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Geschichte: Verliebte Jungs

Sie versteckten sich in Clubs und verhängten die Fenster - homosexuelles Leben fand lange im Verborgenen statt. Dann wurde 1977 das Schwulen-Zentrum in Berlin gegründet.

Wahrscheinlich war ganz einfach nirgendwo anders Platz. Und doch haftet dem Ort etwas Symbolisches an: Das Archiv des Schwulen-Zentrums Berlin liegt schwer zugänglich in einem Keller – so verborgen, wie sich die schwule Szene früher selbst einmal gab.

„Heterosexuell nein danke“ steht auf einem Plakat, mindestens 100 lehnen zusammengerollt an der unverputzten Wand. In einem Holzregal, eingeklemmt auf sechs Quadratmetern, stehen 20 Leitz-Ordner, prall gefüllt mit Programmen, Grußkarten oder Quittungen. Graue Styroporklötze, Requisiten einer vergessenen Bühnenshow, stapeln sich in einer Bananenkiste. Die Summe all dieser Objekte ergibt die Geschichte des SchwuZ, wie das Zentrum seit seiner Gründung vor 30 Jahren kurz genannt wird.

Zwischen den Aktendeckeln halten Kassenbons fest, wie viele Kästen Bier geliefert wurden, damals noch in die Kulmer Straße 20 A, zweiter Hinterhof, vierte Etage. „Kaffee kaufen, Sekt – nur von Lutter & Wegner“, steht auf einer handgeschrieben Notiz. Danksagungen auf Postkarten, wie „dufte“ der Abend im SchwuZ war, Ablaufpläne von Tunten-Shows, „1. IchGola Androgyn singt (live, Licht hell-weiß), 2. Chou-Chou de Briquette macht den Jodler (Vollplayback, Licht rot-hell)“, Monatsprogramme, auf der Schreibmaschine getippt, manchmal mit Tipp Ex verbessert.

Für Dezember 1977 vermerkt das Programm, eine „große Reinigungsaktion mit gemeinsamem Frühstück“, das Anhören einer Radiosendung („Wir wollen anschließend darüber reden.“), eine Fete der Fotogruppe, deren Höhepunkt „Spiegel-Schminke-Sofortbilder“ sein sollen („Jeder kann sich knipsen lassen und nimmt das Foto mit!“).

„Wir waren ganz schön artig“, sagt Elmar Kraushaar, einer der SchwuZ-Gründer, damals 27 Jahre alt, Romanistik-Student, groß wie ein Baum, mit langen Haaren und Bart. Er begleitet bis heute die schwule Szene Berlins journalistisch, besonders in seinen Kolumnen für die „taz“.

Heute residiert das SchwuZ am Kreuzberger Mehringdamm, in einem Altbau mit zwei Hinterhöfen. Die Büros sind auf drei Etagen verteilt, die Club-Abende im ausgebauten Teil des Keller professionalisiert. Im selben Komplex hat auch das Schwule Museum seine Räume, zur Straße liegt das Café „Melitta Sundström“. Der Weg ins SchwuZ führt durch das Café. Wenn die schwule Gemeinde die „Madonnamania“ feiert, mit Musik von Madonna natürlich, dann reicht die Schlange 100 Meter lang bis zur Commerzbank an der Gneisenaustraße.

Seit 30 Jahren spielt das SchwuZ den Soundtrack zum Coming-Out der Homosexuellen-Szene. Es war der erste alternative schwule Club Berlins und, ein Novum in der damaligen Zeit, er versteckte sich nicht, war allen Interessierten frei zugänglich. Denn schwules Leben spielte sich 1977 im Verborgenen ab .

Klappen, so nannte man die öffentlichen Toiletten, auf denen Schwule sich zum Sex trafen. Auf dem Charlottenburger Savignyplatz zum Beispiel, in einem Häuschen mit Spitzgiebel und kleinen Fenstern. Am späten Nachmittag eilten die Familienväter nach der Arbeit herein, sie trugen unauffällige Straßenkleidung, graue Hosen, grauer Mantel, helles Hemd. Sie warteten an den Urinalen darauf, dass sich jemand neben sie stellte, tauschten Blicke aus, sprachen nie – und gingen dann in die Kabine, um Sex zu haben. Sie eilten hinaus, wenn sie bekommen hatten, was sie wollten, und stiegen in die S-Bahn. Nachts kamen die Leder-Kerle, Männer in Jeans-Hemd und -Hose, Studenten – und die Stricher. Manche blieben ein paar Minuten, andere die Nacht. Für viele war die Klappe der einzige Ort, an dem sie Sex haben konnten, ungestört von Vermietern oder Familie.

Nicht alle Schwulen wagten sich in diese Subkultur. Zu tief saß die Angst, von Nachbarn oder gar Arbeitskollegen entdeckt zu werden. In West-Berlin hatte 1974 das Berufsverbot eines Französisch-Lehrers Aufsehen erregt. Er wurde mit Hinweis auf seine Sexualität von der Wilmersdorfer Otto-SuhrHauptschule verwiesen. Als er dagegen klagte und mehr als 100 Schüler für ihn demonstrierten, ordnete die Behörde eine Versetzung an.

Wurde in Zeitungen über Homosexuelle berichtet, dann in Zusammenhang mit Gewaltverbrechen – wenn ein Liebhaber den anderen umgebracht hatte oder ein Pädophiler aufgegriffen wurde. Es gab kein positives öffentliches Schwulenbild. Es gab Politiker wie den CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, der von sich selbst sagte: „Lieber ein kalter Krieger, als ein warmer Bruder“.

Die Subkultur schottete sich ab. In der Nähe des Schöneberger Nollendorfplatzes existierten einige Lokale, die von außen nicht einsehbar waren, an deren Tür es kein Klingelschild gab, aber einen Türspion – wie das „Trocadero“ an der Courbièrestraße. „Wenn man Pech hatte, kam man nicht hinein“, sagt Kraushaar. Zum Beispiel dann, wenn der Türsteher erkannte, dass er einen „politischen Studi“ von der Homosexuellen Aktion West-Berlin (HAW) vor sich hatte, einen von „Rosas willigen Helfern“, wie Kraushaar in Anspielung auf den Regisseur Rosa von Praunheim sagt.

Die HAW war die Vorgänger-Organisation des SchwuZ. Sie wurde 1971 als Reaktion auf Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ gegründet. Praunheim zeigt darin den Erkenntnisweg des jungen Schwulen Daniel, der sich nach verschiedenen Stationen – der Versuch die bürgerliche Ehe zu kopieren, die Degradierung zum Sex-Objekt, Anpassung an die Mode-Schwulen – schließlich in einer politischen Wohngemeinschaft zum selbstbewussten Schwulen emanzipiert. Sein kämpferischer Slogan „Raus aus den Klappen, rein in die Straße“ kam in diskreten Herren-Lokalen wie dem „Trocadero“ nicht gut an. „Rosa hatte da komplett Hausverbot“, erzählt Egmont Fassbinder, ein Cousin des Filmemachers Rainer Werner Fassbinder, Mitglied der HAW und damals 32 Jahre alt.

Das „Trocadero“, so Fassbinder, war „schick und schwul“. Die halbe Auslage des Kudamm-Herrenausstatters Selbach fand man dort, „alles was unbequem war: hauteng geschnittene Hemden und Hosen, die man nur in der Badewanne anziehen konnte.“ Die Tanzfläche bestand aus Metallplatten, drum herum starrten die Gäste auf die Tänzer und kontrollierten in den mit Gold unterlegten Spiegeln ihr Aussehen. Die Musik spielte Disco-Schlager von Boney M., den Bee Gees und der Schwulen-Ikone Gloria Gaynour („I Will Survive“).

Studenten wie Kraushaar fielen auf, weil sie keine schicke Travolta-Frisur trugen. T-Shirt, einfache Jeans – das Outfit der Politik-Schwulen war Teil ihrer Rebellion. Ihr Erkennungszeichen war der Rosa Winkel, das Emblem der in Konzentrationslagern inhaftierten Homosexuellen. Kraushaar trug die emaillierten Metallwinkel am Revers, wenn er an der Uni, im Supermarkt oder in der U-Bahn war. „Ich hatte drei Abzeichen, für jede Jeans-Jacke eines“, sagt er.

Gleich um die Ecke des „Trocadero“ lag noch das „KC“, an der Kreuzung von Eisenacher und Kleiststraße. Kraushaar erinnert sich, wie er das erste Mal in das Lokal kam – im Zuge einer HAW-Aktion Mitte der 70er Jahre. „Ich war zum ersten Mal überhaupt in so einem Laden“, erzählt er. „Wir politischen Schwulen gingen schon aus Prinzip nicht in die Subkultur.“ Kraushaar und ein Dutzend Gesinnungsgenossen enterten sofort die Tanzfläche, setzten sich auf den Boden, klopften mit den Fäusten einen Rhythmus und skandierten fünf Minuten lang „Schwule, raus auf die Straße“. Die anderen Gäste hörten auf zu tanzen, die Musik lief unverdrossen weiter, die kleine David-Statue in der Nische schaute gleichgültig auf die wütenden jungen Männer. Danach gingen die Aktivisten einzeln auf die Schwulen zu, verwickelten sie in Gespräche, die meist so abliefen: „Habt ihr nicht mal Lust, zu uns in die HAW zu kommen?“ – „Interessiert uns nicht.“ Der Zweck solcher überfallartigen Sit-Ins: Schwule sollten sich in ihren Lokalen nicht verstecken.

Egmont Fassbinder und Elmar Kraushaar setzten ihre Vision in die Tat um, als sie Mitte Juni 1977 das SchwuZ mitbegründeten. Eine offene Begegnungsstätte, jedes Wochenende Party, mal mit Reggae-Musik, mal spielte jemand die chinesische Version der „Internationale“, mal Schlager, das hatte die schwule Szene Berlins noch nicht gesehen.

Bereits an einem der ersten offenen Abende kam es zum Eklat. Drei Studenten regten sich auf, dass nicht mehr über Politik geredet würde. Sie forderten den Discjockey auf, die Musik leiser zu stellen, als der sich weigerte, zogen sie den Stecker heraus, entrissen ihm den Plattenspieler und stürmten die vier Etagen hinunter in den Hinterhof. Die Zurückgebliebenen lösten das Problem, wie sie es an der Uni gelernt hatten: Sie hielten ein Plenum ab, verurteilten die Aktion und stimmten über Musikunterhaltung im SchwuZ ab. Mit 40 gegen drei Stimmen wurde für Musik votiert.

Das war neu. Doch der Konflikt zwischen der politischen und der Spaßfraktion währte schon länger. Seit sechs Jahren, seit dem Sommer des Praunheim-Films 1971, kämpften politisch motivierte Schwule offensiv für die Rechte von Homosexuellen. Die HAW war die erste linke Schwulengruppe West-Berlins. Ihr Ziel war die Abschaffung des Paragraphen 175 – er stellte homosexuelle Handlungen mit Männern unter Strafe. Das Schutzalter betrug seit 1969 21 Jahre, 1973 senkte die sozialliberale Koalition es auf 18 Jahre ab. Daneben diskutierten die studentischen Mitglieder über Marx und Trotzki, ackerten in der „AG Theoriearbeit“ deren Schriften durch, um Aussagen zur gleichgeschlechtlichen Liebe zu finden, vergebens. Ein Protokoll hält fest: „Manfred fordert, die Sitzungen dürfen nicht länger als vier Stunden dauern.“ Eine andere Mitschrift vermerkt: „Appell an die Kommunisten, die Sexualemanzipation nicht aus den Augen zu verlieren, da die Tendenz besteht, das Problem zu vernachlässigen.“

Denn die studentische Linke hatte mit Argwohn auf die Frauen- und die Schwulenfrage geblickt. Schwule wurden bei Versammlungen auf die hinteren Redner-Plätze verbannt. Traten Männer in Frauenkleidern auf, wurden sie erst recht nicht ernst genommen. Und so hatten die Homosexuellen ihre Aktionen zunehmend allein organisiert. Auf der Wilmersdorfer Straße veranstalteten sie 1974 ein Kiss-In. Alle 50 Meter postierte sich ein gleichgeschlechtliches Paar und knutschte, zum Ärger der Passanten.

Ostern 1975 ging die ganze Gruppe auf einem traditionellen Spaziergang zur Krummen Lanke. Dann hockten fast 70 Schwule im Gras, aßen mitgebrachte Schnittchen, spielten Fangen und redeten sich mit Frauen-Namen an. Es gab Mechthild Freifrau von Sperrmüll und Kraushaar hieß nur „die Kraushaar“. Der Lehrer Rainer Perfölz, „die Perfölz“, packte die Gitarre aus. Alle saßen im Kreis herum, fast jeder trug lange Haare, einen Schnauzer oder Vollbart, einige ein Stirnband mit Blümchen-Motiv, und zusammen sangen sie selbst gedichtete Lieder wie „Sie war eine Trine aus Detmold-Lippe“.

Was sich damals andeutete, wurde im Juni1977 nach dreiwöchiger Diskussion beschlossen: „Die Homosexuelle Aktion West-Berlin löst sich auf“. Dasselbe Papier verkündete, in den Räumen an der Kulmer Straße ein „Schwulenzentrum“ einzurichten. „Wir wollten jetzt mal Dinge bereden, die uns auch praktisch interessierten“, sagt Kraushaar. „Wir wollten Spaß haben, tanzen, Musik hören – uns von der Strenge der Jahre davor verabschieden.“

Und so richteten sie sich die Fabriketage des HAW als SchwuZ ein. Links wurde ein Tresen gemauert, an die Wände stellten sie ausrangierte Kino-Sitze. Der Rest des Raums diente als Sitz- und Tanzfläche. Und um die Ecke führte ein Gang zu einem abgetrennten Zimmer, das man „Tante-Magnesia-Raum“ nannte – in Anlehnung an den Tuntennamen des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld, der bis zur Nazi-Zeit in Berlin lebte und forschte. Der Raum war mit Matratzen ausgelegt, „das SchwuZ war unser Wohnzimmer“, sagt Kraushaar.

Für viele war es eine Befreiung, endlich über Dinge reden zu können, die vorher als unpolitisch ausgeklammert waren. Es gab eine Plenarsitzung über S-M, da saßen 80 Jungs in einem Kreis und erzählten sich Dinge wie: „Ich finde es toll, wenn mich mein Freund fesselt". Wenn am Wochenende Feten angesetzt waren, übernahm eine vorher festgelegte Gruppe die Organisation. Die Listen, wer die Tür aufschließt, wer das Bier hochträgt, wer für die Dekoration verantwortlich ist (am Anfang meist Plakate von Jimi Hendrix und Che Guevera, zum Fasching ein paar Girlanden), wer Musik auflegt und wer aufräumt, diese Listen liegen heute im Keller-Archiv des SchwuZ.

Sie sind das Fenster zu einer Zeit, als noch niemand Eintritt zahlen musste, der Fahrstuhl in die vierte Etage nie funktionierte und David Bowie rauf und runter gespielt wurde. Damals brachte der Discjockey seinen Plattenspieler selber mit, heute besitzt das SchwuZ drei professionelle Musik-Anlagen.

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