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Auf Kuschelkurs: Dieter Bohlen und Kandidatin Beatrice Egli schäkern bei der RTL-Castingshow "Deutschland sucht den Superstar".  

© RTL

Zeit für Experimente: RTL sucht die Superquote

Den großen Privatsendern laufen die Zuschauer davon. In Köln wird nun eine ganze Reihe von neuen Formaten entwickelt. Zu den Hoffnungsträgern gehört Oliver Pocher, aber auch ein Katastrophen-Spektakel ist in Vorbereitung.

Krise mag ein zu scharfes Wort sein, aber Schwächephase trifft es schon, was das deutsche Privatfernsehen durchmacht. Nicht das ganze System, sondern die Spitze. Also RTL, Sat 1 und ProSieben. Seit Jahresbeginn holte Pro Sieben im Gesamtpublikum nur 5,3 Prozent Marktanteil, das ist der niedrigste Wert in den vergangenen zehn Jahren. Sat 1 liegt nicht besser, die 8,1 Prozent sind Tiefenrekord. Und RTL, der jahrelange Marktführer im deutschen Fernsehen? 11,9 Prozent stehen aktuell auf der Tafel, 11,6 Prozent gab es auch schon, das war im ersten Halbjahr 2009. Aber sind das Erfolgsmaß für die Kölner nicht doch die 14,1 Prozent aus dem Jahr 2011?

Die Quotenschwäche bei Sat 1 ist schon länger auffällig. Der Marktstatus beruhte in den vergangenen Jahren sehr auf dem erfolgreichen Tagesprogramm; dort saßen Frau Salesch und Herr Hold zu Gericht, für die keine vergleichbar reichweitenstarken Nachfolgeangebote gefunden wurden. Gut, in der Abendstrecke finden sich „Danni Lowinski“, „Der letzte Bulle“ oder die US-Serien am Donnerstag und am Sonntag, doch reichen diese Solitäre nicht zu einem durchgängig prickelnden Programm in Gesamtpublikum und Zielgruppe. ProSieben, das mit Sat 1 zu Deutschlands größtem Fernsehkonzern ProSieben Sat 1 gehört, steht nicht besser da. Zwar darf für den Sender gelten, dass sein Programm schärfer als die Konkurrenz auf das Publikum der 14- bis 49-Jährigen fokussiert ist. Im März 2013 kommt ProSieben hier mit 10,5 Prozent Marktanteil auf Platz zwei hinter RTL (14,8 Prozent), aber vor Sat 1 (9,8 Prozent). ProSieben-Matador Stefan Raab kann mit „Schlag den Raab“ in der Zielgruppe nur Rang 57 für sich verbuchen, im Gesamtpublikum ist diese Sendung auf Position 355 (!) die beste Platzierung. ProSieben ist für viele junge Seher das Fernsehen schlechthin, blöd nur, dass sich diese vom Medium zu verabschieden beginnen.

Bei RTL fokussiert sich die Betrachtung auf die Leuchttürme im Programm, als da sind die Castingshows „Deutschland sucht den Superstar“ und „Das Supertalent“. „DSDS“ läuft in der zehnten Staffel, „Das Supertalent“ hat die sechste Ausgabe absolviert. Der Zuspruch des Publikums zu beiden Angeboten hat gelitten, bei „DSDS“ übrigens ein wenig mehr als beim „Supertalent“. Zugleich, und das darf nicht übersehen werden, hat es der Sender geschafft, beiden Shows Permanenz zu verschaffen. Das Format „DSDS“, das weltweit in 40 Ländern genutzt wird, hat in Deutschland seine zweitlängste Laufzeit nach den USA. Den RTL-Verantwortlichen ist immer wieder eine neue Aufladung geglückt, mag man die Engagements der „Tokio Hotel“-Zwillinge beim Sängerwettstreit oder von Thomas Gottschalk beim „Supertalent“ als geglückt ansehen oder nicht. Beide Sendungen wird RTL in die Verlängerung schicken, mit rund 20 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 59-Jährigen wird gutes Geld verdient.

Das soll so bleiben, damit die Mediengruppe RTL Deutschland auch weiterhin ein operatives Rekordergebnis von 581 Millionen Euro (2012) einfahren kann. Also geht RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger bei „DSDS“ richtig ran. „Nach zehn Jahren reicht es nicht mehr, an kleinen Rädern zu drehen. Wir müssen drastischer sein. Am großen Rad drehen“, sagte Sänger dem „Spiegel“. Chefjuror Dieter Bohlen tut es bereits. Er will den derzeit sehr erfolgreichen deutschen Schlager in die Castingshow integrieren. Bohlen hat bereits Andrea Berg produziert, sie und Helene Fischer kann sich Bohlen in der Jury vorstellen. Seine neuste Idee hat er mit RTL nicht abgesprochen, egal, der Pop-Titan hat nun mal eine goldene Nase für Geschäfts- und Gewinnfelder. Neue Jurys bedeuten nicht automatisch neuen Zuspruch, das mussten alle, RTL, Bohlen, Gottschalk und die Kaulitz-Zwillinge klar erkennen. So ist es nicht ausgemachte Sache, dass bei der nächsten „Supertalent“-Runde jenseits von Bohlen neue Größen auftauchen werden. RTL-Sprecher Körner sagte dem Tagesspiegel, „wir sind mit Thomas Gottschalk in guten Gesprächen“. Apropos: „Wetten, dass..?“, der ZDF-Klassiker, und „Verstehen Sie Spaß?“, der ARD-Klassiker, sie sind genauso verwundbar geworden. Die Kunst besteht eben darin, das TV-Kunststück immer wieder frisch und überraschend aussehen zu lassen. Also nicht nach TV-Kokotte, sondern nach Evergreen.

„Let’s dance“ funktioniert, „Wer wird Millionär?“ funktioniert bei RTL, ersteres auf dem Weg zur, letzteres schon längst eine feste Programmgröße. Alles andere als neue Staffeln der bewährten Formate sind eine Frage der Show-Alternative. „Diese sind auf dem internationalen Markt nicht in gewünschter Weise zu finden“, sagt RTL-Sprecher Körner. Die lange geübte Praxis, sich in den USA oder in Großbritannien nach erfolgsträchtigen Vorbildern umzusehen und diese dann fürs deutsche Publikum zu adaptieren, diese Praxis führt mangels Angebot ins Leere. Die aktuelle Herausforderung: selber entwickeln und im laufenden Programmbetrieb testen. Aus den recht erfolgreichen Piloten von „Alle auf den Kleinen“ (Oliver Pocher), „Unschlagbar“ und „Cash Crash“ wird regelmäßiges Programm.

Was für die Show-Unterhaltung gilt, trifft auch bei der Fiktion zu. Die früheren Longseller wie „CSI: Miami“ oder „Dr. House“, die eine Renaissance der US-Serie im deutschen Fernsehen begründet hatten, sind TV-Geschichte. Versuche mit „Transporter“, „Ballermann“ und „IK1“ sind gescheitert. Aber aufgeben ist nicht in Köln. Im Sommer sollen Diana Amft („Doctor’s Diary“) mit der Sitcom „Christine. Perfekt war gestern“ und die Dramedy-Serie „Das Leben“ mit Hendrik Duryn als Stimmungsaufheller funktionieren. Und dann erst im Herbst: „Schmidt – Ein bisschen krank ist gesund“, „Doc meets Dorf“ heißen die Arbeitstitel von Comedy und Romantic Dramedy. Auch ein Event-Movie im Größenmaßstab von „Hindenburg“ wird es wieder geben: „Helden“, ein Katastrophen-Spektakel über 140 Minuten und für acht Millionen Euro Produktionskosten.

RTL schickt sein Programm in die Revision, Reform wäre ein zu großes Wort, denn die gewohnten Programmfarben von Tag zu Tag werden nicht retuschiert. Es gilt, die schwächelnden Sendungen an den gewohnten Sendeplätzen zu revitalisieren oder durch stärkere Sendungen zu ersetzen – Arbeit am Format fürs Format. Das gilt für die Real-Life-Hervorbringungen am Nachmittag wie auch am Abend. „Bauer sucht Frau“, „Rach, der Restauranttester“ und das „Jenke-Experiment“ geben die Richtung vor.

Dass RTL neben den überraschenderweise im Info-Bereich liegenden Stabilitätsinseln wie „RTL aktuell“, „Explosiv“ oder „Exclusiv“ so viele Schwachstellen zu beheben hat, weist auf ein grundsätzliches Problem hin. Die Sender, die gezielt ein jüngeres bis junges Problem ansprechen wollen, treffen auf ein Publikum, das Fernsehen nicht länger als lineares Programm nutzt, sondern zeitversetzt oder gestreamt. Gerade hat sich die RTL-Gruppe mit der Internetplattform Zattoo auf die Weiterverbreitung der Programme verständigt. Wenn der durchschnittliche TV-Haushalt zwischen 80 Programmen auswählen kann, dann muss der Wahlspruch heißen: Wenn der (Anbieter-)Markt sich fragmentiert, fragmentier dich selber. Also gibt es mit RTL Nitro, Sat 1 Gold, ZDFneo, Sixx bald zahllose Programme, die sich einer sehr viel kleineren Zielgruppe verschrieben haben. Spezialitäten-Fernsehen heißt der Trend, und wenn der Kerle-Sender dmaxx mit 1,7 Prozent Marktanteil jüngst seinen eigenen Rekord aufgestellt hat, dann sind die nächsten Angebote für Vati-Mutti-Kind für Free- und Pay-TV schon in Gründung. Denn bei allen Fluchtbewegungen der Jugend weg vom Medium, heißt das ja nicht, dass das Fernsehen an Attraktivität verliert. Verbrachte der Bundesbürger 2012 im Schnitt 225 Minuten täglich vor dem Bildschirm, sind es aktuell 222 Minuten. Wirkliche Verluste bewegen sich in einer anderen Dimension.

RTL bleibt auf Kurs. Verabschiedet sich Cindy aus Marzahn Richtung Sat 1, wird sogleich der Vertrag mit dem Olympiastadion-Füller Mario Barth verlängert. Wäre doch gelacht.

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