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Medien: „Wenn Sie da hingehen, geht die FDP“

Das erste TV-Duell hätte viel früher stattfinden können. Aber Hans-Dietrich Genscher war dagegen, stellte Kanzler Schmidt die Koalitionsfrage. Kohl sagte als Herausforderer Ja und als Kanzler Nein zum Duell.

Von Friedrich Nowottny

Das TV-Duell an diesem Sonntag in ARD und ZDF hat seine eigene Geschichte. Sie speist sich aus zwei Ereignissen und aus der Bereitschaft von Gerhard Schröder, mit Edmund Stoiber in den Ring zu klettern. Dieser Möglichkeit hat sich vor ihm noch nie ein Kanzler gestellt. An Versuchen dazu hat es nicht gefehlt.

Die eigentliche Urvorlage für dieses Fernsehereignis war allerdings das historische Aufeinandertreffen zwischen den US-Präsidentschaftskandidaten Richard Nixon und John F. Kennedy im Jahre 1960. Das war es, was auch den Fernsehmachern und den Politikern, so sie Kanzler werden wollten, als Vorbild diente. Es hat 42 Jahre gedauert, ehe das in Deutschland Wirklichkeit wurde.

Zweite, wichtige Voraussetzung für die Vorläufer des jetzigen Zweier-Gipfels war allerdings der ZDF-Staatsvertrag, in dem die Parteien eine Art Selbstdarstellungsrecht für sich selbst festgeschrieben hatten. In aller Bescheidenheit. Den Politikern schwebte wohl vor, in netter Form zu politischen Alltagsfragen interviewt zu werden. Und zwar so, dass es niemandem richtig weh tat.

Das ging auch eine ganze Zeit gut. Der spätere Chefredakteur des ZDF, Reinhard Appel, wurde von den Parteien für würdig befunden, die Sache zu leiten. Mit Geschick und Nachdruck machte er sich im Laufe der manchmal schon quälenden Veranstaltungen daran, den ihm vorgegebenen Rahmen zu sprengen.

Es erschien 1969 geradezu kühn, die Sendung „Journalisten fragen – Politiker antworten“ als Wahlforum in die Debatte zu bringen. Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesingers Berater fanden, es wäre Majestätsbeleidigung, den Regierungschef und seinen Herausforderer, das war Willy Brandt, in einer gemeinsamen Runde mit den Parteivorsitzenden kurz vor dem Wahltag diskutieren zu lassen. Die CDU wollte ihren Generalsekretär schicken und musste unmittelbar vor dem Veranstaltungstermin feststellen, dass Kiesinger wohl gut daran täte, selbst aufzutreten. Sie erkannten spät, aber noch rechtzeitig, dass das Fernsehen inzwischen sein eigenes, auch politisches Gewicht hatte.

Kiesinger wurde von Brandt als Bundeskanzler abgelöst. Ob das wohl eine Folge der Veranstaltung war, die allein vom ZDF ausgestrahlt wurde? Die Gelehrten streiten sich.

Nach langem Hin und Her entwickelte sich aus dieser ZDF-Veranstaltung die „Elefantenrunde“, die seit 1972 von ARD und ZDF gemeinsam ausgestrahlt wurde. Erst vier, dann drei Tage vor der Wahl.

Natürlich juckte es die Bonner TV-Journalisten, ein „Duell“ zustande zu bringen, in dem die beiden Spitzenkandidaten aufzutreten bereit waren. Das gelang nicht, weil es immer eine Ausrede für die jeweiligen Kanzler gab.

1976, an einem Freitagmorgen, machte ich ein Interview mit Helmut Kohl, damals noch Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und Spitzenkandidat von CDU/CSU. Es hatte nur ein Thema: Kohl forderte das „Duell“ im Fernsehen mit Helmut Schmidt. Die Öffentlichkeit staunte über den Mut des jungen Mannes aus Mainz. Und Helmut Schmidt lehnte ab. Er hätte, wie er intern wissen ließ, ganz gern die Klingen mit Kohl gekreuzt – wenn da nicht Hans-Dietrich Genscher gewesen wäre. Er machte daraus die Koalitionsfrage. „Wenn Sie da hingehen, dann geht die FDP…“ Schmidt ging nicht. Und das trotz aller Bemühungen von ARD und ZDF.

Als Helmut Kohl 1983 Kanzler war, erinnerte ich ihn an 1976, an das Interview zum Kanzler-Duell. Er wollte sich kaputt lachen. Nein, Helmut Schmidt hatte ja 1976 gekniffen, und die CDU/CSU machte damals daraus noch einen Wahlschlager: „Schmidtchen Kneiffer…“ Nein, dem wollte er sich, trotz aller Einladungen von ARD und ZDF, nicht aussetzen. Man traf sich ja ohnehin in der „Elefantenrunde“ – drei Tage vor der Wahl. Und da war Hans-Dietrich Genscher auch dabei. Strauß-Schmidt, das wäre 1980 eine Traumpaarung für ein TV-Duell geworden. Aber – siehe oben: Da war Genscher nicht einverstanden. Und so blieb es bis zum Ende der Ära Kohl. Einladungen, mündlich und schriftlich vorgetragen, zeigten keine Wirkung.

Das „Duell“ wurde erst Wirklichkeit, als Bundeskanzler Gerhard Schröder, der sich selbst als sehr medienfest einschätzt, zur allgemeinen Überraschung seine Bereitschaft bekundete, mit Edmund Stoiber in den Ring zu steigen. Zweimal bitte schön. Einmal im Privat-TV und noch einmal öffentlich-rechtlich.

Ob ihm heute Abend auch ein so zügiges „Ja“ zu dieser Veranstaltung über die Lippen kommen wird? Nach dem ersten TV-Modell Nixon-Kennedy, 1960, vergingen 16 Jahre, ehe sich in den USA dieses Ereignis wiederholte.

16 Jahre TV-Duell-Pause. Undenkbar. Wirklich undenkbar?

Der Autor erstattete für die ARD bis 1985 den „Bericht aus Bonn“. Danach und bis 1995 war er Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Friedrich Nowottny ist Mitglied im Medienrat der MABB und analysiert für RTL den laufenden Wahlkampf.

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