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Helen Zille

© AFP

Südafrika: Kapstädter Milieu

Sie ist die Großnichte von Heinrich Zille. Und sie kämpft für eine Sache: Bürgermeisterin Helen Zille will nicht weniger als ein farbenblindes Südafrika.

Eben hat die Dame in dem roten Mantelkleid noch ganz entspannt auf dem Sofa in ihrem Empfangszimmer gesessen. Jetzt springt sie plötzlich auf und eilt in ihr Büro. Mit Stift und Papier kehrt sie zurück. „Sagen Sie mir ein paar Dinge, die Ihnen an Kapstadt zuletzt aufgefallen sind“, drängt sie den Besucher. Dabei ist der eigentlich gekommen, um der Bürgermeisterin ein paar Fragen zu stellen. Doch die will davon zumindest jetzt nichts wissen. Morgen steht ein Treffen mit der Kapstädter Verkehrspolizei auf dem Programm. „Da brauche ich noch etwas Munition“, sagt Helen Zille und lächelt energisch.

Die Kapstädter Stadtverwaltung liegt mitten im Zentrum der Drei-Millionen Metropole, in unmittelbarer Nähe das Minibus-Bahnhofes. Von ihrem Panoramafenster im sechsten Stock aus kann Zille bis zu dem Tafelberg schauen, die wie eine Front aus grauem Fels den Innenstadtbereich von den Cape Flats, den schwarzen Townships, abgrenzt. Doch statt die spektakuläre Aussicht zu genießen, schaut die Bürgermeisterin der WM-Stadt 2010 lieber in ihre Akten.

Wo bis vor kurzem noch das marode Green-Point-Fußballstadion stand, winden sich in diesen Tagen 13 Baukräne in den Himmel. Das Fundament ist gelegt, den Architekten zufolge soll in zwei Monaten mit dem eigentlichen Hochbau begonnen werden – in Beton gegossener Optimismus. Den Bau des neuen Fußballstadions in Kapstadt hatte Zille zeitweise auf Eis gelegt – nicht weil sie die Fußballfans ärgern wollte, sondern weil sie den hohen Finanzierungsanteil der Stadt schon für Sozialausgaben verplant hatte.

Die deutschstämmige Südafrikanerin führt lieber eine offene Diskussion, als dem Reporter Fragen zu beantworten. 30 Jahre ist es her, dass Zille, damals noch Reporterin bei der „Rand Daily Mail“, eine Sensation enthüllte: Als Erste berichtete sie 1977, dass der Schwarzenführer Steve Biko nicht etwa an den Folgen eines Hungerstreiks verstorben war, wie es offiziell hieß, sondern von der Sicherheitspolizei in der Haft zu Tode geprügelt worden war. Jahrelang war Zille auch später noch im Anti-Apartheid-Kampf aktiv und versteckte dabei in den 80er Jahren sogar Mitglieder des damals verbotenen Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) im eigenen Haus.

Umso ironischer mutet es an, dass ausgerechnet sie drei Jahrzehnte später zum Feindbild des nun in Südafrika regierenden ANC geworden ist. Zille, die im Mai zur neuen Vorsitzenden der liberalen Democratic Alliance (DA) gewählt wurde, hat das geschafft, was vor ihr noch keinem anderen am Kap gelungen ist: Im März letzten Jahres entriss sie dem übermächtigen ANC in Kapstadt die Macht und wurde Bürgermeisterin der Küstenmetropole an der äußersten Südspitze Afrikas. Dabei gelang ihr das Kunststück, eine Koalition aus sechs ideologisch völlig unterschiedlichen Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen – und bis heute trotz dauernder Querelen zusammenzuhalten. In der entscheidenden Abstimmung im Stadtrat am 15. März 2006 siegte sie extrem knapp – mit zwei Stimmen Mehrheit.

Kaum jemand nahm damals jenseits der Kaprepublik von dem Sieg Notiz. In Deutschland interessierten weit weniger die politischen Folgen als die deutschen Wurzeln der neuen Bürgermeisterin. Dabei war ihr Sieg ein Ereignis von großer Tragweite für das Land. „Wenn wir in Kapstadt unsere Regierungsfähigkeit unter Beweis stellten, wäre das ein Meilenstein für unsere junge Demokratie“, sagte Zille.

Wie mühselig dieser Weg, zumal in Afrika, jedoch sein wird, haben die vergangenen Monate gezeigt. Die Schmierenkomödie, die sich seitdem in Kapstadt abspielte, hat in der Zeitung „Cape Times“ ungezählte Seiten gefüllt. Obwohl der ANC alle neun Provinzen und auch vier der fünf größten Städte des Landes kontrolliert, erwies sich die frühere Widerstandsbewegung als schlechter Verlierer. James Ngculu, der ANC-Vorsitzende in der Provinz Westkap, drohte Zille schon beim Amtsantritt damit, seine Partei werde erst dann ruhen, wenn das „Godzille-Monster“ beseitigt sei. Fortan ließ der ANC nichts unversucht, um die fragile Koalition Zilles mit allen Mitteln zu sprengen.

Höhepunkt der Kampagne war ein Antrag des ANC, Kapstadts Stadtverwaltung unter die Kuratel der von ihm selbst kontrollierten Provinzregierung im Westkap zu stellen, weil die Stadt angeblich handlungsunfähig sei. Dabei machten vor allem die Blockadepolitik des ANC der neuen Bürgermeisterin das Regieren lange Zeit fast unmöglich. Erst die Drohung Zilles, notfalls vor dem Verfassungsgericht in Johannesburg gegen ihre geplante Entmachtung zu klagen, bewog den ANC schließlich, den Antrag auf Vormundschaft zurückzuziehen. Die zunehmend schlechte Presse für den ANC im Ausland war ein weiterer Grund, zumal dessen Verhalten immer öfter mit der Machtgier von Robert Mugabe im benachbarten Simbabwe verglichen wurde und immer mehr Blätter fragten: Droht Südafrika womöglich das gleiche Schicksal?

Doch viele der persönlichen Attacken bewirkten das Gegenteil des vom ANC Erwünschten: Zilles Koalition hielt. Nicht ohne Grund wird die 56-Jährige auch „Eiserne Lady“ oder „Godzille“ genannt. Die Frau, deren Arbeitstag um vier Uhr früh mit der Beantwortung von E-Mails beginnt und oft erst gegen 22 Uhr auf einer dienstlichen Veranstaltung ausklingt, funktioniert bei richtig hoher Belastung am besten: „Ich blühe erst unter Druck richtig auf.“

Gleichzeitig ist sie für einen Hang zu Gründlichkeit und Ordnung bekannt. Auch besitzt sie die Gabe, mit der Engelsgeduld einer Kindergärtnerin auszuharren, wenn es erforderlich ist. Als sie auf einer Pressekonferenz eine neue Anti- Korruptions-Hotline präsentierte, die anonyme Hinweise von Bürgern entgegennimmt, rief sie über ihre Handy gleich selber inkognito an – und landete nach ein paar vergeblichen Versuche in der Warteschleife. Als sich nach geraumer Zeit am anderen Ende der Leitung tatsächlich jemand meldete, nickte sie erleichtert. „Mein deutsches Temperament und die afrikanische Lässigkeit geraten manchmal voll aneinander“, sagt sie.

Seit 25 Jahren ist Helen Zille mit dem Soziologieprofessor Johann Maree verheiratet. Zusammen mit ihren gemeinsamen Söhnen Paul und Thomas leben die Zilles seit Jahren in einem bescheidenen Haus im Kapstädter Vorort Rosebank, gleich neben der Bahnlinie. Der 22-jährige Paul studiert an der nahe gelegenen Universität Mathematik und spielt in seiner Freizeit in der südafrikanischen Indie-Rock-Band „The Beams“, der fünf Jahre jüngere Bruder Thomas geht noch zur Schule und hat sich dort vor allem durch Rugby hervorgetan. „Meine Männer tragen stark dazu bei, dass ich nicht abhebe“, sagt Zille. Bei einem Konzert der Band ihres Sohnes Paul sah man sie jüngst wild tanzen. „Noch nie hat man ihren perfekt frisierten Kopf so in Bewegung gesehen wie beim Gig der Beams im Armchair Theatre“, schrieb erstaunt die Johannesburger Zeitung „The Star“.

Wer jedoch nach den Wurzeln von Zilles enormer, ja fast exzessiver Arbeitsethik und ihres sozialen Einsatzes sucht, wird auf ihre Eltern stoßen. Beide waren in den 30er Jahren unabhängig voneinander vor den Nazis aus Deutschland geflohen. Ein Großvater mütterlicherseits und eine Großmutter aufseiten des Vaters waren Juden. Mutter Mila stammt aus Essen, Vater Wolfgang aus Dessau. Und es gibt eine direkte Linie zum berühmten Berliner Milieumaler und Karikaturisten Heinrich Zille. Dieser war ein Vetter des Großvaters – Helen Zille ist demnach seine Großnichte. „Auf Heinrich Zille bin ich natürlich stolz“, sagt sie. „In unserer Familie wurde viel über ihn erzählt. Er hat mich aber auch deshalb inspiriert, weil er die einfachen Leute verstand. Er besaß ein Leidenschaft für die einfachen Verhältnisse.“

Als Tochter zweier Immigranten wuchs auch Helen Zille in eher bescheidenen Verhältnissen auf, anfangs in einem burisch geprägten, ländlichen Umfeld bei Johannesburg. Aus Sorge vor einem allzu starken Einfluss der Apartheiderziehung wechselte Zille noch während der Grundschule von der Staats- auf eine englische Mädchenschule in Johannesburg. Um die gleiche Zeit entschlossen sich ihre Eltern auch, wegen der Hörschwäche ihrer Schwester Carla zu Hause nicht mehr Deutsch, sondern nur noch Englisch zu sprechen. Für Helen war der abrupte Sprachwechsel zunächst ein Schock. Ihre Liebe zur deutschen Sprache hat sie dennoch behalten. „Ich höre Deutsch gerne“, sagt sie, auch wenn sie das afrikanische Xhosa mit seinen Klick- und Schnalzlauten inzwischen fast besser spricht.

Besonders stark ist der Einfluss ihrer heute 88-jährigen Mutter Mila, die sie politisch inspiriert hat. Der inzwischen verstorbene Vater Wolfgang war in der liberalen PFP tätig war. Helen und ihre Mutter waren beide in der Bürgerrechtsbewegung Black Sash (Schwarze Scherpe) aktiv. „Ich war 14, als Hitler an die Macht kam“, erinnert sich Mutter Mila Zille. „Rassismus ist für mich das Niederträchtigste, das es gibt. Wir flohen nach Südafrika – und wurden dort bei unserem Eintreffen sofort wieder mit dieser Blut-und- Boden-Geschichte konfrontiert“, sagte sie vergangenes Jahr in einem Interview mit der „Welt“. „Ich beschloss: Dieses Mal sitzt du nicht einfach auf dem Sofa … dieses Mal tust du was.“

Umso mehr ärgert die Mutter, dass nun ausgerechnet ihre farbenblind erzogene Tochter vom ANC wegen ihrer weißen Hautfarbe angefeindet und bisweilen sogar als Bewahrer weißer Privilegien verunglimpft wird. Helen Zille selbst hat eine einfache Erklärung für die Feindseligkeit des ANC. „Zum einen sind seine Vertreter besorgt, dass wir es schaffen und den Menschen in Kapstadt eine Alternative bieten könnten. Als klar wurde, dass unsere Koalition halten und mit der Zeit sogar stärker werden würde, haben sie immer schwereres Geschütz aufgefahren“, sagt sie. Auch glaube der ANC offenbar noch immer, durch die ihn umgebende Befreieraura einen moralischen Anspruch auf die Macht zu haben.

Der Machtverlust in Kapstadt habe dem ANC aber auch deshalb Angst gemacht, weil er nun nicht mehr wie zuvor den eigenen Freunden und Verwandten Aufträge und Jobs zuschanzen konnte, sagt sie. Fast alle Posten waren vom ANC allein nach dem Kriterium der Hautfarbe und kaum noch nach Kompetenz vergeben worden – mit verheerenden Folgen. Die Zahl qualifizierter Ingenieure war zum Beispiel derart dramatisch gesunken, dass es nur noch einen Brückenbauer gab. Auch die Feuerwehr wurde komplett vernachlässigt und befand sich quasi in Auflösung.

Inzwischen hat Zille alle Verträge überprüft, die unter ihrer ANC-Vorgängerin Nomaindia Mfeketo und deren korrupten Verwaltung geschlossen wurden. In Kürze könnte es zu ersten Strafverfahren kommen. Auch sonst kehrt Zille mit eisernem Besen. Sie hat alle Ausschreibungen und auch die vom ANC geschlossenen Ratssitzungen öffentlich gemacht. Daneben hat ihre Koalition einen Großteil der Wasser- und Stromrechnungen eingetrieben. „Nicht von den Besitzlosen, sondern vom Flughafenbetreiber und von großen Hotelketten wie Arabella Sheraton, die es sich eigentlich leisten können zu zahlen“, sagt sie. „All das Geld ist uns bislang durch eine ineffiziente Verwaltung verloren gegangen und fehlt nun in den armen Gebieten.“ Selbst der säumigen ANC-Provinzregierung hat sie letztes Jahr kurzerhand Wasser und Strom gekappt, als diese auf Mahnbriefe partout nicht reagierte. „Wir haben der Provinz den Storm abgestellt, weil sie uns umgerechnet rund 20 Millionen Euro schuldet. Gleichzeitig verlangt dieselbe Regierung von uns, dass wir vernünftig wirtschaften.“

Als nächsten Schritt will die Bürgermeisterin im Vorfeld der WM 2010 nun die überlastete Infrastruktur ausbauen. Zu diesem Zweck hat Zille gerade erst ihre weiße Wählerschaft mit einer kräftig erhöhten Gebühr auf Haus- und Grundbesitz zur Kasse gebeten. Dabei setzt sie darauf, dass ihre reiche weiße Klientel die Extrabelastung schluckt und dennoch DA wählen wird. Was bliebe ihnen auch anderes übrig? Verglichen mit einer neuen ANC-Stadtregierung, sind für viele die höheren Steuern das weit kleinere Übel.

Selbst bei Veranstaltungen in den „weißen“ Vororten redet Zille ihren Wählern selten nach dem Mund. Wird dort zum Beispiel heftig gegen den Bau eines neuen Einkaufszentrums protestiert, erinnert sie die Anwesenden gerne daran, wie ungleich größer die Probleme in den Townships sind, wo noch immer Hunderttausende an Häusern fehlen und die hygienischen Zustände zum Teil verheerend sind. Sie selbst weiß dies aus eigener Erfahrung. Jahrelang hat Zille ihren Wahlkreis in einem der ärmsten und gewalttätigsten Slums vor den Toren von Kapstadt gehabt. Mehrmals in der Woche fuhr sie dabei in die Gebiete, in die viele weiße Südafrikaner noch nie einen Fuß gesetzt haben.

Als einmal 350 irische Freiwillige im Township Mfuleni anrückten, um dort binnen kürzester Zeit neue Wohnhäuser zu bauen, kam Helen Zille, um zu helfen. Nicht etwa mit finanzieller Unterstützung, nein, vollkommen unbeobachtet von den lokalen Medien, spendete Zille ihre Arbeitskraft. Bilder von der zierlichen Blondine mit Bauhelm und Arbeitskluft wären sicher ein guter PR-Gag gewesen. Zille verzichtete darauf.

Wer mit ihr redet, hat fast das Gefühl, jemanden vor sich zu haben, der auf einer politischen Mission ist. Für Zille geht es in Kapstadt um nicht mehr oder weniger als die politische Zukunft des Landes. Was wäre, wenn das Experiment misslingt? „Wenn ich mich um eine einzige Sache wirklich sorge, dann darum, dass undemokratische Kräfte die Oberhand gewinnen. Das wäre gefährlich“, sagt sie.

Auf der anderen Seite könnte ein Erfolg in Kapstadt die politische Landschaft weitreichend verändern – sie spricht von dem berühmten Dominoeffekt. Schon deshalb ist politisches Engagement bei ihr keine Frage der Freiwilligkeit, sondern der Notwendigkeit.

Zille träumt davon, in zwei Jahren die Provinz Westkap vom ANC zurückzuerobern und von hier aus die anderen großen Städte im Land zu gewinnen. Und sie träumt davon, dass Südafrika die erste große Demokratie sein könnte, die die Rassenschranke überwindet. Notwendig dafür sei „harte, harte Arbeit“. Die liegt ihr im Blut.

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