weg vom rücksichtslosen Egoisten hin zum bewusst und nachhaltig denkenden Menschen vollzieht sich zurzeit nicht nur im TV. „Benutzt Energiesparlampen! Lasst eure Autos stehen, um die CO2-Emission zu stoppen“, war die Botschaft vom Oscar-Gewinner und Beinahe-Präsident Al Gore bei den „Live Earth“-Konzerten. Earl Hickey formuliert es noch einfacher: „Tu Gutes, und es wird dir gut gehen!“ In Hollywood ist diese Botschaft längst angekommen. George Clooney und Brad Pitt sind imagepolierend auf umweltfreundliche Hybridautos umgestiegen. Selbst Gouverneur und Ex-Terminator Arnold Schwarzenegger hat seinen Hummer-Jeep gegen ein Elektroauto getauscht.

Richtig „Political Correct“ ist allerdings nur, wer sich im Biosupermarkt mit pestizidfreiem Gemüse versorgt und im Eine-Welt-Laden mit fair gehandeltem Kaffee. In „My name is Earl“ schlägt sich diese Konsumentenläuterung nieder. In einer Folge hilft Earl einem ergrauten Mann, der einen kleinen Hotdog-Stand betreibt, im Konkurrenzkampf gegen eine große Fast-Food-Kette zu bestehen. Er platziert einen abgeschnittenen Zeh im Hotdog des Konkurrenten und verklagt das Großunternehmen daraufhin. Am Ende gewinnt der kleine Mann, der auf die Qualität seiner Produkte achtet.

„Karma-Kapitalismus“ nennt der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann die ökologische und soziale Neuorientierung der Unternehmen. Karma bedeute, „dass unser künftiges Leben davon abhängt, wie wir uns in der Gegenwart verhalten“. In der hinduistischen Lehre ist Karma das universelle Zusammenspiel von Ursache und Wirkung. Trendforscher Wippermann: „Die Konsumenten suchen wieder Werte statt Preise.“ Doch nur den Besserverdienenden können die Preise tatsächlich egal sein. Wer wenig Geld hat, muss auch weiterhin Kleidung aus Sweatshops tragen, giftiges Obst essen und sich obendrein von den bewussten, weil wohlhabenden Konsumenten dumm anmachen lassen.

Die Sitcom hält den neuen Weltverbesserern den Spiegel vor. Earls Mission ist von egoistischen Motiven geleitet. „Ich bin Karmas Schlampe“, sagt er oft. Er muss anderen helfen, sonst gerät er selbst in Schwierigkeiten. Auch der Antrieb von Wirtschaft und Konsumenten, in den Karma-Kanon einzustimmen, ist so altruistisch nicht. Es geht um Image, Vermarktung, Marketing.

Earl Hickey ist ein Pragmatiker. „Tu Gutes, krieg Gutes“, ist seine einfache Formel. Die Bescheidenheit dieser Gleichung und die Besinnung auf Karma und Wiedergeburt haben den Produzenten der Serie schon den Vorwurf eingebracht, sie arbeiteten für die Scientology-Sekte. Earl ist das egal. Er kennt Scientology nicht.

„My name is Earl“, Staffel 1 und 2 im Original auf DVD. „Mein Name ist Earl" ab 2008 auf RTL.

Christoph Cadenbach

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