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Die Dirigentin Karina Canellakis und de Geiger Augustin Hadelich bei der Probe mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

© Peter Meisel / Peter Meisel

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin: Neues vom Hexer

Augustin Hadelich spielt beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin bravourös Ligetis Violinkonzert, die Dirigentin Karina Canellakis kombiniert dazu Werke von Beethoven und Lutoslawski.

Von Eleonore Büning

Der transsylvanische Komponist György Ligeti war streitbar. Nicht all seine Prinzipien schmeckten den Avantgardekollegen. Das dokumentiert unter anderem die kleine Ligeti-Ausstellung, die zur Zeit im Foyer der Philharmonie zu besichtigen ist. Kommt man rein, fällt der Blick gleich auf einen dieser typisch apodiktischen Ligeti-Sätze: „Man kann die Musik sinnlich erleben, auch wenn man ihre Struktur nicht versteht.“ Hauptsache, die Musiker verstehen sie! 

Zu welchen Höhenflügen das im Glücksfall führen kann, demonstrierte im Biennale-Konzert am Sonntag der Geiger Augustin Hadelich mit dem Rundfunk Sinfonieorchester Berlin unter Leitung von Karina Canellakis. Am Ende kam es zu wahren Beifallsstürmen, das Publikum wollte Hadelich gar nicht mehr gehen lassen. Erst die Zugabe – eine fast banale, wenn auch lupenrein servierte Tango-Paraphrase – holte alle wieder raus dem Ligeti-Himmel, zurück auf den Teppich.

Superpräzise Spielanweisungen

Dieses Violinkonzert, vollendet im Jahr 1992, war Ligetis Kriegserklärung an die wohltemperierte Stimmung. Schlaginstrumente mit unbestimmter Tonhöhe verhakeln sich mit Xylophon, Marimbaphon, Vibraphon, Glockenspiel. Vier der Holzbläser greifen zwischendurch zu Okarinas. Die beiden Hornisten spielen auch Naturhorn, zwei der elf Streicher im Orchester dagegen durchwegs auf skordierten, das heißt, falsch gestimmten Saiten: der Konzertmeister deutlich höher, die Bratsche einen Viertelton tiefer als der Rest und, natürlich, als die Sologeige. „Die Intonation“, schrieb Ligeti salopp, „könne schwanken“ in diesem Stück. 

Das ist nette Untertreibung. Tatsächlich werden die ausführenden Musiker in ein Korsett superpräziser Spielanweisungen eingesperrt, dergestalt, dass sie als Interpreten keine andere Wahl haben, als die totale Perfektion. Nur so funktioniert Mikrointervallik in dieser polyrhythmischen Prächtigkeit. Und nur so lassen sich die Dur-Moll-trainierten Ohren der Zuhörer erfolgreich entführen in die elysischen Gefilde einer irisierend fremdartigen, geheimnisvoll schön schillernden Klangwelt.

Zirkusreife Kadenz

Das wächst zunächst aus einer solistischen Ursuppe zärtlich repetierter Quinten heraus, wie aus dem Nichts. Türmt sich auf zu rhythmischen Abenteuern, gesprenkelt mit folkloristischen und modalen Erinnerungen. Kulminiert in einem langsamen Barocksatz – Aria, Hoquetus, Choral –, mit einer kostbarer Solo-Kantilene.

Der dann, nach Ausflügen konzertierender Holzbläser, in einem vierfachen Pianissimo verlischt, in überraschend rein diatonischem Dur – als käme man nach Haus. Höhepunkt des Finales ist eine zirkusreife Kadenz des Solisten. Doch auch hier, inmitten heikelster technischer Finessen, mischt Hexenmeister Hadelich den Phrasen eine Prise Gesanglichkeit bei. 

Knisternde Spannung

Hadelich spielt, wie man so schön sagt, seelenvoll. Vom ersten bis zum letzten Ton ist diese altmodische Farbe in seinem Vortrag vorhanden. Sie imprägniert auch die Klangreden der einzelnen Orchesterinstrumente, von der Piccolo-Flöte bis zum Kontrabass. Auch die kapellmeisterlich perfekte Führung durch die Dirigentin wird von dieser Seelenfarbe mit erfasst.

Und sie erfasst das Publikum. Die geradezu lautlos knisternde Spannung im Saal wird nicht mal dann unterbrochen, wenn ein Handy klingelt, ein Kind quakt oder, wie am Ende des zweiten Satzes, etwas außerplanmässig kracht - und kurz pausiert werden muss, weil Konzertmeister Rainer Wolters eine neue Saite aufzieht. Das dauert keine Minute. Schon geht es weiter, sinnlich, ergreifend.

Den passenden Rahmen zu diesem unkonventionellen Konzertereignis lieferte erstens, zum Aufwärmen, Beethovens Ouvertüre op.43 („Die Geschöpfe des Prometheus“). Und zum Abschluss feierte das RSB sich selbst, mit einer artistisch brillanten Darbietung des beliebten, an Gimmicks überreichen Konzerts für Orchester von Witold Lutoslawski, inklusive Erkennungsmelodie zum ZDF-Magazin.

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