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Geschichte: Kamingespräch

Die Novelle der Bundesimmissionsschutzverordnung ist gut und richtig. Aber das offene Feuer ist doch ein Menschheitstraum. Das darf doch nicht aus gehen.

Im Winter, in der Bretagne muss es ein Ferienhaus mit Feuer sein. Eines, in dem man dem Holz im offenen Kamin dabei zusehen kann, wie es zu flackernden Fragmenten zerfällt, in denen die Maserung wie glühende Nacktschnecken tobt, ein heißes Leuchten, das im Inneren brennt und wärmt und atmet. Es gibt Abende, an denen wir mit Freunden schweigend um das Feuer sitzen, matt vom stürmischen Tag am Meer, mit roten Wangen, abwechselnd in der Glut stochern, die unter unserem Einwirken klingt wie feuchter Stamm, auch gläsern. Und wenn man mit dem rußigen Besteck auf die Scheite schlägt, dann knistert und funkenstaubt es im Schacht wie ein dicker Strauß Wunderkerzen.

Ich liebe Feuer. Und ich habe auch ein bisschen Angst davor – ein tief einsozialisierter Double-Bind, aus dem sich die wenigsten je vollständig befreien können, menschheitsgeschichtlich sicher nicht ganz ohne Sinn. Am liebsten hätte ich auch bei mir zu Hause einen offenen Kamin, in dem es prasselt und knackt und lodert. Ich muss ja nicht zu nahe rangehen an den Höllenschlund.

Kulturgeschichtlich betrachtet verdanken wir die Flammen im Ursprung einem jungen, mutmaßlich gut aussehenden Mann namens Prometheus. Der Titan wollte Menschen um sich haben, fand keine, weil es noch keine gab, und formte sich flugs ein paar Wesen aus Ton, denen er die Eigenschaften von Tieren beigab, damit sie überhaupt irgendwas in sich haben. Seine Freundin Athene lieh ihm zu diesem Zweck Verstand und Vernunft – bis heute hoch geschätzte Fähigkeiten, die sich leider auf dem langen Weg der Evolution nicht überall haben halten können und mancherorts sogar verdorrt sind.

Später verscherzte es sich Prometheus dann bedauernswerterweise mit Götterchef Zeus, und der reagierte, wie man es bis heute vom leitenden Personal in Betrieben von mittlerer Größe aufwärts kennt. Er bestrafte nicht Prometheus selbst, sondern erst mal diejenigen, die man als seine Untergebenen bezeichnen könnte, die Menschen nämlich, und nahm ihnen das Feuer weg. An diesem Punkt hätte Prometheus wohl einlenken, sich entschuldigen und auf diese Weise zum stellvertretenden Geschäftsführer des Olymps avancieren können. Tat er aber nicht. Stattdessen reckte er ein paar Stängel in den Himmel, um sie am Sonnenwagen des Helios zu entzünden, und rannte damit zurück auf die Erde, um einen Holzstoß in Flammen zu setzen und den Menschen das Feuer zurückzugeben.

Gedankt hat man ihm das nicht. Für Prometheus ging die Geschichte hässlich aus, und irgendwie auch für uns. Denn wenn man die Angelegenheit mal genauer betrachtet, muss man sagen, dass Prometheus den Menschen neben dem Feuer auch die geöffnete Büchse der Pandora gebracht hat, Zeus’ Strafe, aus der seither alle Nase lang Unbill gekrochen kommt, den man beim schönsten Lagerfeuer nicht vergessen kann (soziale Ungleichheit, schlechter Atem, das Rauchverbot in Kneipen). Prometheus aber musste sich fortan jeden Tag von Adlern im Kaukasus die eigene Leber wegfressen lassen, während die Menschen es sich am Feuer zeitweilig kuschelig machten. Vielleicht ist Mensch sein doch nicht das Schlechteste. Zumal einem heute zum Stichwort Titan außer Prometheus bestenfalls noch die Namen Oliver Kahn und Dieter Bohlen einfallen, Letzterer mit einem Pop vornedran, da fällt die Wahl leicht.

Das den Menschen solchermaßen verfügbar gemachte Feuer war am Anfang sehr praktisch zum Heizen und Leuchten und Kochen gedacht. Nachgewiesen ist die Nutzung des Feuers schon vor 790 000 Jahren. Stimmungsvolle Steinzeitabende bezogen ihren Reiz aus ihm, manch Mammut hat über ihm gegrillt. Dann waren es mittelalterliche Stubennächte, die das Feuer erleuchtete, bis sich ein paar Jahrhunderte später schließlich die Glühbirne durchsetzte, der Ofen als Heizung und der Herd als Kochstelle. Trotzdem wälzten sich noch bis weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus ganze Generationen von Schauspielern in mimischem Bemühen um die sittliche Darstellung eines Liebesakts auf Bärenfellen und Flokatis in Glutnähe, pressten tapfer die geschlossenen Lippen aufeinander, bis die Kamera diskret auf die lodernden Scheite schwenkte.

Dann wurde es still um die Flammen – nicht ganz zu Unrecht. Ein kleines, prasselndes Kaminfeuer ist eine prima Sache, wenn es auch sonst ringsherum bullig warm ist und das Feuer im Grunde nur noch darüber entscheidet, ob man sich mit Wolljacke oder Trägertop ins Wohnzimmer setzt. Wer auf einen Kohleofen angewiesen ist, auf das bisschen Wärme, das von den dicken Metallwänden ins Zimmer abstrahlt, wer sich ohne Auto auf die Suche nach Material begeben muss, mit dem sich der Ofen befeuern lässt, der steht nach wenigen Tagen kurz davor, wahlweise laut zu fluchen oder „Gasetagenheizung mon amour“ zu schreien, aber dazu später.

Der geschlossene Kamin ist übrigens eine technische Fortentwicklung des offenen, was man heute kaum mehr glauben mag. Jedenfalls markiert er den Übergang vom Wohlstandsprasseln, das recht ausschließlich in Herrenhäusern mit viel Platz für Abstand zwischen Mensch und Feuer möglich war, hin zur Proletarisierung seines ästhetischen Mehrwerts. In Zeiten, in denen jeder Trottel sich für 8,97 Euro bei Amazon eine DVD mit gänzlich heizfreien Feuerimpressionen für seinen Flachbildschirm besorgen kann, was optisch viel hermachen mag, aber niemals wirklich befriedigen kann, temperaturmäßig schon gar nicht – in diesen Zeiten also reicht eine Glasscheibe zwischen Kamin und Mensch, um den Zauber des heimeligen Augenblicks empfindlich zu stören. Geschlossene Kamine sind wie Händeschütteln mit Handschuhen, Butter ohne Fett, Weihnachtsbäume mit elektrischen Kerzen.

Wir wollen es echt und rußend, gerne auch ein bisschen schmutzig in einer Welt, die riesengroß und kalt geworden ist, zu glatt, zu funktionsorientiert. Umso mehr schätzen wir zu Hause das, was wir für authentisch halten, das Ursprüngliche, das Schöne, Warme, Gute. Deshalb benutzen wir wieder Notizbücher aus Papier und Füllfederhalter, pressen zur Gewinnung von einem Glas ehrlichen Orangensafts zehn Früchte aus, bauen uns Kamine in die Stube und erfreuen uns am anachronistischen Muster, das die Funken in die Oberbekleidung sengen. Und genau dann, wenn wir es uns gerade so richtig gemütlich gemacht haben, klopft das Bundesumweltministerium an die Tür.

Dort nämlich hat man festgestellt, dass im Jahr 2005 die bundesweit rund 15 Millionen Öfen der Republik insgesamt etwa 24 000 Tonnen Feinstaub in die Luft geblasen haben – mehr als alle Dieselfahrzeuge zusammen. Und weil es nicht nur kuschelig ist, sondern bei steigenden Öl- und Gaspreisen mittlerweile auch noch billiger kommt, Ikea-Möbel samt Verpackung im Ofen zu verbrennen, statt die Heizung aufzudrehen, wird es immer mehr.

Um diesen Trend umzukehren oder wenigstens zu bremsen, soll jetzt die 1. Bundesimmissionsschutzverordnung novelliert werden. Der Entwurf sieht vor, dass künftig Grenzwerte für Öfen gelten sollen, die nicht mehr als einen Raum beheizen und auf eine Leistung zwischen vier und fünfzehn Kilowatt kommen. Ausnahmen gelten für Geräte, die zum Kochen, Backen und Baden genutzt werden, sowie für Öfen, die vor 1950 errichtet worden sind. Anlagen jüngeren Datums sollen mit Filtern nachgerüstet werden können, die allerdings noch nicht erfunden worden sind. All das sind natürlich gute Gründe zum Auswandern – an einen Ort, an dem es warm genug ist, dass man auf Feuer nicht unbedingt angewiesen ist, und an dem Wörter mit 32 Buchstaben – Bundesimmissionsschutzverordnung – verboten sind, Verordnungen zumal.

Wer bleibt, muss sich nach Alternativen umsehen. Rettung versprechen derzeit Unternehmen, die beizeiten Fabrikate auf den Markt gebracht haben, die aussehen, als würden sie wärmen, aber eigentlich vor allem gut aussehen oder vielmehr: immerhin. Sie produzieren keine Asche, keinen Staub, keinen Ruß und keinen Rauch. Dafür brennen sie auf der Grundlage von flüssigen Biobrennstoffen, die im Wesentlichen auf Alkohol basieren (nicht das Schlechteste), und herauskommt den Herstellern zufolge nichts als Wasserdampf. Dazu tragen die Geräte Namen wie Orbiter und sehen auch so aus, spacig und clean. Die Firma Planika bietet zusätzlich ein Feuersystem an, das über die sogenannte Digifire-(Markenschutzsymbol)-Technologie verfügt, die es dem Benutzer erlaubt, das Feuer per Fernbedienung zu steuern – anzünden, Flammengröße wählen, löschen. Keine Ahnung, wie das geht, aber es soll funktionieren.

Aber ich frage: Wollen wir das? Hat sich Prometheus dafür Tag für Tag die Leber aus dem Leib fressen lassen? Hat sich dafür Frau Neandertal die Hände am Feuerstein zerschunden, um Herrn Neandertal die Höhle zu illuminieren? Wollen wir nicht lieber lächelnd und glücklich an einem Hustenreiz ersticken, während die Flammen freundlich und von mir aus eben auch feinstaubend in unserem Kamin züngeln? Papier auf brennendes Holz werfen, das wir als Altpapier nicht mehr beschriften mögen? Liebesbriefe vernichten, Mahnschreiben des Finanzamts, Gesetzesnovellen? Wollen wir nicht lieber Ernst mit dem Feuer machen?

Ach, das Feuer machen. Die Jüngeren werden es nicht mehr wissen, die kennen Feuerzeuge und vielleicht noch Streichhölzer. Früher war das noch anders. In der Theorie macht sich Feuer blitzschnell. Man braucht ein bisschen Zunder, also zum Beispiel trockenes Stroh. Dann dreht man ein Stück weiches Holz sehr schnell mit den Händen durch ein Stück hartes Holz. Dabei entsteht Wärme, Hitze sogar, und die bringt das trockene Stroh zum Glimmen. Jetzt muss man nur noch pusten, weil Sauerstoff wichtig ist, und aus dem Zunder wird ein Flämmlein, in das man einen Holzspan hält, aus dem ein Flämmchen wird, in das man ein kleines Stück Holz hält, aus dem eine Flamme wird, in die man ein größeres Stück Holz wirft. Dann hat man ein Feuer und muss nur noch das Mammut erlegen. So weit die Theorie.

Aus Ländern der sogenannten Dritten Welt wissen Reisende häufig von der ausgelassenen Stimmung der Einheimischen zu berichten, die sich praktisch pausenlos ihres Lebens freuen, obwohl sie so wenig Geld haben. Ich habe auch kein Geld, früher hatte ich noch weniger. Deshalb lebte ich eine Weile in einer Wohnung, in der es keine Heizung gab und kein Bad. Die Toilette teilte ich mir mit einem Flurnachbarn, von dem ich fürchten musste, dass er im Stehen urinierte, was ich weniger aus politisch-feministischen Gründen ablehne, sondern eigentlich vornehmlich dann, wenn unter der Schüssel ein Teppich auf dem Boden liegt. Den Kohleofen in meiner Wohnung bekam ich anfangs nicht an, weil ich in meinem Leben ehedem selten einen Ofen hatte anbekommen müssen. Ich rieb Briketts aneinander, hielt Streichhölzer darunter, verbrannte dicke Wochenendausgaben der überregionalen Presse rings um die Briketts herum, aber es tat sich wenig. Die Briketts blieben schwarz und vor allem kalt. Im Supermarkt suchte ich nach passend gehackten Holzscheiten – nichts. Einige Tage lang behalf ich mir mit einem kleinen Gasofen, der warm machte, aber Stimmung ist anders. Dann wurde die Flamme des Gasofens klein, immer kleiner, irgendwann ging sie aus, und es wurde kalt.

Mein Vermieter, der in diesen fernen Tagen mit seiner Countryband durch die Vereinigten Staaten tourte, ließ mich wissen, dass man die Gasflaschen zum Auffüllen in einen Getränkeladen bringen muss. Der Getränkeladen befand sich zehn Blocks von meiner Wohnung entfernt. Die Flasche war etwa so groß wie ein fünfjähriges Kind. Vor Ort erteilte man mir die Auskunft, dass man mir die neue Flasche nicht anliefern könne, weil es dazu eine Gefahrenguttransporterlaubnis (29 Buchstaben!) braucht. Wer trotzdem, also illegal Gasflaschen transportiere, müsse mit einem Bußgeld in Höhe von 700 Euro rechnen. Rauchen in Zügen kostet jetzt 1000 Euro, das darf alles gar nicht wahr sein. Wenn ich im Lotto gewinne, setze ich mich mit einem Kohleofen ins Bordbistro der Deutschen Bahn und rauche drauf, das wird ein Fest.

Übrigens muss man den Kohleofen mit einer Schicht Zeitungspapier auslegen, darauf eine Schicht schmaler Holzscheite stapeln und dann oben drauf die Briketts, dann geht’s mit etwas Übung, wie ich Wochen später feststellte, ohne Gasflasche. Ich habe mir damals manchmal überlegt, wie es wäre, wenn eines Tages Menschen aus einem gediegenen Wohnviertel vor meiner Haustür stehen und zu ihren Kindern sagen: „Schaut, Schätzchen, da wohnen Leute, die mit Kohle heizen, rauchen und Feinstaub machen, und ein eigenes Bad haben sie auch nicht.“ Bedauernswerte Geschöpfe? Ich stellte mir vor, wie diese Leute aus den gediegenen Wohnvierteln dastehen und sehen, wie ich aus der Haustür trete und lächle, und wie sie denken, dass man gar nicht viel braucht, um ausgelassen und glücklich zu sein. Und wie sie dann feststellen, dass sie einen Strafzettel am Auto haben, weil sie im Halteverbot geparkt haben. Und wie ich immer noch lächle. Na ja, was man halt so denkt, wenn der Ofen, das Feuer endlich an ist und das Feuer die Kälte verjagt.

Ich will immer noch einen Kamin haben. Einen offenen, mit viel Feuer und großen, wilden Flammen. Wahrscheinlich ist die Novellierung der (Luft holen) Bundesimmissionsschutzverordnung ökologisch ganz richtig und wichtig, und warum hat sich die Welt gerade in Bali getroffen, doch auch deshalb, weil all diese Kaminfeuer die gute Luft verbrennen. Stimmt ja, alles Anreden dagegen ist nichts weiter als die trotzige Flammenromantik einer winterlich verfrorenen Kaminlosen auf Entzug. Trotzdem muss mit dem Reglementieren irgendwann auch mal Schluss sein. Das Leben kommt ohne Risiken und Nebenwirkungen nicht aus, und eine Fernbedienung gibt es auch nicht. Aber warm will man es ja schließlich haben. Und dabei zuzusehen, wie es warm wird, kann doch nicht verboten sein. Also, Hauptsache es funzt.

Karin Ceballos Betancur

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