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Medien: Zeitungszeugen ohne Zeitgefühl

Gut gemeint ist bekanntlich das Gegenteil von gut gemacht. Eine solche Malaise ist derzeit in großem Format am Kiosk zu besichtigen.

Gut gemeint ist bekanntlich das Gegenteil von gut gemacht. Eine solche Malaise ist derzeit in großem Format am Kiosk zu besichtigen. Die zweite Ausgabe der „Zeitungszeugen“ mit den Nachdrucken deutscher Blätter von 1933 erzeugt Verwirrung und Beklemmnis. Nicht nur wegen der grellen Schlagzeilen des „Völkischen Beobachters“ zum Reichstagsbrand. Aus der Mitte des Heftes fällt ein Wahlplakat der NSDAP heraus. Auf knapp 60 mal 40 Zentimetern dröhnt es: „Der Reichstag in Flammen! Zerstampft den Kommunismus! Zerschmettert die Sozialdemokratie! Wählt Hitler Liste 1“. Daneben prangt das unvermeidliche Hakenkreuz. Ganz klein, auf 1,4 Zentimetern am oberen Rand, steht eine dünne Erläuterung zur Nazi-Propaganda nach dem Reichstagsbrand. Die Rechtsextremisten von heute können sich freuen: So leicht und legal und nicht sonderlich teuer kommt man an ein Poster mit braunen Hassparolen sonst kaum heran.

Der Zentralrat der Juden ist empört, das bayerische Finanzministerium will den Londoner Verlag Albertas Limited juristisch zwingen, die Wiederverbreitung von NS-Propaganda zu stoppen. Das erscheint auch nötig. Es geht nicht mehr nur um den Streit um Urheberrechte, die Bayern seit der Premiere der „Zeitungszeugen“ geltend macht. Die zweite Nummer verstärkt noch den Verdacht, dass dieses Experiment der Aufklärung über die NS-Zeit, anhand faksimilierter Presse-Erzeugnisse mit Rahmenkommentar, misslingt. Klarer noch als die erste Ausgabe offenbart die neue einen Konstruktionsfehler. Die „Zeitungszeugen“ erwecken mit den lose eingelegten Plakaten und Blättern, ob sie nun von der NSDAP, der KPD oder einer demokratischen Kraft stammen, den Eindruck der Gleichrangigkeit jedweder politischen Information, nur mühsam kaschiert durch den dünnen Mantel mit den erklärenden Texten. Zumal dort Missverständnisse lauern. Wenn zum Beispiel die „Vossische Zeitung“ als „Gegenpol zum rechten und linken Gesinnungsjournalismus“ präsentiert wird. Zählt etwa ein linkes Blatt wie das SPD-Organ „Vorwärts“ zur selben Kategorie wie die braune Hetzpresse? Verlag, Redaktion und Berater der „Zeitungszeugen“ sollten jetzt innehalten. Seriöse Aufklärung über die NS-Zeit sieht anders aus.

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