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Ulrich Noethen: Ein fliehender Star

Lehrer Halm, Himmler, Kommissar Süden: Nur einen Haudrauf wird Ulrich Noethen wohl nicht mehr spielen.

Die Koteletten sind ab, den durchdringenden Raubtierblick des neuen Fernsehermittlers Tabor Süden wird Ulrich Noethen aber auch bei einem Pressetermin noch nicht ganz los. Beim Gespräch mit dem Schauspieler möchte man einfach mal anfangen zu reden, zu gestehen, wie es die Verdächtigen in „Kommissar Süden“ tun, der neuen ZDF-Krimireihe nach den Romanen von Friedrich Ani. Eine Verdächtige sagt da: So wie sie kann keiner schauen. Gerade liefen in kurzem Abstand zwei Folgen. An diesem Montag muss man sich schon wieder an ein anderes Gesicht, einen anderen Blick von Ulrich Noethen gewöhnen – als Vogelliebhaber Helmut Halm in der Verfilmung von Martin Walsers Novelle „Ein fliehendes Pferd“.

Gewissermaßen Ulrich-Noethen-Festspiele also im Fernsehen. Wobei sich solche Herausstellungen erübrigen, angesichts dieser Filmografie: „Die Luftbrücke“, „Comedian Harmonists“, in „Der Untergang“ und „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ jeweils in der Rolle des Reichsführers SS Heinrich Himmler, „Schloss Gripsholm“, der „Tatort – Frau Bu lacht“, das Nachkriegsdrama „Teufelsbraten“, für das er gerade den Grimme-Preis gewonnen hat. Ulrich Noethen ist einer der erfolgreichsten deutschen Schauspieler, kann sich aber seelenruhig und offenbar unerkannt ins Berliner Kulturforum setzen, bedächtig ein Stück Kuchen essen und dabei über seine neue Arbeit reden. Vor allem darüber, was denn dieser Tabor Süden von der Kripo in München, der Melancholiker, Schweiger und Vermisstensucher, der selber seinen Vater vermisst, mit dem Schauspieler und Privatmann zu tun hat.

Ulrich Noethen nippt am Espresso. Man merkt sofort: Schnellschüsse, Schlagzeilen, Talk-Geplauder, private Offenbarungen, das ist nicht unbedingt seine Sache. Ja, Abwarten und Zuhören können, das habe schon was. Der Süden, der entspräche seinem Naturell. „Ein Romantiker, eine nachdenkliche Figur, zu der ich großes Vertrauen habe.“ Die Verwirklichung des Satzes: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. „Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich höre mich schon wahnsinnig gerne reden.“ Das sei ja auch der Grund, weswegen er so viele Hörbücher mache, wie zuletzt die 250-stündige, ungekürzte Aufnahme von Tolstois Monumentalwerk „Krieg und Frieden“, die größte Lesung, die bislang für Radio und CD aufgezeichnet wurde. Aber das seien, sagt Noethen, literarische Vorlagen, die machen Sinn und Verstand. „Bei mir selber habe ich das nicht. Eigentlich möchte man ein wahnsinnig kluger Mensch sein. Und alles, was nicht gesagt ist, kann schon mal nicht verrissen werden.“

Das ist schon mal nicht gut für den neugierigen Journalisten, aber gut für den Schauspieler, der seine Arbeit sprechen lassen will. Für einen wahnsinnig klugen Menschen hält sich auch jener Lehrer Helmut Halm in „Ein fliehendes Pferd“, Rainer Kaufmanns weitgehend gelungener ironischer Sommerkomödie mit Starbesetzung (Katja Riemann, Ulrich Tukur). Ausgangspunkt ist das zufällige Treffen zweier alter Studienfreunde und ihrer Frauen im Urlaub am Bodensee. Was als harmloses Wiedersehen beginnt, entwickelt sich zu einer dramatischen Begegnung. Allmählich fangen die Eheleute an, sich selbst, ihre Klugheit und Beziehung infrage zu stellen.

Es ist nicht leicht, in Noethens Karriere so etwas wie einen roten Faden zu finden, zwischen solch frivoler Komödie, Tragödie, Kinderfilmen wie „Das Sams“, wo Noethen den Herrn Taschenbier spielte, und Krimis. Vielleicht ist es am Ende doch noch am ehesten die Rolle des geselligen Einzelgängers. Der Vogelliebhaber Helmut Halm jedenfalls ist ähnlich wie der Kommissar Süden alles andere als ein Haudrauf-Typ, am liebsten allein und ungestört. „Diese Kopf-durch-dieWand-Rollen kommen bei mir auch nicht an. Da gibt es ein gewisses Bild, was die Leute von mir haben“, sagt Noethen und blickt durch die großen Fenster in die Ferne, als ob das gewisse Bild da deutlicher stünde.

Der mehrfach preisgekrönte Theater- und Filmdarsteller, der als Sohn eines Neu-Ulmer Pfarrers erst nach den Umwegen eines Jurastudiums zur Schauspielschule in Stuttgart kam, fühlt sich durch diese vermeintliche Rollen-Schublade nicht eingeengt. Solange ihm Typen wie der „Süden“ oder Halm in „Ein fliehendes Pferd“ angeboten werden. Die Verfilmung eines der erfolgreichsten Bücher der deutschen Gegenwartsliteratur, die vor zwei Jahren in die Kinos kam, hat für Noethen eine besondere Bedeutung. „Das ist ein Film, der über eine Lebenszeit berichtet, die mir zu dem Zeitpunkt sehr, sehr nahe war.“ Es habe ihm viel daran gelegen, dieses Thema zu erzählen. Wieder blickt Noethen aus dem Fenster. „Das war kurz nach der Trennung von meiner Frau. Ich habe in dem Film vieles wieder entdeckt und war geradezu erschrocken über die Nähe dieser Figur zu meiner eigenen Vita, aber auch erleichtert, als ich beim Drehen gemerkt habe, dass dieser Halm eine sehr repräsentative Figur für meine Generation ist.“ Viele Männer seien auf ihn zugekommen und hätten gesagt: „Genau so ist es.“

Genau so ist es. Vielleicht kann man sich manche Szene in dem Film konzentriert anschauen und dabei ein bisschen mehr über Ulrich Noethen erfahren, den unaufdringlichen Zuhörer, der es „teilweise heute noch paradox“ findet, dass er den öffentlichkeitswirksamen Beruf des Schauspielers gewählt und es zu einem der Besten in Deutschland gebracht hat. Ulrich Noethen sagt: „Mir liegt nicht viel daran, meinen Glamour-Faktor zu erhöhen.“ Stattdessen ist er nach seinen PR-Terminen für den „Kommissar Süden“ wieder fleißig am Drehen. Das ZDF überlegt, den gut angelaufenen EdelKrimi in die Fortsetzung zu schicken.

Im November wird Ulrich Noethen 50. Er hat eine Tochter. Kollege Ulrich Tukur, der im „Fliehenden Pferd“ grandios den aufdringlichen Lebemann gibt, sagt dort: „Jeden Tag, jede Sekunde kannst du dein Leben verändern.“ Für Ulrich Noethen gilt dieser Satz eher nicht. Von wegen geselliger Einzelgänger. „Möglich ist das, aber ich habe nicht das Bedürfnis. Außerdem bin ich jemand, der Verantwortung trägt. Ich bin nicht alleine.“

„Ein fliehendes Pferd“, ZDF, 20 Uhr 15

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