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YouPorn: Es öffentlich machen

Sich beim Sex filmen und die Clips auf Youporn hochladen – warum tun sie das? Eine Reportage.

Der Börsencrash, der gestern eingesetzt hat, dauert an. Sieben Prozent Aktienverlust in zwei Tagen. Michael schwitzt, seine grauen Schläfen glänzen. Fast hätte er im Büro bleiben müssen. Fast hätte ihn die Eurokrise daran gehindert, mit Hanna zu schlafen. Sie „schön hart ran zu nehmen“, wie er es nennt.

Michael sitzt auf einem barocken Sofa im Empfangsbereich eines Stundenhotels. Die Chefin des Hauses hat ihm eines der offenen Separees zugewiesen. Plauderecken, in denen sich die Gäste niederlassen können, bevor sie auf die Zimmer gehen. Plastikblumen hängen von der Decke, dazwischen leuchten rote Lichterketten in das Dunkel. Michael hat Mittagspause. Er kann hier gut abschalten. Geplant sind 60 Minuten Aufenthalt in Zimmer Nummer fünf.

Doch Hanna verspätet sich, und das Zimmer ist anschließend wieder belegt. Die Chefin des Hauses bietet Michael ein kleineres an. Es ist stickig, aber Michael behält sein dunkelblaues Jackett an. Er raucht jetzt, Marlboro, und der Rauch steht über dem kleinen Tischchen zu seinen Knien. Hier, im Schummerlicht zwischen rotem Plüsch und schwarzen Vorhängen, hat er sich vor einigen Monaten zum ersten Mal mit Hanna verabredet. Seitdem sehen sie sich zweimal im Monat an verschiedenen Orten, haben Sex und filmen sich dabei. Die Clips laden sie im Internet hoch und stellen sie auf die Pornoplattform Youporn. So wie Tausende andere Pärchen. Täglich. Das Netz hat die Pornobranche für Amateure geöffnet.

Es klingelt. Gleichzeitig blinkt eine Signallampe an der Wand neben dem Eingang, so lange, bis die Chefin die Haustür öffnet. Ein Rentnerpaar mit Rucksäcken durchquert den Raum. Sie brauchen Deckenlicht, der Mann ist gehbehindert und soll nicht stolpern. Die Alten umrunden langsam den Table-Dance-Bereich und lassen die Theke rechts liegen, an der ein Handwerker Erdbeerkuchen isst. Dann verschwinden sie in einem der angrenzenden Räume. Michael mag die Atmosphäre im Stundenhotel, er findet sie angenehm „verrucht“. Es sei ein sauberer, ein gepflegter Ort.

Auf das Niveau legt Michael wert. Einmal hat ihn Hanna mit in den Swingerclub genommen. Es hat Michael nicht gefallen. Gemischtes Publikum. Die Sorge, erkannt zu werden. Als „Vorstandsmitglied in der Kapitalanlage“ – das muss reichen – will er das vermeiden. Aber es ist genau das, was auch den Reiz ausmacht: das Risiko, auf einem der Filmchen identifiziert zu werden, an der Stimme vielleicht, wenn er laut wird. Es ist eine von Sex bestimmte Parallelwelt, in der Michael lebt. Er ist 43 Jahre alt. „Ich arbeite 60 Stunden die Woche, mache viel Sport und führe seit sechs Jahren eine offene Beziehung“, sagt er. „Hanna ist einfach der Kick. Und eine Facette des Kicks ist das Filmen.“ Sich anonym einer breiten Öffentlichkeit zeigen, gerade er, als konservativer Protagonist der Finanzwelt: „Das ist ein prickelndes Gefühl.“

Sobald der Clip online ist, kann er sehen, dass er innerhalb von Minuten hundertfach angeklickt wird. Nach Tagen sind es Tausende User. Die User können die Filme auch bewerten, bis zu fünf Sterne können sie vergeben. Michael und Hanna bekamen mal vier oder drei, genau will er sich nicht erinnern.

Hannas Zuspätkommen macht Michael unruhig. Er raucht noch eine. Kalkuliertes Restrisiko, das funktioniert nur mit einem Plan, den man einhält. Und Michael ist der Regisseur. Das Drehbuch entwirft er Tage vorher. Er schreibt SMS, in denen steht, wo sie sich treffen, was Hanna anziehen, wie sie auf dem Bett liegen soll, wenn er kurz nach ihr das Hotelzimmer betritt. Hanna finde seine Dominanz erregend, sagt Michael, sie sei „authentisch devot“. Sie hat auch diesmal genaue Anweisungen erhalten: „Dresscode: Zieh das kurze schwarze Kleid vom letzten Mal an, zwei Knöpfe offen. High Heels, kein BH, kein Slip. PS: Vergiss deine Spielzeugtasche nicht!“

Es klingelt und leuchtet und Hanna kommt. In der Hand hält sie eine Einkaufstasche aus Kunststoff. Darin ist die Kamera. Die blonden Haare trägt sie offen, die Bluse auch. Michael hat spontan den Plan geändert, wieder per SMS, es sollte doch die Bluse sein, die sie bei ihrem ersten Date trug, nicht das Schwarze. „Ich war also nicht ungehorsam“, sagt Hanna und lacht. Ihr Gesicht ist ebenmäßig, der Körper schlank. Hanna ist schön.

Bis vor kurzem war die 27-Jährige Bezirksleiterin im Einzelhandel. Sie machte sich selbstständig mit einem Online-Shop. Bevor Hanna anfing, regelmäßig Youporn-Filme zu gucken, hat sie „sexuelle Bücher“ gelesen. Das stimuliert sie heute nicht mehr, seit sie sich den Reiz visuell holen kann. Ab und zu geht sie mit Freundinnen auf Youngster-Partys in den Swingerclub.

Michael bestellt Prosecco und flüstert Hanna etwas ins Ohr, sie gluckst. Die Chefin bringt randvolle Gläser. „Besser zu viel als zu wenig“, sagt Michael. Gleich werden sie in das obere Zimmer gehen. Michael hat die Zeit im Blick, um zwei ist eine Telefonkonferenz im Büro. Er zahlt, bevor sie auf dem Zimmer verschwinden. 51 Euro kostet ihn diese Mittagspause, inklusive Getränke.

Manchmal schauen sich Hanna und Michael gemeinsam Clips auf Youporn an. Ihnen gefällt die Möglichkeit der gezielten Suche, sie haben ähnliche Vorlieben. Michael mag ihre Gemeinsamkeiten. „Ich suche keine Intellektuelle, mit der ich über den Sinn des Lebens philosophieren kann“, erklärt er. Aber ein interessantes Gespräch, das erwarte er schon von einer Verabredung. Und mit Hanna, die er über das Erotikforum Joyclub kennengelernt hat, sei es nicht bloß „sexuell prickelnd“. Mit ihr verstehe er sich auch menschlich.

Bevor Youporn populär wurde, war Michael in Chatforen angemeldet und hatte Telefonsex, immer begleitet von der Sorge, an eine Professionelle zu geraten, ohne es zu merken. Wer wusste schon, ob die Frau mit der erotischen Stimme nicht heimlich am anderen Ende der Leitung häkelte? Ob die Frau, mit der er im Chat flirtete, nicht doch ein Mann war? „Wenn ich auf Youporn bin und sehe: Die ist professionell, dann bin ich gelangweilt und klicke sie weg.“ Immer mehr Low-Budget-Produktionen mischen sich unter die Amateurfilme, professionelle Anbieter, die die Konsumenten auf kostenpflichtige Seiten locken wollen.

Michael sucht echten Spaß, in schlechtem Bild und Ton. Qualität bedeutet hier Authentizität. Sex aus der Perspektive der Überwachungskamera, nur das befriedigt sein voyeuristisches Verlangen und gibt ihm das Gefühl, dabei zu sein, den reinen Trieb zu beobachten. Michael faszinieren die unzähligen Arten von Sex, die sich auf Youporn und anderen Seiten sammeln. Es inspiriert ihn und auch Hanna.

Dreißig Minuten zeichnet die Kamera auf, später, im oberen Zimmer. Dann ist der Akku leer. Genug Filmmaterial für einen neuen Clip, sagt Michael. Er wird ihn so schneiden, dass man ihre Gesichter nicht erkennt. Fremde werden sich beim Zuschauen befriedigen, so stellt sich Michael das vor, und es erregt ihn. Jeder User würde Hannas Körper wollen, sagt er, das bestätigten die Kommentare unter ihren Clips. Aber nur er, Michael, könne ihn wirklich haben.

Alle Namen geändert.

Lisa Frieda Cossham

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