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Da haben sie noch gut lachen: Claudia Roth, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir auf dem Weg zur Sondierung.

© Michael Kappeler/dpa

Jamaika-Sondierungen: Die Grünen im Kampf mit der Vernunft

Energiewende und Flüchtlingspolitik: Das sind dicke Knoten der Jamaika-Sondierungen. Mit Ideologie und Moral lassen sie sich nicht entwirren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Klimaschutz und Familiennachzug: Das seien die härtesten Nüsse, die die Jamaika-Sondierer zu knacken hätten, heißt es. Nun haben beide Themen unmittelbar mit den Großprojekten Energiewende und Flüchtlingspolitik zu tun. Also auch mit deren Kalamitäten. Insofern täuscht der Eindruck ein wenig, es stünden sich lediglich Grüne und CSU gegenüber. In Wahrheit kämpfen die Grünen auch gegen den common sense. Das kann kaum gut für sie enden.

Beispiel Klima. Als Angela Merkel nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima den rot-grünen Atomausstieg in einem für sie seltenen Moment der Panik beschleunigte, jubelten die Grünen. „AKW nee“, dieser Slogan war von jeher ein Teil ihrer politischen DNA. Und zwar längst bevor Anti-Atomkraft- und Klimaschutz-Bewegung miteinander kollidierten. Denn leider – aus Sicht der Grünen – ist die Kernenergie kohlendioxidmäßig sauber. Wer seinen Strom nur aus ihr bezieht, man blicke nur nach Frankreich, erreicht leicht jedes Klimaschutzziel.

Für Deutschland aber bedeutete der forcierte Atom-Ausstieg einerseits zwar einen massiven Ausbau erneuerbarer Energieformen, andererseits aber eine erhöhte Abhängigkeit von der Kohleverstromung, die derzeit bei 40 Prozent liegt, sowie eine zunehmende Notwendigkeit von Energie-Importen, darunter auch Gas aus Russland. Wladimir Putin und Gerhard Schröder reiben sich seitdem vergnügt die Hände.

Wenn nun zusätzlich aus der Kohle ausgestiegen werden soll, wofür klimatechnisch sehr viel spricht, verschärft sich das Dilemma. Weil in absehbarer Zeit allein aus erneuerbarer Energie die Stromversorgung in Deutschland nicht dauerhaft und verlässlich gesichert werden kann, müssten abermals die Importe gesteigert werden, eventuell auch durch Fracking-Gas aus den USA. Vielleicht sind die Grünen bereit, diesen Preis zu zahlen. Dann aber sollten sie es laut und vernehmlich sagen. Die Kollateralschäden einer ambitionierten Klimaschutzpolitik zu verschweigen, ist unredlich.

Die Familie sei gerade für die Union ein Wert an sich

Beim Thema Familiennachzug geht’s ähnlich verdruckst zu. Die Familie sei gerade für die Union ein Wert an sich, halten die Grünen den Konservativen vor und betonen, welche Bedeutung ein stabiles Familienumfeld für die Integration habe. Doch was, wenn sich die Betroffenen, also jene rund 230.000 subsidiär geschützte Flüchtlinge, gar nicht auf Dauer integrieren sollen? Also sprach Merkel im Januar 2016 in Neubrandenburg: „Wir erwarten, dass, wenn wieder Frieden in Syrien ist, wenn der IS im Irak besiegt ist, sie mit dem Wissen, das sie bei uns erworben haben, wieder in ihre Heimat zurückkehren.“ Nur ein geringer Teil der Flüchtlinge werde in Deutschland bleiben dürfen. Aus "Wir schaffen das" wurde in dieser Zeit "Das darf sich nie wiederholen".

Bei subsidiär geschützten Flüchtlingen wurde der Asylantrag abgelehnt. Sie konnten nicht nachweisen, zu einer Gruppe zu gehören, die aufgrund ihrer Religion, Nationalität oder politischen Überzeugung verfolgt wird. Subsidiärer Schutz wird dann gewährt, wenn einem Flüchtling individuell ein schwerer Schaden droht, etwa, weil in seiner Heimat ein Krieg tobt. Im kalten Amtsdeutsch nennt man das „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.

Am 1. August 2015, also noch vor dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, trat das Gesetz über den erweiterten Familiennachzug in Kraft. Demnach haben auch subsidiär Geschützte einen Anspruch auf Familiennachzug. Wie es zu diesem Gesetz kam, schildert Robin Alexander, ein Kollege von der „Welt“, in seinem Buch „Die Getriebenen“. Mit dem Segen der Fraktionschefs von Union und SPD habe Kanzleramtsminister Peter Altmaier seit 2013 Geheimverhandlungen mit den Grünen geführt, schreibt Alexander. Ein Jahr später sei es Altmaier gelungen, deren Zustimmung für drei neue sichere Herkunftsländer zu bekommen. Im Gegenzug hätten die Grünen den Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge erhalten, bei denen keine eigentliche Asylberechtigung vorliegt.

In Syrien könnte sich das Blatt gewendet haben

Unter dem Druck der Ereignisse setzte die Große Koalition dann das Recht auf Familiennachzug für diese Personengruppe im März 2016 für zwei Jahre aus. Bis zum 16. März 2018 kann folglich kein Familiennachzug erfolgen, anschließend ist er wieder erlaubt. CDU und CSU haben sich intern jedoch darauf verständigt, dass die Aussetzung des Familiennachzugs verlängert werden muss. Nicht zuletzt deshalb, weil sich das Blatt in Syrien gewendet haben könnte.

Dort nämlich ist es offenbar gelungen, die Terrormiliz Islamischer Staat zu besiegen. Der IS hält kein nennenswertes Territorium mehr. Überdies ist der Aufstand gegen Präsident Baschar al-Assad gescheitert. Von den Rebellen geht für dessen Regime, das von Russland und dem Iran unterstützt wird, keine Gefahr mehr aus. Auf diplomatischer Ebene versuchen Putin, Erdogan und Trump, den militärischen Erfolgen eine politische Lösung folgen zu lassen. Der Krieg in Syrien ist damit noch nicht beendet, Terror und Gewalt sind es auch nicht. Wie stabil und tragfähig die neuen Machtverhältnisse sind, weiß keiner. Unbestreitbar aber hat eine Phase der Konsolidierung eingesetzt.

Wie sinnvoll ist es, in diesem Moment die Familien jener Flüchtlinge nachzuholen, die laut Merkel, in ihre Heimat zurückkehren und diese aufbauen müssen? Die Familien von Menschen, die keinen Anspruch auf Asyl haben. Wenn die Grünen der Meinung sind, dass die subsidiär Geschützten trotzdem hier bleiben und sich dauerhaft integrieren sollen, wäre es auch bei diesem Thema nur redlich, es offen auszusprechen.

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