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Schimanski (Götz George) in "Schuld und Sühne".

© WDR

Zurück im Revier: Schnüffler auf Rente

Kriminelle und Kollegen wollen Schimanski endlich loswerden. Doch das Verbrechen kann nicht ohne ihn.

„Du bist kein Bulle mehr, du bist ’n Scheißrentner“, sagt der jugendliche Straßendealer zu Schimanski (Götz George), und auf dem Revier muss der sich vom jungen Kollegen Hunger (Julian Weigend) aufklären lassen, dies hier sei kein „Rentnertreff“. Die Welt um das Duisburger Revier Ruhrstraße hat sich unter Schimi weggedreht, die Polizisten ebenso wie die Straftäter wollen den alten Kämpen los sein, und sie lassen ihn das deutlich spüren. Ein feiner Kunstgriff des Drehbuchautors Jürgen Werner, der auf diese Weise die Einwände eines jüngeren Krimipublikums vorwegnimmt und ihm zu verstehen gibt: Okay, die Alten nerven, wenn sie immer noch ihre Nase in alles stecken, aber was soll man machen, Leute, wenn sie nun mal einfach besser sind?

„Schuld und Sühne“ ist ein melodramatischer Polizeifilm, der diese Frage beantwortet. Der alte Bulle zeigt, was Erfahrung, Unerschrockenheit und ein im Laufe der Jahrzehnte verfeinerter Instinkt vermögen. Da ist es wurscht, ob so ein Schnüffler auf Rente ist – seine Nase ist es, die gebraucht wird, nicht seine Dienstmarke. Zu Beginn des Films hängt Schimi an einer Currywurstbude ab und beobachtet eine Schlägerei zwischen Polizei und jugendlichen Gangstern. Es geht hoch her und krass zu. Schimanski lächelt. Er kennt das alles, er zieht seine Schlüsse, er fühlt sich vielleicht erleichtert, dass er nicht mehr dabei sein muss. Aber er ist es dann, der auf der Straße einen Beweis findet. Er läuft dem Verbrechen nicht mehr hinterher, aber das Verbrechen ist ihm auf der Spur. Als wollte es sagen: Tut mir leid, Schimanski, aber ich brauche dich noch als großen Gegenspieler in meiner Saga. Georges Aura als Ex-„Tatort“-Cop mit Eigenwillen ist erstaunlicherweise nicht trotz, sondern wegen ihres Alters voll intakt. Ihre Patina macht sie nur umso undurchdringlicher. Seufzend stapft Schimi los, um noch einmal das Geheimnis zu lüften. Die Currywurst lässt er anschreiben.

Der 72-jährige George hat ja nun genug tragende Rollen gespielt und öfters großartig gemeistert; erinnert sei an seinen Haarmann im „Totmacher“ oder den Vati in „Familienkreise“. Aber Schimanski hält ihn am Kanthaken. Als beliebtester „Tatort“-Kommissar hat er den Riesenerfolg dieser Krimireihe entscheidend mitbedingt, und dabei stammt der Berliner Götz George ja nicht mal aus dem Revier. Das war egal, denn der Ruhrpott stand dem Rauhbein nun mal gut zu Gesicht, und das Publikum liebte den prolligen Bullen, der das Gesetz verteidigte, indem er die Bösen jagte, dabei aber laufend gegen Vorschriften verstieß. Schimi war nicht bloß mutig, sondern tolldreist, und wenn er was riskierte, dann zuerst die eigene Haut. Er verkörperte den eher seltenen Typus des harten Kerls, der gerne quasselt und genauso derbe wie sentimental ist. So, als Cop mit seinem Widerspruch und dem Herzen auf dem rechten Fleck, schnüffelte und prügelte er sich durch seine „Tatort“-Filme und dann später durch die „Schimanski“-Reihe – wie auch jetzt durch „Schuld und Sühne“.

Der Polizist im ersten Dienstjahr, Oliver Hoppe (Jan Pohl), Sohn der Kneipenwirtin Sonja (Ulrike Kriener), bei der Schimanski gerne an der Bar hockt, hat sich das Leben genommen. Warum? Die ermittelnden Beamten – „Wir klären Morde auf, keine Selbstmorde“ – gehen zur Tagesordnung über. Schimi nicht. Der ahnt: Da ist was faul. Der Junge muss Gründe gehabt haben, die auf sein berufliches Umfeld verweisen. Schimanski mischt seine Ex-Kollegen (unter ihnen Hannes Jaenicke als Günther Patzak) auf, indem er unverblümt fragt: „Wer hat Oliver dazu angestiftet, die Hand aufzuhalten?“, also mit Dealern und Zuhältern gemeinsame Sache zu machen, um „Prozente“ zu kassieren? Seit langem schon steht das Revier Ruhrstraße auf der Liste des internen Ermittlers von Rüden (Johann von Bülow) ganz oben. Der wendet sich an Schimi, versucht ihn auszuhorchen. „Mit ihnen reden die Leute.“ Weil er mit den Leuten redet.

Bei all seiner Ruppigkeit ist Schimi ein Menschenversteher. Aber auch er hat Grenzen. Und das ganze Elend rund um das Polizeirevier Ruhrstraße stößt Schimanski irgendwie ab. Es ist dieser „Fertig-mit-der-Welt“-Appeal, gegen den sein Aktionismus, sein ‚Hoppla-jetzt-komm- ich’-Gehabe, auch seine Nase und sein Herz, immer wieder ankämpfen müssen. Am Ende besiegt der lebenszugewandte Schimi den resignierten. Aber seine Currywurst bezahlt er immer noch nicht.

Regisseur Thomas Jauch hat „Schuld und Sühne“ in schlechtes Wetter, Grautöne, dunkle Stimmungen und satte Melancholie getaucht, Schauplatz ist unter anderem ein stillgelegtes Stahlwerk, kaputtes Revier at its best. Aus Verfall, Armut und öder Polizeiroutine erhaben sich dann aber doch sozusagen leuchtend die Grundfragen der Menschheit und des Krimis: Warum macht sich einer schuldig? Warum wünscht sich einer den Tod? Wo und für wen gibt es Erlösung? Und: Was weiß die schöne Prostituierte Irina?

„Schimanski. Schuld und Sühne“, ARD, 20 Uhr 15

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