zum Hauptinhalt
299300_0_d98eed77.jpg

© ARD

TV-Talk: Untenrum wird obenrum

Charlotte Roche tritt als neue Moderatorin der Talkshow „3 nach 9“ an. Die 31-Jährige will damit zugleich ihr Image als Skandalautorin los werden.

Mit Masturbation und Analverkehr will Charlotte Roche nichts mehr zu tun haben, zumindest vor laufender Kamera. Für diese Themen sei jetzt Giovanni di Lorenzo zuständig, das habe sie sich extra in ihren Vertrag schreiben lassen, sagte Roche, als sie sich kürzlich in Hamburg als Nachfolgerin von Amelie Fried in der Talkshow „3 nach 9“ vorstellte.

Wenn Roche am heutigen Freitag das erste Mal die Show an der Seite von „Zeit“-Chefredakteur und Tagesspiegel-Herausgeber di Lorenzo moderiert, dann ist es für die 31-Jährige vor allem auch ein Versuch, ihr Image als Skandalautorin loszuwerden. Ihr Buch „Feuchtgebiete“, in dem es eben unter anderem um Masturbation und Analverkehr ging, verkaufte sich über eine Million Mal. Das Buch sei zu einem Monster geworden, sagte Roche dem „Spiegel“. Dass jeder über sie denke, sie wasche sich nicht, sei tierisch behaart und habe ganz sicher Hämorrhoiden, sei nicht leicht auszuhalten. Dabei sei sie selbst eher spießig.

Allerdings dürfte es gerade das Buch gewesen sein, das Roche zu ihrem neuen Job verhalf. Radio Bremen, verantwortlich für „3 nach 9“, erhofft sich durch Roche mehr Aufregung, mehr Aufmerksamkeit, mehr jüngeres Publikum. Zuletzt hatte die Sendung, die 1974 die erste Talkshow im deutschen Fernsehen war, im Schnitt eine Million Zuschauer.

„Die Sendung kann’s vertragen, frecher zu werden. Ich hoffe, dass das durch Charlotte Roche gelingt“, sagt Marianne Koch, die „3 nach 9“ von 1974 bis 1982 moderierte. Dagobert Lindlau, Gastgeber von 1982 und 1989, meint: „Prinzipiell habe ich nichts gegen den Auftritt einer Pornografin in einer Talkshow. Da bedienen schließlich nicht nur namhafte Politiker Instinkte, die nicht von allen Leuten für edel gehalten werden. Sexualität ist sicher der harmloseste. Di Lorenzo – Gentleman, der er ist – wird das schon machen.“

Dass Roche die zum ZDF abgewanderte Amelie Fried („Die Vorleser“) ersetzt, ist umstritten. So protestierte Elisabeth Motschmann, CDU-Politikerin und Pfarrersfrau, im Fernsehausschuss von Radio Bremen. Wer sich als „perverse Sau“ bezeichne und seine Romanfigur sagen lasse, sie könne sich „sehr gut und gerne Sex“ mit ihrem Vater vorstellen, solle nicht bei Radio Bremen einziehen.

Doch was viele Menschen über „Feuchtgebiete“ hinweg vergessen haben: Die gebürtige Engländerin und Mutter Charlotte Roche ist eine ausgewiesene Moderatorin, was sie bereits beim Musiksender Viva 2, bei Arte, ProSieben gezeigt hat. Dann hatte sie sich mit einigem Getöse vom Fernsehen verabschiedet, um sich heute auf dem Bildschirm zurückzumelden: „Es ist tatsächlich so, dass ich an einem schlechten Tag gesagt habe: ,Oh, blödes Fernsehen, doofe Stars, ich will keinen interviewen und das nervt’.“ Tja, und dann sei so ein tolles Jobangebot gekommen „und da muss ich alles wieder revidieren, was ich erzählt habe“.

Roche ist mit der Talkshow „3 nach 9“ wieder in ihrem Metier, „Leuten Löcher in den Bauch zu fragen“, sei ja das Einzige, was sie wirklich gelernt habe. Eines ist für Roche Sünde: zu langweilen. „Ich bin dafür, dass ein Gast lieber lügt, damit es unterhaltsam wird, als eine langweilige Wahrheit zu erzählen“, sagte Roche dem „Spiegel“. Das war für Pfarrersfrau Motschmann eine Sünde, mindestens ein schlimmer Verstoß gegen das achte Gebot. Gewollt oder nicht, Roche haute mächtig auf die Werbepauke.

Talkshow-Gäste, die nur zu dem Zweck in eine Show kämen, um ihren neuen Film oder ihre neue CD zu bewerben, seien das Schlimmste, was es gebe, hängte Roche die Latte gleich sehr hoch. Das soll es bei ihr nicht geben. „In den ersten Minuten handeln wir zuerst das Produkt ab und dann steigen wir in ein besseres Gespräch ein“, sagte Roche.

Im Duo mit di Lorenzo, Moderator seit 1989, will sie für spannende und unerwartete Wendungen in den Gesprächen sorgen – was di Lorenzo gefällt: „Ich freue mich auf die Gegensätzlichkeit von mir und Charlotte“, sagt der 50-Jährige.

Gleich zur Premiere darf Roche ihren Wunschgast begrüßen: Film-, Theater- und Opernregisseur Christoph Schlingensief, der ein Tagebuch über seine Krebserkrankung geschrieben hat. In der Talkrunde werden neben anderen der Komiker und Filmregisseur Michael „Bully“ Herbig und Kabarettist Steffen Möller erwartet. Frauen kommen auch. Ob damit Masturbation und Analverkehr verhandelt werden, darf nun am Ende di Lorenzo entscheiden.

„3 nach 9“, 22 Uhr, NDR-Fernsehen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false