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Rätsel: Das Kreuz mit den Kreuzen

Sudoku ist in. Und das Kreuzworträtsel? Was ist mit dem Kreuzworträtselwissen? Ist eine skandalöse Verdummung der Deutschen im Gange?

Scheiße. Die 6 passt da nicht hin. Die passt aber auch sonst nirgends hin. In der ersten Reihe ist sie schon links oben. In der zweiten, zweiter Kasten Mitte. Die 6 kann nur in die dritte Reihe. Kasten oben und Kasten Mitte geht nicht mehr. Also unten. In die erste Reihe!

Oder in die dritte? Wenn die 6 in der ersten Reihe im Kasten unten links steht, dann kann die 5 hier nicht stehen. Wenn die 6 in der dritten Reihe, Kasten unten links steht, dann kann die 5 hier nicht stehen. Die 5 muss hier aber stehen, weil sie in der zweiten Reihe, Kasten unten links, nicht mehr geht. Sie könnte natürlich in der ersten Reihe, Kasten unten links stehen, dann steht die 6 in der dritten Reihe. Da könnte natürlich auch die 5 hin…

Sudoku, sorry für die Ausdrucksweise, Sudoku ist für’n Arsch. Sudoku ist für die Doofen. „Bei Sudoku muss man nichts wissen, man muss ja nicht mal rechnen können!“ Der Mann hat absolut recht, er ist ein Fachmann der Rätselkunde, sein Name wird später nachgereicht.

Kreuzworträtsel. Das war es doch. Ohne Kreuzworträtsel hätte die Welt, zumindest die deutsche, niemals gewusst, wo Luv ist und wo Lee. Oder wie der Höhenzug bei Braunschweig heißt, der mit drei Buchstaben, „E“ am Anfang und „m“ am Schluss. Stadt im Allgäu? „…mpten“, die ersten zwei Buchstaben ergeben sich durch die Senkrechten, das kommt schon noch. Dt. Philosoph? „…ant“. Könnte Kant sein. Und dann wäre die Stadt im Allgäu schon mal „K.mpten“. Von oben senkrecht wird nach einer „Abk. für chemisches Element“ gefragt. Zwei Buchstaben, der erste ein „N“. Mhmm...

Gehen wir mal die Vokale durch. „Na“? Könnte Natrium sein. Aber „Kampten“? Im Allgäu? Liegt Kampten nicht auf Sylt? Sylt ist nicht im Allgäu, das ist schon mal sicher. „Na“ ist verkehrt!

„Ni“? Nitro? Nitrat? Mhmm? Aber Kimpten? Wo ist Kimpten? Liegt wahrscheinlich auf Sylt. Aber nie im Leben im Allgäu.

„No“? „Kompten“? „Kumpten“? Unsinn. „Ne“, „N“, „Enn E“! „Neon!“. Chemisches Element Kempten! Stadt im Allgäu! Gibt’s doch gar nicht. Na klar, Kempten! Super! „Kreuzworträtselklienten sind 50 plus“, sagt der Fachmann, „die wollen sich ihres Schulwissens noch einmal vergewissern und freuen sich, wenn es klappt.“ Der Autor dieser Zeilen ist 50 plus ein bisschen: Sudoku ist für’n Arsch.

Es ist jetzt zwei Jahre her, da war Sudoko auf einmal in Deutschland. Sudoku: Suji wa dokushin ni kagiru, oder wörtlich ins Deutsche übersetzt: „Zahlen als Einzel beschränken“. Ein Rätsel, welches der Logik folgt, ein Quadrat wird unterteilt in drei mal drei Quadrate, die wiederum in drei mal drei Felder unterteilt werden, die mit Zahlen von 1 zu 9 zu füllen sind. Und zwar auf die Art und Weise, dass in keiner Reihe, ob waagerecht oder senkrecht, in keinem Quadrat, eine Zahl zweimal vorkommen darf. Es gibt Vorgaben. Manchmal viele. Dann ist es kinderleicht. Manchmal wenige. Dann ist es ein Geduldsspiel und ein Ausprobieren.

Es scheint süchtig zu machen. In U-Bahnen, in Zügen, Flugzeugen und Bussen sieht man die Menschen sitzen, wie sie Zahlen in Gitter eintragen, verwerfen, sie ausradieren, neue, andere Zahlen eintragen, stöhnen, fluchen, lächeln. Dagmar in der Redaktionskonferenz lächelt am Ende immer. Dann hat sie neben ein paar klugen Einwürfen und Anregungen die beiden Sudoku-Rätsel des Tagesspiegels gelöst. Kaum eine Zeitung, Zeitschrift, ein Magazin kommt noch ohne Sudoku aus.

Und was ist mit dem Kreuzworträtsel? Was ist mit dem dort abgefragten Wissen, mit dem man leicht bei Günter Jauch im Fernsehen bis zur 64 000-Euro-Frage käme? Was mit all dem Wissen, das sich die Menschheit angeeignet hat durch 7 waagerecht: hinterste Rückengegend des Vogels (Bürzel), 18 senkrecht: dt. Komponist (Humperdinck – gut, man braucht zur Lösung ein, zwei Buchstaben), 42 waagerecht: farbl. Flüssigkeit (Methyltertbutyläther – „b“ und „y“ schon hat man es raus). Verschüttet in ein, zwei Jahren? Wer wird noch kennen den, die, das Elm bei Braunschweig? Wird der Höhenzug bei Braunschweig dem Vergessen anheimfallen? Ganz zu schweigen von Braunschweig? Wegen Sudoku, bei dem man nichts wissen und nicht mal rechnen können muss? Luv, merk’s dir endlich, Trottel, Luv ist die Richtung aus der der Wind kommt, Lee ist die andere, und wer es verwechselt ist ein Luvpinkler.

Sudoku! Suji wa dokushin ni kagiru, das hört sich ein bisschen japanisch an. Aber nur ein bisschen. Erfunden wurde es nämlich von Howard Garns, einem Amerikaner, der offensichtlich nichts Besseres zu tun hatte, und das im Jahr 1979. Da hieß es noch „Number Place“. Ein paar Jahre darauf kam „Number Place“ nach Japan, wurde populär, wurde Suji wa dokushin ni kagiru, und wahrscheinlich ist es hier bei uns deswegen so beliebt: Weil man dahinter in dieser so komplizierten Welt irgendeine fernöstliche Weisheit vermutet, irgendeine meditative Kraft der Stille. Dabei ist es doch nur Manga. Wort aus der Meditation? Mit drei Buchstaben: Om.

1979. Lächerlich. Das erste Kreuzworträtsel der Welt erschien am 21.Dezember 1913 in der Weihnachtsbeilage der „New York World“, erdacht, erstellt von einem Journalisten, Arthur Wynne, aus Liverpool stammend. Liverpool, das ist die Stadt, in der sie beim Einlaufen ihrer Fußball-Mannschaft immer singen „You’ll never walk alone“. Bitte schön: 1925 erschien in der „Berliner Illustrirten“ das erste deutsche Kreuzworträtsel

Fairerweise muss man natürlich sagen, dass Sudoku zu diesem Zeitpunkt im Ansatz schon längst da war. Leonhard Euler gebührt eigentlich das Copyright. Der Schweizer Mathematiker, der zwischen 1707 und 1783 wirkte, hat neben vielen anderen mathematischen Erstaunlichkeiten auch geordnete Quadrate aufgezeichnet, diese Quadrate wieder in viele kleine Quadrate unterteilt, in diese dann Ziffern geschrieben und darauf geachtet, dass in jeder waagerechten und in jeder senkrechten Reihe eine Ziffer nur einmal vorkommt. Und Euler war nicht der Pionier. Das waren die Griechen, die Lateiner, weswegen die Eulerschen Quadrate auch griechisch-lateinische Quadrate genannt werden. Es gibt ein nettes Legespiel, „Gewonnen, Herr Euler!“ heißt es, das ist ein Puzzle aus 100 zweifarbigen Karten, die man in nämlicher Weise auslegen muss. Aber auch, wenn beim Sudoku später noch die Unterteilung in Unterblöcke dazugekommen ist, im Grunde bleibt es nur ein Puzzle. Und wenn Kreuzworträtsellöser mitunter Luvpinkler sind, dann sind Sudokulöser Puzzleleger. Was ist wohl schlimmer?

Was ist schon ein gelöstes Sudoku gegen ein gelöstes Um-die-Ecke-gedacht? Das ist jetzt ein bisschen unfair, das ist, als vergleiche man eine matschige Birne mit einem knackigen Apfel. Das Um-die-Ecke-gedacht-Rätsel ist der König unter den Kreuzworträtseln, das Original natürlich, das aus der „Zeit“, legendär, verschroben, literarisch, und wenn man es fertig hat, dann fühlt man sich wahnsinnig klug, wahnsinnig intelligent, weise nachgerade. 18 senkrecht: „Skippers Abendprogramm: Erst machen wir im …, dann gehen wir zum…!“ Okay, das ist leicht, muss man aber erst einmal drauf kommen: Erst machen wir im Hafen fest, dann gehen wir zum Hafenfest! Lustig, oder? Kann aber mitunter sein, dass man ein, zwei Abende darüber brütet. Fürs durchschnittliche Sudoku, das haben mal ein paar Briten errechnet, braucht man eine Viertelstunde. Sudoku ist nicht om, Sudoku ist ein flüchtiges Glück.

Aber bevor es jetzt zum Clash of Riddles kommt, zum Kulturkampf zwischen den Luvpinklern und den Puzzlelegern – tatsächlich ist die Wissensargumentation fürs Kreuzworträtsel in etwa so überhöht wie die Logikargumentation fürs Sudoku. Ob jemand das mittelschwere Sudoku im Tagesspiegel binnen fünf oder acht Minuten löst, es wird den intelligenten Gesichtsausdruck nicht maßgeblich beeinflussen. Und ob jemand die Frage nach dem „russischen Fluss mit zwei Buchstaben“ zielgenau mit „Ob“ beantwortet, wird Mann bei Frau nicht beeindrucken und umgekehrt auch nicht. Allenfalls wird beides die Überlegung auslösen, ob die Erotik des Kreuzworträtsellösens und die des Sudokolösens nicht sehr nah der des Briefmarkensammelns kommt.

Es muss jetzt sofort der Fachmann zu Wort kommen. Der Mann der Rätselkunde, der Sudoku eingangs so vernichtend charakterisierte: „Bei Sudoku muss man nichts wissen, man muss ja nicht mal rechnen können!“ Der Mann heißt Bernd Koophammel, und wenn man etwas erfahren will über die innere Befindlichkeit des Rätsellösens, tut man gut daran ihn zu befragen. Er ist der Geschäftsführer des Deutschen Rätsel-Verlages, das ist die Bündelung dessen, was einst Bastei und Lübbe waren. Im Deutschen Rätsel-Verlag erscheinen 45 Rätselhefte. 45! Allein im Deutschen Rätsel-Verlag, und der hat kein Monopol. Einige Hefte erscheinen wöchentlich, andere im dreimonatigen Rhythmus. Die jährliche Gesamtauflage?

Moment. Erst noch einmal ein, zwei Zahlen, Fakten, keine Rätselspekulationen. Es gibt in Deutschland 42 Millionen Rätselfreunde. 42 Millionen! Wenn man ziffern- und buchstabenunkundige Kleinkinder abzieht plus den Freizeitresistenten, dann kann man wohl mit Fug und Recht behaupten, dass die Deutschen in Gänze ein rätselfreudiges Volk sind. Sie sind mitunter rätselhaft – ein anderes Thema. Sie lösen Rätsel. Wobei sie laut Studien und Bernd Koophammel in drei Kategorien einzuteilen sind.

Da sind die, die die intellektuelle Herausforderung suchen. Von Roman Herzog, dem einstigen Bundespräsidenten, geht die Mär, dass er in der Früh vor Amtsantritt erst einmal ein Kreuzworträtsel löste, um den Geist zu lockern und anzuspornen. Zu denen zählen natürlich auch, 50 plus ein bisschen, die Um-die-Ecke-Rater.

Die zweite Kategorie sind die Preisrätsellöser. Das sind die, die die Multiple-Choice-Frage nach einem deutschen Fluss: a) Mississippi, b) Nil, c) Rhein, d) Amazonas nach reiflicher Überlegung richtig beantworten, um dann ein Bügeleisen, eine Heizdecke oder, neu, einen I-Pod zu gewinnen. Nach dem I-Pod kann übrigens niemals in einem klassischen Kreuzworträtsel gefragt werden, Bindestriche sind da tabu. Um die Ecke gedacht ginge es eventuell: 9 senkrecht: Musicsampler, Frühstücksendbehälter. Die Antwort tut allerdings ein bisschen weh.

Nun die dritte Kategorie, sie stellt die größte Gruppe: Das sind die Spaß- und Freizeitlöser, das ist der harte Kern, das ist die breite Masse, das sind 12, 5 Millionen Menschen in Deutschland.

Die jährliche Gesamtauflage des Deutschen Rätsel-Verlages? 50 Millionen verbreitete Druckvorlagen. Das heißt, es gehen 50 Millionen Rätselhefte jährlich in den Handel, der Rücklauf wird statistisch nicht erhoben, wahrscheinlich ist er verschwindend.

„Nein“, sagt Bernd Koophammel, „es gibt keinen Krieg der Kreuzwortler gegen die Sudokis“, was sich trotzdem anhört, als stünden Fundis unversöhnlich den Realos gegenüber. „Sudoku ist dazugekommen, mehr nicht.“ Zu Schwedenrätseln, zu Zahlenkreuzworträtseln (bei denen stehen Ziffern statt Buchstaben, die dann durch ein paar Vorgaben und Kombinationen in Buchstaben zu verwandeln sind), zu Gitterrätseln, zu Suchworträtseln. „Sudoku hat das Kreuzworträtsel nicht verdrängt.“

Koophammel hat Zahlen, die das belegen. Bundesweit gibt es 60 Hefte mit Sudoku-Rätseln, sie sind in den vergangenen zwei Jahren wie – 47 waagerecht: Wald- und Wiesengewächs (Pl.) – aus dem Boden geschossen. Von den 260 Titeln im Lande, die Kreuzworträtsel jedweder Form und Schwierigkeit zur Lösung anbieten, haben sie nicht ein einziges zur Aufgabe gezwungen. Sudoku eine Mode also? Mitnichten, sagt Koophammel, die werden bleiben, alleine schon, weil sie am Computer billiger, schneller zu produzieren sind als Kreuzworträtsel.

Wie die Produktion solcher Rätsel vonstatten geht, das allerdings bleibt dem 50-plus-ein-bisschen-Autor dieser Zeilen ein unauflösbares Rätsel. Uwe-Hans Timm, Chef der Lübecker Rätsel-Agentur Kanzlit, hat es zu erklären versucht, „wir geben dem Computer einen Wortschatz vor, der wird regelmäßig erneuert und aufgestockt, wir unterscheiden dabei nach Schwierigkeitsgrad, und dann kommen am Tag so ungefähr 800 bis 900 Rätsel heraus, und das ist beim Sudoku noch einfacher, und ich persönlich bin lieber beim Wort als der Zahl“, aber wie der Computer das macht, passt weder ins Sudoku-Zahlendiagramm noch ins größte Kreuzworträtsel der Welt (1985 zum Beispiel brauchte dessen Produktion vier Jahre, es war 870 Meter lang, 30 Zentimeter breit und umfasste 2 610 000 Kästchen, dürfte aber längst überholt sein).

Und kein Unterschied zwischen Sudoku-Puzzlern und Kreuzwortkennern? Doch, sagt Koophammel, „ein Generationenunterschied. Sudoko-Rätsler sind jung, sind Schüler, Studenten, sind die an Logik Interessierten. Dass zur gleichen Zeit zu Sudoko das Pokern in Mode gekommen ist, passt zusammen.“ Interessant. Und wenn die pokernden Schüler und Studenten in die Jahre kommen? „Dann lösen sie Kreuzworträtsel, um mal zu wissen, was vom Wissen übrig geblieben ist.“

Schlussendlich! Zu was greift man, wenn man in diesem Sommer, luvabgewandt, aufs langweilige Lee-Hinterland schaut? Zum Kreuzworträtsel? Zum Sudoku? Zu 19 senkrecht, Wortansammlung, gebunden, manchmal geklebt: Man greife zum Buch! Buch! Buch!

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